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Berlin-Marathon: Nr. 3176 kam durch

Marcel Fürstenau29. September 2014

DW-Reporter Marcel Fürstenau ist 42,195 Kilometer durch seine Heimatstadt gelaufen. Dabei erlebte er alle Höhen und Tiefen. Aber vor allem hat er die phantastische Stimmung an der Strecke genossen, die ihn ins Ziel trug.

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Berlin-Marathon Fürstenau
Bild: DW/Marcel Fürstenau

Der Hase läuft kurz nach dem Start direkt vor mir. Hasen nennt man die Tempomacher. Sie sollen den Marathon-Favoriten dabei helfen, einen neuen Weltrekord aufzustellen. Und das hat in Berlin ja wieder perfekt funktioniert. Der Kenianer Dennis Kimetto (2:02:57) war 26 Sekunden schneller als sein Landsmann Wilson Kipsang im vergangenen Jahr. Mein "Tempomacher" ist allerdings ein Spaßvogel, der bei strahlendem Sonnenschein in einem dunkelbraunen Hasenkostüm steckt. Ich lasse ihn dann schnell hinter mir.

Schon auf den ersten Kilometern sind die Straßen dicht gesäumt von Zuschauern. Dabei wohnt hier kein Mensch, denn wir laufen auf der großen Ost-Westverbindung Berlins, die quer durch den Tiergarten führt. Aber gerade am Start finden sich Tausende Freunde und Verwandte von Läufern ein, die hier vergleichsweise entspannt ein Erinnerungsfoto schießen können. Oder auf selbst gebastelten Pappschildern aufmunternde Worte mit auf den langen Weg geben ("Quäl Dich, Du Sau"). Beeindruckend auch wieder die vielen Fahnen aus aller Welt. Am häufigsten ist die rot-weiße aus Dänemark zu sehen. Aus dem Nachbarland kommen traditionell sehr viele Läufer nach Berlin.

Hohes Tempo und Unterstützung von oben

Die Spitzenläufer etwa bei Kilometer 12, im Hintergrund der Fernsehturm am Alexanderplatz.
Vorne liefen Afrikaner, während der Autor mit dem Ausgang des Rennens erwartungsgemäß nichts zu tun hatte...Bild: Reuters/Thomas Peter

Nach gut vier Kilometern nähern wir uns der ersten Musikgruppe. Fetziger Rock hallt uns in Alt-Moabit entgegen. Ich schnappe nur eine Textzeile auf, aber die hat es in sich: "Da muss man durch." Wohl wahr, noch liegen 38 Kilometer vor mir. Ich fühle mich gut und passiere die erste Fünf-Kilometer-Marke bei knapp unter 24 Minuten. "Zu schnell", sage ich zu mir selbst, ohne das Tempo zu drosseln. Kurz darauf verengt sich die Straße, weil ein Teil mit großen Bauzäunen abgesperrt ist. Es handelt sich anscheinend um die Ausläufer der Baustelle des neuen Innenministeriums. Der Hausherr Thomas de Maizière ist von Amts wegen übrigens auch Sportminister. Beim nächsten Berlin-Marathon in einem Jahr wird die Straße dann hoffentlich wieder breiter sein…

Nächster Höhepunkt ist das Kanzleramt, Angela Merkel lässt sich leider nicht blicken. Dafür begegnet mir kurz darauf, bei der ersten Überquerung der Spree, ein Engel. So heißt meine Chefredakteurin im Hauptstadtstudio der Deutschen Welle, Vorname Dagmar. Sie steht auf der schmalen Terrasse der 7. Etage im Haus der Bundespressekonferenz, wo sich unsere Büros befinden.

An ihr müssen die Läufer vorbei: die Siegessäule mit der goldene Viktoria.
Blickfang: Es ist zwar kein Engel, der die Siegessäule bekrönt, aber die Göttin Viktoria passt noch besser zum Marathon.Bild: Reuters/Hannibal

Neben dem Engel meine ich den Kollegen zu erkennen, der bei uns für Religionsthemen zuständig ist. Das bestärkt natürlich meinen Glauben an einen guten Berlin-Marathon. Während ich also an meinem Arbeitsplatz vorbeilaufe, treffen sich einige meiner Kollegen da oben zu einem Wochenend-Seminar. Tauschen möchte ich mit ihnen bei Kilometer sieben nicht. Später kommen mir kurz Zweifel, wer es an diesem Tag leichter hat…

Am "Wilden Eber" lasse ich es ganz, ganz ruhig angehen…

Als wir etwa eine Stunde und 30 Minuten unterwegs sind, freue ich mich über den Song "Gloria" von der Band "Them". Mir fallen die vielen Bedeutungen des Wortes ein: Ruhm, Ehre, Herrlichkeit. Bei einem Marathon gehen einem schon mal Dinge durch den Kopf, die etwas mit Wunschdenken zu tun haben. Apropos: Als ich an der Halbmarathon-Marke auf meiner Uhr eine Zwischenzeit von gut 1:42 Stunden sehe, träume ich einen kurzen Moment von einer neuen persönlichen Berliner Bestzeit. Die steht bei exakt 3:24:38. Um es vorwegzunehmen: Am Ende werde ich weit davon entfernt sein…

Dennis Kimetto überquert die Ziellinie und feiert seinen neuen Weltrekord.
Dennis Kimetto überquert die Ziellinie und feiert seinen neuen Weltrekord. Die Uhr blieb bei 2:02:57 stehen.Bild: TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images

Kilometer 25 passiere ich nach zwei Stunden und knapp drei Minuten. "Jetzt könnte der Sieger vielleicht gerade durchs Brandenburger Tor laufen", denke ich. Und tatsächlich hat Dennis Kimetto mit 2:02:57 einen neuen Weltrekord aufgestellt! Derweil frage ich mich, wie ich den Lauf wohl beenden werde. Dabei denke ich schon längst nicht mehr an die Zeit, sondern an meine Verfassung. Am "Wilden Eber", wo Zuschauer und viele Läufer wegen der bombastischen Stimmung wirklich die Sau raus lassen, lege ich - unfassbar! - eine Gehpause ein. So früh ist mir das noch nie passiert, meistens laufe ich einen Marathon durch.

Die Freude am Abklatschen von Kinderhänden

Um das Beste aus der Situation zu machen, treffe ich eine Entscheidung, die sich als richtig herausstellt. Ich will diesen Berlin-Marathon nicht nur beenden, ich will ihn auch genießen. Also falle ich nach zwei weiteren Kilometern wieder in einen Trab, einen recht gemächlichen allerdings. Dabei sind meine Beine gar nicht mal so schwer. Trotzdem widerstehe ich der Versuchung, wieder zu beschleunigen. Ich bin mir sicher, dass heute irgendetwas für eine richtig gute Zeit fehlt. Am Wittenbergplatz, sieben Kilometer vor dem Ziel, erwartet mich wie jedes Jahr meine Frau. Ich halte an und berichte ihr kurz von meinem unerwarteten Erlebnis am "Wilden Eber". Und weiter geht's Richtung Potsdamer Platz.

Marcel Fürstenau mit Medaille vor dem Reichstagsgebäude.
Allein für dieses Bild lohnt sich die Schinderei: Der Autor mit Medaille vor dem Reichstagsgebäude.Bild: DW/Marcel Fürstenau

Frisch fühle ich mich natürlich nicht, aber der Kopf ist klar und die Bewegungen sind trotz allem rund. Die sich mir entgegen streckenden Kinder-Hände abzuklatschen, gehört zu meiner Lieblingsbeschäftigung. Zur Belohnung blicke ich in strahlende Augen und höre immer wieder meinen Namen, den die dankbaren Eltern hinter mir herrufen. "Super, Marcel!" Solche Worte zählen in dieser Phase des Rennens doppelt und wirken wie legales Doping für die letzten zwei, drei Kilometer. Hinter dem Gendarmenmarkt sind dann noch zwei Kurven zu nehmen, bevor es auf den Boulevard "Unter den Linden" geht.

Ich komme wieder

Da steht es, das Brandenburger Tor. Ein Höllenlärm begleitet mich auf dem Weg zum Pariser Platz, links das berühmte Hotel Adlon, rechts die Französische Botschaft. Und dann der grandiose Moment, das Berliner Wahrzeichen zu durchqueren. Vielleicht 300 Meter trennen mich jetzt noch vom Zielstrich. Von den extra errichteten Tribünen auf beiden Seiten prasselt ohrenbetäubender Beifall auf uns Finisher hernieder. Ich strecke die Arme weit auseinander. Wie jedes Jahr bin ich überwältigt - ein Gefühlsmix aus Glück, Zufriedenheit und Stolz. Ich komme wieder! Ach ja, ich bin 3:45:19 gelaufen.