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"Tempora ist eine Katastrophe"

23. Juni 2013

Es klingt nach totaler Kontrolle des Datenverkehrs. Ein britischer Geheimdienst soll Telefon und Internetverbindungen massenweise abhören. Deutsche Politiker reagieren empört.

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Eingang zum GCHQ-Hauptquartier in Cheltenham (Archivfoto: Steve Parsons/PA Wire)
Bild: picture-alliance/dpa

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zeigte sich höchst beunruhigt. Träfen die Vorwürfe zu, wäre das eine Katastrophe, sagte die FDP-Politikerin am Samstag. Die Vorwürfe klängen nach einem Alptraum à la Hollywood. "Die Aufklärung gehört sofort in die europäischen Institutionen."

Die SPD fordert von der Bundesregierung Aufklärung über das Abhörprogramm. Das alles erwecke den Eindruck, als ob der Überwachungsstaat von George Orwell in Großbritannien Wirklichkeit geworden sei, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS).  Das sei unerträglich. Einen schrankenlosen Zugriff auf die privaten Daten der Bürger dürfe es nicht geben. Die Bundesregierung müsse den Vorgang aufklären und gegen die Totalüberwachung von deutschen Bürgern vorgehen.

Snowden packt weiter aus

Die angesprochene Bundesregierung wollte zunächst keine Bewertung zum jüngsten Bericht der britischen Tageszeitung "Guardian" über die massiven Datenüberwachungen durch den britischen Geheimdienst GCHQ (Government Communications Headquarters) abgeben. Die Regierung nähme den Bericht sehr ernst und werde der Angelegenheit nachgehen, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter der FAS. Sie werde dann zum gegebenen Zeitpunkt Stellung nehmen.

Unfassbare Datenmassen

Nach Angaben des Informanten Edward Snowden überwacht das GCHQ weltweit Telefon und Internet. Mit dem Abhörprogramm "Tempora" könnten täglich bis zu 600 Millionen Telefonverbindungen erfasst werden,  zitiert der "Guardian"  den in Hongkong untergetauchten IT-Spezialisten. Das Programm laufe seit Mai 2012. Seitdem hätten 300 britische Spezialisten mit 250 Kollegen des US-Geheimdienstes NSA die GCHQ-Daten ausgewertet. Das alles geschehe wohl im Rahmen britischer Gesetze, hieß es.

Hauptsitz des GCHQ in Cheltenham aus der Luft (Foto: Reuters)
Hauptsitz des Government Communications Headquarters HauptsitzBild: Reuters

Neben E-Mails, Einträgen im sozialen Netzwerk Facebook oder Telefongesprächen werden laut "Guardian" für "Tempora" auch persönliche Informationen der Nutzer 30 Tage lang gespeichert.

Laut den Unterlagen, die Snowden dem "Guardian" übergab, hat der GCHQ dafür 200 Glasfaserstränge angezapft, über die der transatlantische Datenverkehr läuft. Die Leitungen lägen auf britischem Gebiet. Dem Bericht nach erfolgt die Spähaktion mit Hilfe von Firmen, die nicht genannt wurden. Sie seien per Gerichtsbeschluss zur Zusammenarbeit gezwungen worden und müssten die Anordnungen geheim halten.

Tempora zeigt Wirkung

Der britische Außenminister William Hague sagte kürzlich, der GCHQ halte sich bei der Auswertung von Spähaktionen immer an britisches Recht. Über eine Zusammenarbeit mit US-Geheimdiensten machte er keine Angaben. Der GCHQ arbeitet seit Jahrzehnten eng mit der US-amerikanischen NSA zusammen. Beide Behörden kooperieren zudem mit Geheimdiensten in Kanada, Australien und Neuseeland. Die Enthüllung dürfte den Druck auf die britische Regierung erhöhen, ihre Datensammelwut zu erklären. Ein GCHQ-Sprecher lehnte einen Kommentar ab.

Dem "Guardian" zufolge führte das Programm "Tempora" zur Festnahme einer heimischen Terrorzelle und anderer Anschlagsplaner. Auch Angriffe im Vorfeld der Olympischen Spiele 2012 in London seien dadurch vereitelt worden. Mit einer ähnlichen Begründung hatte US-Präsident Barack Obama das ebenfalls durch Snowden enthüllte Abhörprogramm der NAS gerechtfertigt.

Derweil setzen neue Enthüllungen des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters die USA unter Druck. Der Abhördienst NSA habe in China nicht nur das Internet, sondern auch den Mobilfunk ausgespäht, sagte Snowden der Hongkonger Zeitung "South China Morning Post". Die US-Behörden haben bereits ein Strafverfahren gegen Snowden eingeleitet. Sie werfen ihm Geheimdienstverrat und den Diebstahl von Regierungseigentum vor. Snowden hatte vor seinen Enthüllungen als IT-Spezialist im Auftrag der NSA gearbeitet und zahllose Dateien kopiert. Washington fordert von Hongkong zudem die Auslieferung des Informanten.

gmf/rb (afp, dpa, rtr)