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Balcerowicz: "Gelddrucken bringt mehr Kosten als Nutzen"

Bartosz Dudek 16. Oktober 2014

Leszek Balcerowicz gilt als Vater des "polnischen Wirtschaftswunders". Im DW-Interview kritisiert er die Politik des billigen Geldes in Europa - und die schwache Reaktion des Westens auf Putins Vorgehen.

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Der polnische Wirtschaftswissenschaftler und Politiker Leszek Balcerowicz (Foto: Getty Images/AP)
Bild: AP

Deutsche Welle: Herr Professor Balcerowicz, ist die Krise in Europa vorbei?

Leszek Balcerowicz: Es geht nicht um eine Krise in Europa, sondern lediglich um eine Krise in einigen europäischen Ländern - und zwar in solchen mit einer schlechten Wirtschaftspolitik. Wenn man in einem einzelnen Land eine schlechte Wirtschaftspolitik betreibt, ist das für andere Länder kein großes Problem. Obwohl man im Rahmen der Rettungsmaßnahmen viel Geld in Griechenland gesteckt hat, ist es ein relativ kleines Land im Vergleich zu Frankreich oder Italien. Außerdem gibt es für einzelne Länder und ihre Probleme keine europäischen Lösungen. In jedem von diesen Ländern muss es genügend Leute geben, die entsprechende Lösungen finden und sie umsetzen. Die Franzosen müssen ihre Probleme selbst lösen, genauso die Italiener oder die Polen. Ich will hier betonen, wie wichtig dabei die Zivilgesellschaft ist. Deswegen engagiere ich mich zurzeit in Polen in diesem Bereich.

Als Präsident der Polnischen Nationalbank saßen Sie eine Zeit lang im Aufsichtsgremium der Europäischen Zentralbank. Wie beurteilen Sie die heutige Politik der EZB?

Ich bin kein Befürworter der langfristigen Vermehrung der Geldmasse. Ich bin der Meinung, dass wir an einen Punkt gelangt sind, an dem das mehr Kosten als Nutzen bringt. Außerdem wird es Zeit, damit aufzuhören, die Politik des FED (Federal Reserve - die Zentralbank der USA, auch als US-Notenbank bezeichnet; Anm. d. Red.) nachzuahmen.

Welche wirtschaftlichen Konsequenzen kann der russisch-ukrainische Konflikt für Europa haben?

Wichtiger sind die geopolitischen Konsequenzen. Es gibt keine risikofreie Antwort darauf, was Wladimir Putin getan hat. Ein besonderes Risiko entsteht dann, wenn man zu lange mit Sanktionen oder Reaktionen wartet, oder sie zu schwach sind: Das ist eine Einladung zu weiteren Aggressionen. Ich glaube, dass die großen Staaten des Westens mehr tun müssen als bisher, um deutlich zu zeigen, dass sich Aggression nicht lohnt.

Vor 25 Jahren hat Ihr Reformplan aus dem von der kommunistischen Misswirtschaft ruinierten Polen ein Vorbild für viele Länder Mittel-, Ost- und sogar Südeuropas gemacht. Woran liegt es, dass Polen immer noch Wirtschaftsprimus ist, während andere, die sich Polen zum Vorbild machten - wie Bulgarien oder Rumänien - massive Probleme haben?

Die Lage ist differenzierter und manche Länder haben noch radikalere Reformen durchgeführt - zum Beispiel Estland. Andere Länder haben sehr viel nachgeholt, wie die Slowakei, die der ehemalige Ministerpräsident Mikulas Dziurinda innerhalb von acht Jahren noch umfassender reformierte, als es in Polen geschehen ist. Generell kann man sagen, dass sich in jedem Land viel machen lässt, wenn sich eine Gruppe kompetenter Personen findet, die politische Unterstützung hat und weiß, was zu tun ist. Natürlich war Polen das erste Land, das den Weg der Reformen beschritten hat - und diese Richtung hat sich bewährt. Dennoch gibt es andere Länder, auf die es sich lohnt, zu schauen.

Euromünzen, Scheine und ein Taschenrechner (Foto: contare i soldi)
Balcerowicz: Europa sollte nicht die Finanzpolitik der US-Notenbank nachahmenBild: Fotolia/alexandro900

Es überrascht ein wenig, dass Sie als einer der führenden Ökonomen Europas eine Stiftung zur Förderung der Zivilgesellschaft gegründet haben und sich dafür engagieren.

Ob und wie schnell sich ein Land wirtschaftlich entwickelt, hängt in jedem Land davon ab, wie viele Menschen auf die Politiker aufpassen werden, damit sie nicht die Weihnachtsmänner spielen und den mächtigen Lobby-Gruppen nachgeben. In jedem Land der Welt gibt es zu wenige solch engagierte Bürger, und zu viele Gruppen, die Druck auf Politiker ausüben. Ich versuche, diese Lücke zu verkleinern.

Leszek Balcerowicz ist ein polnischer Wirtschaftswissenschaftler und liberaler Politiker. Als Finanzminister der "Solidarnosc"- Regierungen von Tadeusz Mazowiecki, Jan Krzysztof Bielecki und Jerzy Buzek führte er 1989 in Polen einen radikalen Reformplan ein, der unter seinem Namen bekannt wurde. Damit stellte er die sozialistische Zentralplanwirtschaft seines Landes auf die Marktwirtschaft um. Von 2001 bis 2007 war er Präsident der Polnischen Nationalbank.