1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bal Folk statt Disko

Antje Hollunder25. Januar 2015

Eine Szene in Deutschland entdeckt "Bal Folk" wieder für sich. Dabei spielen Bands auf altüberlieferten Instrumenten zu historischen Gesellschaftstänzen auf. Was begeistert Jung und Alt an den Tanzabenden?

https://p.dw.com/p/1EOym
Schaephuysen Sommerbordunale Bal Folk Workshop
Bild: DW/A. Hollunder

Über hundert Leute tanzen Hand in Hand seitwärts in einer langen Kette übers Parkett und drehen sich dabei immer wieder schneckenförmig in- und auseinander. Das passiert beim Bal Folk, sobald der bretonische Reihentanz "An Dro" erklingt. "Es ist fast wie eine Sucht, man fühlt sich furchtbar wohl, wenn einem die Musik gefällt", meint dazu die 23-jährige Studentin Lena Thalheim aus Bochum. Mit 18 Jahren lernte sie Bal Folk in ihrer Heimat Sachsen kennen, wo die Szene recht groß ist. Die Bälle sind wie eine Zeitreise zu den alten Volkstänzen. Lena Thalheim hat zusammen mit einer Kommilitonin eine Bal Folk Reihe in einem Bochumer Studentenwohnheim ins Leben gerufen. Zu jeder Veranstaltung kommen immer mehr Studierende. Es hat sich unter ihnen herum gesprochen, welchen Spaß Bal Folk macht.

Tanzen wie in alten Zeiten

Teilnehmer eines Bal Folk in Bochum Januar 2014
Bild: Peter van Dyk

Zu den Grundtänzen des Bal Folk gehören Mazurka, Bourée, Chapelloise, Schottisch, Fröhlicher Kreis und Walzer. Oft wird das Tanzbein auch zur schwedischen Polska, zum Zwiefacher oder Menuett geschwungen. Vor Jahrhunderten waren diese Tänze in verschiedenen Ländern Europas populär, denn vom Grundschritt her sind sie so einfach, dass jeder gleich mittanzen kann. Heute erlebt Bal Folk in ganz Europa ein Revival. In den Niederlanden sind es "Bals", in Frankreich nennt man sie "Fest-Noz". Die belgischen "Boom Bal" sind schon seit 15 Jahren ein Trend.

Keiner tanzt allein

Im Gegensatz zu Tanzabenden, auf denen Standard und Latein getanzt wird, braucht man beim Bal Folk keinen festen Tanzpartner mitzubringen. Bei mehreren Tänzen findet sowieso alle paar Takte ein Partnerwechsel statt. Auf diese Weise lernt man im Laufe eines Tanzabends beinahe alle anderen Teilnehmer kennen. Bis zu 300 Leute nehmen an einer Veranstaltung teil. Im Laufe eines Volkstanzabends entsteht eine geradezu familiäre Atmosphäre im Ballsaal oder Festzelt. Der 26-jährige Fabian Staber aus Köln erklärt dazu: "Es gibt in unserer Gesellschaft nicht mehr so viele Momente, in denen man mit anderen Menschen, die man vorher nicht unbedingt kennt, Berührungskontakt hat. Ich finde, das ist etwas total Schönes. Beim Bal Folk wird keiner ausgeschlossen."


Junge Bal Folk Tänzer auf dem Vormarsch

Bochum Bal Folk
Bild: Peter van Dyk

Für die Teilnehmer ist es eine wunderbare Erfahrung, dass Bal Folk eine generationsübergreifende Veranstaltung ist. Hier ist es nicht ungewöhnlich, dass Männer Ende Zwanzig mit Damen tanzen, die ihre Großmütter sein könnten. Schon beim ersten Bal-Folk-Revival in den 1970er Jahren haben Studenten und Ältere zusammengefunden. Für Neulinge kann es erst befremdlich sein, wenn Männer in Cordhosen um Frauen wandeln, die fast alle Röcke oder Kleider tragen. Bald aber schon überträgt sich die allgemeine Freude und das viele Lachen auf alle im Raum.

Die gute Stimmung entsteht auch dadurch, dass die Musik zum Tanz grundsätzlich live gespielt wird. Die Bands spielen mit einer mittelalterlichen Drehleier oder einem Dudelsack. Aber auch Violine, Akkordeon, Harfe, Flöte und Klarinette oder die schwedische Schlüsselfidel Nyckelharpa sind Standardinstrumente.

Alternative zur Disco

Liebhaber des Bal Folk reisen oftmals quer durch Deutschland, um die Volkstanzabende zu erleben. Für viele Twens sind die völkerverbindenden Tänze mit handgemachter Musik ein schöner Ausgleich in unserer sonst eher digitalisierten anoymisierten Gesellschaft. Der 28-jährige Dudelsackspieler Matthias Branschka aus Berlin sagt: "Für mich ist es auch eine Alternative zur Disko. Zu Live-Musik zu tanzen ist ein Alltag gewordener Luxus."