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Aussicht auf eine wackelige Koalition

Bernd Riegert24. Februar 2013

Italien wählt: Wer zieht in den Palazzo Chigi ein, den Sitz des Ministerpräsidenten in Rom? Der Linke Bersani? Oder Ex-Premier Berlusconi? Europa hofft auf eine stabile Regierung. Das dürfte schwierig werden.

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Palazzo Chigi, Via del Corso, in der Altstadt von Rom. (Foto: Bernd Riegert, DW)
Bild: DW/Bernd Riegert

Das Wahlgesetz trägt in Italien einen seltsamen Namen: "Porcellum". Das heißt so viel wie Schweinerei. Den Namen haben sich nicht enttäuschte Wähler, sondern Wissenschaftler und Politiker ausgedacht, als das Wahlgesetz vor fast zehn Jahren entstand. Die Schweinerei ist vor allem, dass es so kompliziert ist. Kaum jemand versteht die Sitzverteilung in den beiden Kammern des Parlaments auf Anhieb. Im Abgeordnetenhaus bekommt die stärkste Partei automatisch eine absolute Mehrheit der Sitze, auch wenn sie nur 30 Prozent der Stimmen erhält. Im Senat werden die Sitze über Regionallisten verteilt. "Es gibt eine sehr bequeme Mehrheit dank dieses Porcellums in der ersten Kammer, im Repräsentantenhaus. Aber das gilt keineswegs für die zweite Kammer, den Senat. Und das könnte sehr großen Einfluss auf die Regierungsfähigkeit des Gewinners haben", erklärt Lutz Klinkhammer, Italien-Experte am Deutschen Historischen Institut in Rom.

Kommt nämlich im Senat eine andere politische Mehrheit zustande als im Abgeordnetenhaus, muss der künftige Regierungschef eine Koalition mit vielen kleinen Partnern eingehen. Da bis zu 20 Parteien im Parlament vertreten sein werden, kommt dabei nur ein wackeliges Bündnis heraus. Die wahrscheinlichste Variante ist nach den letzten Meinungsumfragen, dass Pier Luigi Bersani nach der Parlamentswahl am Sonntag und Montag (24/25.02.2013) mit einer Sammlung linker Parteien mit der neuen Liste des bisherigen Regierungschefs Mario Monti koalieren muss. So ein Bündnis werde nicht länger als sechs bis 12 Monate halten, vermutet Klinkhammer. Eine stabile Regierung, wie sich die EU und die Finanzmärkte für das hochverschuldete Italien wünschen, wäre das kaum.

Beppe Grillo (Foto: rtr)
Neuer Volkstribun: Beppe Grillo kritisiert das Establishment und fordert freies Internet für alleBild: Reuters

Beppe Grillo sorgt für neuen Schwung

Solche taktischen Koalitionsspiele interessieren die 47 Millionen Wähler wohl eher am Rande. Jeder vierte Wähler wusste bei den letzten Umfragen vor 14 Tagen noch nicht, wem er seine Stimme geben sollte. "Die meisten Menschen in Italien sind müde und abgestoßen von den Politikern. In den letzten 20 Jahren haben sie wenig getan. Es gab immer nur 'blablabla'", sagt Marco Solazzo, Zahnarzt in Rom. "Die Menschen suchen nach etwas Neuem, etwas Anderem."

Anders als der Rest ist Beppe Grillo. Der feiert mit seiner Protest-Bewegung "5 Sterne" große Erfolge. Die Umfragen sehen den ehemaligen Komiker und Schauspieler bei 15 Prozent der Stimmen. Damit wäre er drittstärkste Kraft nach dem Sozialdemokraten Bersani und dem konservativen Silvio Berlusconi, aber noch vor Technokraten-Premier Mario Monti. Grillo hat mit seinen humorvollen Schimpfkanonaden gegen die Etablierten und lauthals vorgetragenen Versprechen zehntausende Menschen auf die Plätze der italienischen Städte gelockt. Er spielt Rap-Musik mit dem Text "Wir sind die Bürger und basta!". Laura Bernaschi, Fernsehproduzentin, glaubt, dass Grillo gut abschneiden wird. "Wir wissen alle, dass er kein Politiker ist, aber das, was er sagt, scheint doch richtig und wahr zu sein." Gerade bei jungen Leuten und den vielen arbeitslosen Akademikern in den Städten kommt der 61-jährige Grillo gut an, glauben die Wahlforscher.

Berlusconi, der ewige Wahlkämpfer

Als Wahlkampftalent und großer Kommunikator hat sich auch Silvio Berlusconi erwiesen. Der 76-Jährige musste vor 16 Monaten das Amt des Ministerpräsidenten an Mario Monti abtreten, weil er die Wirtschafts- und Schuldenkrise nicht in den Griff bekam. Jetzt präsentierte er sich in schlichten Werbespots als väterlicher Staatsmann, der den gebeutelten Italienern, die gerade eingeführte Grundsteuer wieder zurückzahlen wird. Berlusconi könnte zusammen mit der äußerst rechten "Lega Nord" eine Mehrheit im Senat erreichen und die künftige Regierung zappeln lassen.

Wahlplakate für Silvio Berlusconi an den Bushaltestellen in der Innenstadt von Rom (Foto: Bernd Riegert, DW)
Simple Botschaft an alle Bushaltestellen in Rom: Wählt Berlusconi, dann bekommt Ihr Steuern zurückBild: DW/Bernd Riegert

Weil Beppe Grillo mit seiner "Bewegung" so großen Erfolg hat, erklärte Berlusconi seine Partei mit dem blumigen Namen "Volk der Freiheit" auch zur Bewegung, die ein Bollwerk gegen Willkür der Justiz sein werde. Dieses Bollwerk kann Berlusconi selbst gut gebrauchen, denn er fühlt sich von der italienischen Justiz verfolgt. Drei Strafprozesse laufen gegen ihn. Ein Urteil im Verfahren wegen Beischlafs mit einer Minderjährigen wird nach den Wahlen erwartet.

Berlusconis Verfehlungen sorgen vor allem im Ausland, nicht aber in Italien für blanke Ablehnung, hat Lutz Klinkhammer beobachtet. "Er verkörpert den italienischen Traum des Selfmademan und des Charmeurs. Er kann immer noch Punkte machen. Und gerade das eine Jahr der Regierung Monti hat schon ausgereicht, vieles von dem vergessen zu machen, was vorher in zehn Jahren Regierungszeit Berlusconis passiert ist", so Italien-Experte Klinkhammer.

Taxifahrer Leonardo, der am Hauptbahnhof Termini auf Fahrgäste wartet, wird wieder Berlusconi wählen. "Berlusconi zahlt meine Steuern zurück und sorgt dafür, dass ich meine Taxi-Lizenz behalten kann", sagt der junge Mann. Von einer Flexibilisierung des streng regulierten Taxi-Gewerbes hält er nichts. "Das gibt nur Konkurrenz und sinkende Einnahmen."

Vor allem unter den vielen Kleinunternehmern hat Berlusconi immer noch Fans. Der Zahnarzt Marco Solazzo vermutet deshalb mit einem gequälten Lächeln im Gesicht: "Und das war auch noch nicht die letzte Wahl, an der Berlusconi teilnimmt."

"La Merkel" ist Schuld

Eines haben Silvio Berlusconi und Beppe Grillo, trotz gegenseitiger Abneigung, übrigens gemeinsam. Sie geben Brüssel, Deutschland und Bundeskanzlerin Angela Merkel die Schuld an der Schuldenkrise und der Rezession in Italien. "La Merkel" hat Mario Monti das Sparen diktiert, polterte Berlusconi etwa. "Deutschland spielt eine große Rolle in diesem Wahlkampf, und zwar als Buhmann. Alles Schlechte kommt aus dem Norden, wenn man Silvio Berlusconi zuhört, aber auch bei Beppe Grillo kann man solche Untertöne hören", sagt Klinkhammer.

Titelblatt der Zeitung Repubblica (Rom) mit der Schlagzeile: La Merkel will die Sozialdemokraten nicht (PD) (Foto: Bernd Riegert)
Italienische Zeitung: Merkel will keine LinkenBild: DW/Bernd Riegert

Ratschläge aus Brüssel oder Berlin verbitten sich aber alle Politiker in Italien. Angebliche Äußerungen der Bundeskanzlerin, sie wolle Monti als Regierungschef, sorgten tagelang für Schlagzeilen in den italienischen Zeitungen. Lutz Klinkhammer weiß, warum: "Das wird in Italien als Einmischung in die Innenpolitik aufgefasst. Das hat zwar keinen großen Einfluss auf den Wahlkampf, aber kommt aus meiner Sicht weder Mario Monti zugute noch der deutschen Position."

Farblose Nummer Eins

Pier Luigi Bersani, der mit einigen Punkten Abstand vor Berlusconi in den Umfragen liegt, hält sich mit polemischen Ausfällen zurück. Der Spitzenkandidat des Mitte-Links-Bündnisses wird in den italienischen Medien eher als graue Maus beschrieben. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Neapel sagte Bersani aber an die Adresse von Silvio Berlusconi und Beppe Grillo: "Die große Krise bekämpft man nicht, in dem man irgendein beliebiges Kaninchen aus dem Hut zaubert. Und schon gar nicht mit blöden Sprüchen."

Pier Luigi Bersani, Vorsitzender der sozialidemokratischen PD (Foto: rtr)
Italiens nächster Regierungchef? Pier Luigi BersaniBild: Reuters

Die Wahllokale schließen am Montag um 15 Uhr. Verlässliche Ergebnisse gibt es wahrscheinlich erst spät am Abend, und zwar wegen "Porcellum", dem komplexen Wahlgesetz.