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Untersuchungsausschuss beginnt mit Zeugenbefragung

Marcel Fürstenau26. April 2012

Seit drei Monaten befasst sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestages mit der Neonazi-Mordserie. Jetzt nähert er sich der entscheidenden Frage: Warum blieben die wahren Hintergründe so lange unentdeckt?

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Der Leiter des Untersuchungsausschusses zum Rechtsterrorismus der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy (M.), un weitere Mitglieder des Gremkums während einer Sitzung Foto: Steffi Loos
Bild: dapd

"Bosporus" hieß die im Februar 2008 aufgelöste Sonderkommission (Soko), die Licht ins Dunkel einer im September 2000 begonnenen unheimlichen Mordserie bringen sollte. Damals wurde in Nürnberg der Blumenhändler Enver Şimşek erschossen. Das nächste Opfer war im Sommer 2001 der Änderungsschneider Abdurrahim Özüdoğru. Als im Juni 2005 der Imbiss-Betreiber İsmail Yaşar starb, nahm in Nürnberg die Soko "Bosporus" ihre Arbeit auf. Der Name lässt eindeutige Rückschlüsse darauf zu, welche Motive die Ermittler hauptsächlich hinter den Morden vermuteten: Rivalität und Kriminalität unter türkischstämmigen Bürgern.

Seit November 2011 wissen die erfolglosen Ermittler, weiß die ganze Welt, dass Rechtsextremisten für diese und sieben weitere Morde verantwortlich sind. Zwei der mutmaßlichen Täter, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, haben sich das Leben genommen, um ihrer Festnahme zu entgehen. Die Dritte im Bunde, Beate Zschäpe, wurde verhaftet und verweigert die Aussage. "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) nannte sich das Terror-Trio, dem die Fahnder trotz vieler Hinweise und Beobachtung durch Verfassungsschützer nicht auf die Spur kamen.

Ein Fahnungsplakat mit Fotos der mutmaßlichen Terroristen Uwe Boehnhardt (v.l.), Uwe Mundlos und Beate Zschäpe Foto: Winfried Rothermel
Das NSU-Terror-Trio auf einem Fahndungsplakat des Bundeskriminalamtes (BKA)Bild: dapd

Fremdenhass wurde als Motiv ausgeblendet

Dass die Sicherheitsbehörden gravierende Fehler gemacht haben, steht außer Zweifel. Warum so lange so viel passieren konnte, will der Anfang des Jahres eingesetzte Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages herausfinden. Im März ließen sich die elf Mitglieder des Gremiums von Experten zunächst das Phänomen Rechtsextremismus und die deutschen Sicherheitsstrukturen erläutern. Außerdem berichtete die von der Bundesregierung eingesetzte Ombudsfrau für die Angehörigen der Opfer, Barbara John, über ihre Erfahrungen.

John, die früher Berliner Ausländerbeauftragte war, betonte dabei, wie wichtig den Angehörigen neben materieller Unterstützung die Anteilnahme der ganzen Gesellschaft ist. Das war auf berührende Weise auch auf der zentralen Gedenkfeier im Februar in Berlin deutlich geworden, bei der Bundeskanzlerin Angela Merkel und Hinterbliebene der Ermordeten über ihre Gefühle gesprochen hatten. Für die Angehörigen war neben dem Verlust ihrer Väter und Söhne das Schlimmste, über Jahre verdächtigt zu werden, vielleicht selber in die Mordserie verwickelt zu sein. Dabei gab es bei aller offenkundigen Einseitigkeit der Ermittlungen durchaus Hinweise auf möglicherweise rechtsextremistische Motive und Täter.

Semiya Şimşek (r.) und Gamze Kubaşık, Angehörige von Opfern der Mordserie der terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), sprechen im Konzerthaus in Berlin bei der zentralen Gedenkveranstaltung für die Opfer der NSU Foto: Michael Gottschalk
Trauern um ihre ermordeten Väter: Gamze Kubaşık (l.) und Semiya Şimşek auf der Trauerfeier am 23. Februar 2012 im Berliner KonzerthausBild: dapd

Leiter der Soko "Bosporus" als Zeuge geladen

Der Untersuchungsausschuss des Bundestages widmet sich an diesem Donnerstag (26.04.2012) der Frage, warum diese Spuren versandeten. Als Zeuge ist unter anderem Wolfgang Geier geladen, der die Soko "Bosporus" leitete. Neue Erkenntnisse erhoffen sich die Parlamentarier auch von Oberstaatsanwalt Walter Kimmel, der für die Untersuchungen der drei Morde in Nürnberg und zwei weiterer in München verantwortlich war.

Die Zeugen werden unbequeme Fragen beantworten müssen. So berichtete die SPD-Obfrau im Untersuchungsausschuss, Eva Högl, am Mittwoch in Berlin von Agenten des US-Geheimdienstes FBI, die 2007 von einem ausländerfeindlichen Hintergrund der Mordserie ausgegangen seien. Högls Darstellung zufolge befanden sich die FBI-Männer zu einem Informationsaustausch beim Landeskriminalamt Bayern, das damals in den fünf Mordfällen in Nürnberg und München ermittelte. Sogar schon 2006 soll nach Informationen der SPD-Abgeordneten die Soko "Bosporus" Hinweise auf einen rechtsextremistischen Hintergrund gehabt haben. Jedoch sei diesem Verdacht nicht konsequent nachgegangen worden.

Ex-Innenminister Schily räumt Fehler ein

Ex-Innenminister Otto Schily Foto: DW
Selbstkritisch: Ex-Inneminister Otto Schily

Der Untersuchungsausschuss wird also auch die Sicherheitsarchitektur im Kampf gegen den Rechtsextremismus hinterfragen. Der von 1998 bis 2005 amtierende Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hat vor kurzem Fehler eingeräumt. Dem in Berlin herausgegebenen "Tagesspiegel" sagte der Sozialdemokrat, er und die Länderinnenminister trügen die politische Verantwortung dafür, "dass wir der NSU-Terrorgruppe nicht früher auf die Spur gekommen sind". So hatte Schily im Juni 2004 nach einem Bombenanschlag vor einem türkischen Friseursalon in Köln, bei dem mehrere Menschen verletzt wurden, jeden rechtsextremistischen Hintergrund ausgeschlossen. Aufgrund dieser, wie man inzwischen weiß, unbegründeten und vorschnellen Einschätzung blieb die Bundesanwaltschaft untätig.

Welche weitreichenden Folgen die offensichtlichen Mängel in den Sicherheitsbehörden haben könnten, wird sich erst am Ende der Untersuchungen des Ausschusses abzeichnen. Kommunikationsmängel zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Landesämtern werden auch von deren Chefs nicht bestritten. Letztlich muss die Politik entscheiden, welche Schritte unternommen werden. Dazu zählt auch die Frage nach einem neuen Verbotsverfahren gegen die rechtsextremistische Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD).

Wohnhaus des NSU-Trios wird abgerissen

Die Innenminister von Bund und Ländern haben auf einer Sonderkonferenz im März in Berlin beschlossen, bis Ende des Jahres eine Entscheidung treffen zu wollen. Bis dahin sollen Belege für die vermutete "aggressiv-kämpferische" Verfassungsfeindlichkeit der NPD gesammelt werden. Ein erstes Verbotsverfahren scheiterte 2003, weil die Beweisführung zu großen Teilen auf Informationen von Verfassungsschutzspitzeln (V-Leute) basierte. Einige Verfassungsrichter, die über ein Verbot zu entscheiden haben, bezweifelten die Glaubwürdigkeit der V-Leute.

Nach Angaben der zuständigen Innenminister haben inzwischen die Verfassungsschutzämter ihre V-Leute aus den Führungsgremien der NPD abgezogen. Ob die Chancen für ein Verbot der 1964 gegründeten Partei deshalb gestiegen sind, ist unter Experten umstritten. Zahlreiche Politiker, darunter der konservative Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und die freidemokratische Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), sind skeptisch.

Mit Hilfe eines Baggers wird die augebrannte Ruine des Hauses in Zwisckau abgerissen, in dem die NSU-Terroristen wohnten. Ein Bauarbeiter mit gelber Warnweste beaufsichtigt den Abriss. Foto: Uwe Meinhold
Reste des Hauses, das den NSU-Terroristen als Unterschlupf dienteBild: dapd

Ein deutliches Zeichen hat inzwischen die Stadt Zwickau gesetzt. Am Dienstag wurde damit begonnen, das Haus abzureißen, dass dem NSU-Trio als Unterschlupf diente. Die mutmaßliche Täterin Beate Zschäpe hatte es im November in Brand gesetzt, um Spuren zu verwischen. In der Ruine fanden die Ermittler zahlreiche Beweise, unter anderem eine makabere DVD, auf der sich die Neonazis ihrer Taten rühmen. Mit dem Abriss des Hauses soll verhindert werden, dass der Ort zu einem Wallfahrtsort für Rechtsextremisten wird.