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Aus Mangel an Beweisen

Elena Ern30. August 2004

Argentinien zwischen 1976 bis 1983: Tausende von Menschen verschwanden während der Militärdiktatur. Gegen 74 Ex-Militärs ermittelte die deutsche Justiz. Nur noch fünf von ihnen müssen eine Strafe fürchten.

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Muss sich verantworten: Junta-Chef Jorge VidelaBild: AP

Die Nürnberger Staatsanwaltschaft war 1998 tätig geworden, weil sich unter den Opfern der argentinischen Militärdiktatur auch viele Deutsche befanden. Bernhard Wankel, Pressesprecher der Nürnberger Staatsanwaltschaft, nennt verschiedene Gründe für die Entscheidung, die Ermittlungen einzustellen, zum Beispiel: "nicht nachzuweisenden Verantwortung der Beschuldigten" oder "ungeklärter Todesumstände". Oft mangele es an Beweisen.

In anderen Fällen spiele die Herkunft der Opfer eine Rolle. Die deutsche Justiz ermittelt nur, wenn Opfer oder Täter deutsche Staatsbürger sind oder wenn die Straftat in Deutschland begangen wurde. Bei einigen Opfern mit deutscher Herkunft sei dies nicht der Fall gewesen, sagte Wankel im Gespräch mit DW-WORLD. So waren sechs junge Menschen, die in Argentinien verschleppt und getötet wurden, Nachfahren deutscher Juden. Die Nationalsozialisten hatten ihren Vorfahren die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Zwar gelte diese Verordnung als nationalsozialistisches Unrecht und sei nichtig, so Wankel. Trotzdem hätten die jüdischen Flüchtlinge die deutsche Staatsangehörigkeit neu beantragen müssen.

Recht vor Gerechtigkeit

Kai Ambos, Lateinamerika-Spezialist und Strafrechtsprofessor an der Universität Göttingen kritisiert die Nürnberger Entscheidung. Die Opfer des NS-Regimes hätten nach den schmerzlichen Erfahrungen in Deutschland gute Gründe gehabt, sich nicht um die deutsche Staatsangehörigkeit zu reißen. Wankel betont, dass auch die Staatsanwaltschaft diesen "Gerechtigkeitsaspekt" abgewogen habe. Letztendlich habe sich die Justiz aber für das formelle Recht der Staatsangehörigkeit entschieden.

Die Ermittler rechtfertigen ihre Entscheidung gegen die Anklageerhebung auch mit dem Argument, dass in einigen Fällen die Taten verjährt seien. Beispielsweise im Fall von Bettina Ehrenhaus und Adriana Marcus. Argentinische Militärs hatten sie zwischen 1978 und 1979 verschleppt und gefoltert. Die jungen Frauen überlebten. Nur in einem Punkt greift das Argument der Verjährung nicht: Bettina Ehrenhaus wurde von den Militärs als Geisel festgehalten und Geiselnahme verjährt, nach damaligen Recht, nicht so schnell wie Körperverletzung. Trotzdem hat auch dieses Argument nicht ausgereicht, um die Schuldigen von damals zu belangen. "Nach heutigem Recht hätten wir mehr Möglichkeiten, die Täter zu belangen", sagt Bernhard Wankel, aber: "Es gilt immer das Gesetz, das zum Zeitpunkt der Tat in Kraft ist."

Schlechtes Zeichen

Kai Ambos sieht die Nürnberger Entscheidung noch aus weiteren Gründen sehr kritisch. Er befürchtet, dass der Druck aus Deutschland auf die argentinischen Behörden nachlässt: "Nürnberg setzt ein ganz schlechtes Zeichen gegenüber der argentinischen Justiz. Ich hoffe nicht, dass das die dortigen Verfahren beeinflusst werden und demnächst noch mehr Schuldige Straffreiheit genießen."

Nach langem Zögern hatte Argentinien den Ex-Präsidenten Jorge Videla und drei weitere Militärs unter Hausarrest gestellt. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat im vergangenen Dezember Videlas Auslieferung nach Deutschland beantragt.

Madres de la Plaza de Mayo
Die Mütter der Verschwundenen fordern GerechtigkeitBild: AP

Videla, dem früheren Marine-Befehlshaber Emilio Massera, dem Kommandanten eines Folterzentrums, Pedro Alberto, sowie zwei weiteren Militärs wirft die Nürnberger Staatsanwaltschaft nach wie vor Mord an den deutschen Studenten Elisabeth Käsemann und Klaus Zieschank vor. Im Fall Käsemann reicht nach Auffassung der Staatsanwaltschaft die Beweiskette für eine Anklage aus. Dass der Mord an der Tochter des renommierten Theologen Ernst Käsemann weiter verfolgt wird, liegt unter anderem daran, dass ihre Leiche gefunden wurde - im Gegensatz zu vielen der geschätzten 30.000 Opfer der argentinischen Militärdiktatur.