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Aus Fehlern lernen

Jennifer Fraczek16. November 2013

Nach Naturkatastrophen und in Kriegen leisten sie wichtige Hilfe - und werden dennoch häufig kritisiert: Hilfsorganisationen. Weil sie wissen, dass sie nicht unfehlbar sind, haben sie Qualitätsstandards entwickelt.

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Vor den Stationen, an denen Hilfsgüter verteilt werden, bilden sich lange Menschenschlangen (Foto: Reuters)
Vor den Stationen, an denen Hilfsgüter verteilt werden, bilden sich lange MenschenschlangenBild: Reuters

Wenn Medien nach einer Katastrophe oder einer anderen Krise den Einsatz der Hilfsorganisationen bewerten, kommen die internationalen Helfer nicht immer gut weg. Die Kritikpunkte: Es dauert zu lange, bis die internationale Hilfsmaschinerie in Gang kommt, und wenn dann in großer Mannschaftsstärke angerückt wird, reißen die Helfer alles an sich. Und: Nicht immer kommen die Hilfsgüter dorthin, wo sie am nötigsten gebraucht werden. Auch bei der aktuellen Taifun-Katastrophe auf den Philippinen werden solche kritischen Stimmen laut.

Doch Hilfsorganisationen sind durchaus kritik- und lernfähig. In den vergangenen 20 Jahren habe sich einiges verbessert, sagen Experten. "Was heute viel besser funktioniert als früher, ist zum Beispiel die Bedarfsanalyse, das sogenannte Joint Needs Assessment", sagt der Professor für Management humanitärer Krisen, Dennis Dijkzeul, von der Ruhr-Universität Bochum. Dabei ermitteln Organisationen, etwa die UNO, Nichtregierungsorganisationen sowie lokale Behörden und Hilfsorganisationen gemeinsam, was vor Ort am dringendsten gebraucht wird. Sie verteilen auch Zuständigkeiten, um Doppelarbeit zu vermeiden.

Wird dieser Bedarf nicht exakt analysiert, geht die humanitäre Hilfe oft am Ziel vorbei. Dies sei zum Beispiel häufig bei sogenannten Search and Rescue-Missionen der Fall, sagt Dijkzeul. Dabei gehen Rettungsdienste auf die Suche nach Überlebenden einer Katastrophe, holen sie aus ihrer Notsituation. "Diese Missionen sind teuer und gut gemeint, bringen aber relativ wenig, weil die Menschen vor Ort viel schneller selbst nach ihren Freunden und Familienmitgliedern suchen und sie retten."

Drei Menschen vor zerstörten Gebäuden nach dem Erdbeben in Haiti 2010 (Quelle: http://www.flickr.com)
Joint Needs Assessment: Die Hilfe dorthin bringen, wo sie am nötigsten istBild: CC2.0/RIBI Image Library

Qualitätsmanagement bei Hilfsorganisationen

Insgesamt sind die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen viel besser ausgebildet als früher. In Deutschland gibt es seit 1993 den Master-Studiengang "Humanitäre Hilfe" an der Ruhr-Universität Bochum. Und es wurden Qualitätsstandards eingeführt, etwa für medizinische und Essenspakete, wie Dijkzeul erklärt. In dem medizinischen Paket, dem Interagency Emergency Health Kit, sind unter anderem Schmerzmittel, Antibiotika sowie Injektionsspritzen und einige chirurgische Instrumente. Essenspakete sollen mindestens einen Nährwert von 2100 Kalorien haben. Handbücher, deren Entwicklung von den Hilfsorganisationen vor allem nach dem Ruanda-Konflikt vorangetrieben wurde, beschreiben unter anderem, wie Unterkünfte gebaut oder Notkrankenhäuser eingerichtet werden.

Was in Unternehmen schon länger existiert, haben also auch Hilfsorganisationen für sich entdeckt: Qualitätsmanagement. Mehrere Projekte versuchen, ein solches Qualitätsmanagement organisationsübergreifend zu verankern. Eines davon ist das Sphere-Projekt, das 1997 ins Leben gerufen wurde und unter Mitwirkung von professionellen Helfern und Betroffenen Standards für humanitäre Hilfe entwickelt.

Die Bevölkerung mehr einbeziehen

Ein Schwerpunkt des Sphere-Projekts setzt beim Joint Needs Assessment an und bindet Behörden und Bevölkerung vor Ort im Fall einer Katastrophe ein. So richtig rund läuft das aber noch nicht immer, räumt Unni Krishnan von dem Kinderhilfswerk Plan International ein. Er ist Mitglied im Vorstand des Sphere-Projektes. Das Bewusstsein, dass Hilfe wirkungsvoller ist, wenn sie den Betroffenen nicht einfach übergestülpt wird, sei zwar gewachsen - aber das werde in der Praxis zu selten umgesetzt.

Die Akteure vor Ort einzubeziehen, sei aber essenziell: "Bis internationale Hilfe kommt, kann es einige Zeit dauern. In den ersten Tagen ist es aber entscheidend, dass die Menschen sich selbst helfen können", sagt Krishnan. Deswegen müssten die Regierung und die lokalen Behörden die Führungsrolle übernehmen und auch behalten. Diese Erfahrung sei auch für künftige Krisenfälle in einem Land wichtig.

Eine Frau kocht in einem Notlager in Port-au-Prince, Haiti im November 2010. (Foto: ABACAUSA.COM)
Qualitätsstandards auch für NotaufnahmelagerBild: picture alliance / abaca

Humanitäres Handbuch

Das Handbuch des Sphere-Projekts behandelt Themen wie Projektorganisation, lebensrettende Maßnahmen und die Bereitstellung von Wasser und Lebensmitteln. Es beantwortet ganz praktische Fragen wie: Wie weit darf eine Wasserversorgungsstelle von einem Notaufnahmelager entfernt sein? Wie viel Nährwert muss ein Nahrungsmittelpaket für die Betroffenen haben? Wie viel Wasser müssen sie bekommen?

Diese Standards seien "nicht von einem Büro in Genf oder New York aus zusammengeschrieben worden, sondern resultieren aus den Erfahrungen von Betroffenen und Mitarbeitern von Hilfsorganisationen", betont Krishnan. Unter den Organisationen im Vorstand von Sphere sind unter anderem Aktion Deutschland Hilft, Care International, der Dachverband der Caritas, die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung, Oxfam International und Plan International.