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Aus der Frühzeit des Korans

Khaled Salam (kk)18. April 2015

Die Staatsbibliothek zu Berlin besitzt eine der weltweit ältesten Koranhandschriften, wie eine Untersuchung kürzlich ergab. Das Manuskript hilft die Geschichte des muslimischen Gründungstextes besser zu verstehen.

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Älteste bekannte Koran-Handschrift in der Staatsbibliothek Berlin (Foto: Staatsbibliothek zu Berlin)
Bild: CC BY-NC-SA 3.0 DE/Staatsbibliothek zu Berlin – PK

Wer will, kann sich in der Staatsbibliothek zu Berlin auf eine Reise durch Zeiten und Kontinente begeben. Mit ihren zwölf Millionen Büchern zählt die 1661 gegründete Institution zu den größten Bibliotheken Europas.

Auch in der Nahost-Abteilung kann man einen sehr konkreten Eindruck von der Vielfalt unterschiedlichster, sich über große Zeiträume erstreckende Kulturen und Religionen gewinnen. Die Abteilung umfasst 600.000 Bücher, 43.000 Manuskripte und andere Kostbarkeiten, verfasst in 140 Sprachen. Ebenso enthält sie rund 17.000 Manuskripte aus dem islamischen Kulturkreis - die meisten in Arabisch, viele aber auch in Farsi und Osmanisch.

Philologische Kostbarkeit aus frühislamischer Zeit

Die Staatsbibliothek kann auch eine der weltweit ältesten Koran-Handschriften ihr eigen nennen. Das hat eine Untersuchung auf Basis der so genannten Radio-Karbonmethode (C14) ergeben.

Teile dieses Manuskripts wurden nun in einem Labor der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich untersucht. Der Textkorpus selbst besteht aus sieben Blättern mit in unterschiedlichen Schriftarten gehaltenen Versen aus den beiden Suren "Die Frauen" und "Der Tisch". Die einzelnen Pergamente haben eine Länge von 35 und eine Breite von 26 Zentimetern. Unübersehbar hat der Zahn der Zeit an den Pergamenten genagt: Einige von ihnen sind durchlöchert, andere weisen leichte Brandspuren auf oder sind an den Ecken aufgeraut.

Der Ursprung der Pergamente ist nur schwer zu bestimmen. Das Manuskript habe sich im Nachlass des Islamwissenschaftlers Bernhard Moritz befunden, erklärt Christoph Rauch, Leiter der Nahost-Abteilung der Staatsbibliothek und Experte für islamische Manuskripte. Die Staatsbibliothek habe es 1940 erworben. Moritz (1859 - 1939) hatte Reisen in zahlreiche Länder des Nahen Ostens und in den Maghreb unternommen. Von 1896 bis 1911 leitete er die Ägyptische Nationalbibliothek in Kairo.

Christoph Rauch, Leiter der Orientabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin (Foto: DW/K. Salameh)
Christoph Rauch ist Experte für islamische ManuskripteBild: DW/K. Salameh

Die Kunst der richtigen Datierung

Mit Hilfe der 1949 entwickelten Radiokarbonmethode, mit der das Pergament nun untersucht wurde, lässt sich das Alter organischer Materialien - etwa von Holz, Leder und Zähnen - bestimmen. In der Archäologie gilt sie längst als Standardverfahren. "Doch für die Untersuchung von Manuskripten wurde diese Methoden bislang eher selten eingesetzt", sagt Michael Joseph Marx, Koranexperte und Direktor des Forschungsprojekts "Corpus Coranicum".

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit stamme das Pergament aus dem Zeitraum zwischen 652 und 606. "Am wahrscheinlichsten geht es aber auf die Mitte des siebten Jahrhunderts zurück", sagt Christoph Rauch. Demnach wäre es kurz nach dem Tod des muslimischen Religionsstifters Mohammed 632 beschrieben worden.

Eines müsse er aber einschränkend hinzufügen, sagt Christoph Rauch: Die Karbonmethode liefere keinen Aufschluss über das Alter der Schrift, sondern die des benutzten Pergaments. Joseph Marx stimmt zu: "Was feststeht, ist das Alter des Pergaments, nicht aber der Schrift selbst." Theoretisch sei es zwar möglich, dass das Pergament erst Jahrzehnte später beschrieben worden sei. Das sei aber unwahrscheinlich. "Doch zweifellos ausschließen lässt es sich nicht."

Raum in der Staatsbibliothek zu Berlin (Foto: picture alliance/akg-images/L.M. Peter)
Die Staatsbibliothek zu Berlin ist eine der größten Bibliotheken EuropasBild: picture-alliance/akg-images/L. M. Peter

Viele offene Fragen

Kulturgeschichtlich ist das Pergament von erheblicher Bedeutung. "Durch die Manuskripte erfahren wir sehr viel über die Entwicklung der arabischen Kalligraphie." So ist der Text nach alten Rechtschreibregeln verfasst worden. Auch enthält er keine Vokalisierungs- und Betonungszeichenzeichen. In einigen Fällen weichen die Rezitationsregeln von den klassischen, in den meisten islamischen Ländern noch heute gültigen Vorgaben ab.

Außerdem bestätigt das Manuskript die bisherigen Thesen zur Kodifizierung des Koran. "Nach dem Tod Mohammeds, also im ersten Jahrhundert muslimischer Zeitrechnung, waren zahlreiche Gelehrte damit beschäftigt, den Koran zu schreiben. "Nach unseren Informationen haben sich Teile von rund 20 verschiedenen Manuskripten aus dem ersten islamischen Jahrhundert erhalten - eines davon mit rund 2000 Seiten", erläutert Rauch. "Im Vergleich mit den Überresten des Evangeliums ist das eine beträchtliche Menge."

Das Manuskript werde die Koranforschung nicht revolutionieren, sind sich Rauch und Marx einig. Auch widersprächen die Forschungsergebnisse nicht den Annahmen der Muslime über die Entstehungsgeschichte des Korans. Es gebe aus den ersten beiden Jahrhunderten islamischer Zeitrechnung Manuskripte, die unserem sehr ähnlich seien - auch wenn sie nicht zu hundert Prozent übereinstimmten. "Die wissenschaftliche Erforschung der Koranmanuskripte hat in den letzten 20 Jahren erhebliche Fortschritte gemacht", erläutert Rauch. "Und doch stehen wir noch ganz am Anfang. Es gibt weiterhin sehr viele offene Fragen."

Hände auf einem Koran (Foto: picture alliance/dpa)
Viele offene Fragen in der IslamwissenschaftBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Das Projekt Corpus Coranicum

Untersucht wurde das Pergament im Rahmen des deutsch-französischen Forschungsprojekts Coranica. Dieses unterstützt und vervollständigt das Projekt Corpus Coranicum der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Coranica wird von der "Deutschen Forschungsgemeinschaft" (DFG) und der Französischen Forschungsagentur ("Agence nationale de la recherche", ANR) gefördert.

Das Projekt verfolge einen mehrstufigen historischen Ansatz, erläutert Michael Joseph Marx. "In einem ersten Schritt sammeln wir die Pergamente und Papyri, identifizieren sie und analysieren sie inhaltlich. Dann sammeln wir Informationen über die Überlieferungen aus frühislamischer Zeit. Drittens analysieren wir spätantike und vorislamische Texte aus dem Umfeld des Korans. Sie helfen uns, den Koran in seinem historischen Kontext zu verstehen. Und viertens dann geben wir unter Berücksichtigung spätantiker Texte und der literarischen Chronologie einen Kommentar heraus."

Die Entstehungsgeschichte des Korans ist komplex. Dank modernster philologischer und physikalischer Forschung ist sie nun zumindest ein kleines Stück mehr erhellt worden.