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Aung San Suu Kyi in der Kritik

Rodion Ebbighausen13. November 2012

Vor zwei Jahren wurde die Friedensnobelpreisträgerin aus dem Hausarrest entlassen. Nun arbeitet sie als Abgeordnete mit ihren einstigen Gegnern zusammen - und wird kritisiert, weil sie manche Hoffnungen enttäuscht.

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Aung San Suu Kyi (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images

Aung San Suu Kyi galt dem Westen und den ethnischen Minderheiten des südostasiatischen Vielvölkerstaats bis vor kurzem noch als Hoffnungsträgerin. Jetzt schlägt der Ikone der Menschenrechte von vielen Seiten Kritik entgegen.

Vertreter der Volksgruppe der Kachin etwa haben Ende September einen offenen Brief an die Friedensnobelpreisträgerin gerichtet: "Es ist entmutigend, dass Sie sich nicht gegen die Ungerechtigkeit aussprechen, die denjenigen angetan wird, die keine eigene Stimme haben." Die 23 unterzeichnenden Kachin-Organisationen beziehen sich dabei auf den seit Juni 2011 andauernden Bürgerkrieg im nördlichen Kachin-Staat.

Zu zurückhaltend?

Ähnlich scharf wird Suu Kyi für ihre allenfalls zurückhaltenden Äußerungen zu den Rohingya kritisiert. Der muslimischen Minderheit, die überwiegend im Rakhine-Staat an der Küste des Golfs von Bengalen lebt, wird seit Jahren die Staatsbürgerschaft vorenthalten. In den letzten Monaten kam es bei Zusammenstößen zwischen der buddhistischen Mehrheit und der muslimischen Minderheit zu mindestens 180 Toten und der Vertreibung von Hunderttausenden. Der Vorwurf gegen Suu Kyi lautet, sie beziehe keine klare Stellung.

Entkräfteter Rohingya-Flüchtling (Foto: Reuters)
Immer mehr entkräftete Flüchtlinge suchen ihr Heil in BangladeschBild: Reuters

Auch eine gemeinsame Erklärung von Suu Kyi und Abgeordneten der ethnischen Minderheiten im Parlament entschärfte die Kritik nicht. Die Erklärung war dafür zu allgemein gehalten, zumal sie weder die Kachin noch die Rohingya namentlich erwähnt. Es heißt schlicht: "Jeder ist für die Achtung der Menschenrechte verantwortlich, ohne Unterschied zwischen Mehrheit und Minderheit, Volkszugehörigkeit und Religion."

Unruhen in den eigenen Reihen

Auch in den eigenen Reihen nimmt die Kritik zu. Kürzlich sagten sich laut "Financial Times Deutschland" 130 Mitglieder von Suu Kyis Partei, der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), los. Der Südostasienexperte Gerhard Will sieht darin eine direkte Folge des Führungsstils innerhalb der Partei: "Die Parteiführung ist sehr autoritär." Drei altgediente Mitglieder der NLD aus der Stadt Pathein prangerten öffentlich "undemokratische Praktiken" an. Die Frontlinien innerhalb der NLD verlaufen einerseits zwischen langjährigen Mitstreitern der Partei und neuen Mitgliedern, die seit der Öffnung des Landes der Partei beigetreten sind, und andererseits zwischen der nationalen Führungsebene und dem weiten Netzwerk lokaler Ortsgruppen.

Die einzige Person, die den innerparteilichen Konflikt schlichten könnte, ist Suu Kyi. "Suu Kyi hält sich allerdings aus den parteiinternen Angelegenheiten heraus, macht internationale Reisen und tritt im Parlament auf. Um den Parteiaufbau kümmert sie sich zu wenig", stellt Will fest.

NLD-Mitglieder vor der Parteizentrale (Foto: picture-alliance/dpa)
NLD-Mitglieder unmittelbar vor der Entlassung Suu Kyis aus dem HausarrestBild: picture-alliance/dpa

Ein Mangel an politischer Erfahrung verschärft den Konflikt der NLD zusätzlich. Viele führende Mitglieder der NLD haben Jahrzehnte im Gefängnis verbracht. Es fehlt der NLD an Politikern, die sich zum Beispiel in der Wirtschafts-, Verkehrs- und Bildungspolitik auskennen. Ein Verlust an Einfluss gegenüber der Regierung und interne Auseinandersetzungen sind die Folge.

Preis der Politik

Suu Kyis Rolle war und ist - ungeachtet aller Kritik - sehr wichtig, wie der Südostasienexperte Marco Bünte betont. Sie war es, die eine Brücke zwischen Opposition und Regierung geschlagen hat: "In meinen Augen hat Aung San Suu Kyi wesentlich zur Vertrauensbildung zwischen den beiden lange Zeit verhärteten Lagern beigetragen." Und ohne dieses Vertrauen zwischen Suu Kyi und Staatspräsident Thein Sein hätte es weder einen Wandel noch eine Rückkehr in die Staatengemeinschaft gegeben.

Dass sich mit diesem Wandel und mit Suu Kyis Wahl ins Parlament ihre Rolle ändern würde, liegt für Bünte vom GIGA-Institut in Hamburg auf der Hand: "Früher war sie sicherlich Hardliner-Oppositionelle, heute ist sie eher als Pragmatikerin einzustufen. Früher war ihre Politik eher symbolisch und an das Ausland gerichtet, heute unternimmt sie ganz pragmatische Reformschritte im Inland."

Will von der Stiftung Wissenschaft und Politik stellt nüchtern fest: "Das ist der Preis der Politik. Wer Politik macht, muss Kompromisse machen und von den hehren Prinzipien abweichen."

Politikerin statt Ikone

Schon im Dezember 2011 hatte Suu Kyi während des Besuchs von US-Außenministerin Hillary Clinton gesagt, dass sie lieber als Politikerin und nicht als Ikone wahrgenommen werden würde. Clinton entgegnete: "Bereiten Sie sich auf Angriffe vor."

Hillary Clinton und Suu Kyi (Foto: AP)
Dezember 2011: Hillary Clinton zu Besuch in MyanmarBild: AP

Die vorhergesagten Angriffe sind inzwischen eingetreten, aber Suu Kyi hält an ihrer neuen Rolle als Mitglied des Parlaments fest. Als sie in einem Interview der BBC mit dem Thema des Rohingya-Konflikts konfrontiert wurde, weigerte sie sich, konkret zu werden: "Beide Seiten sind enttäuscht, da ich mich nicht für ihre Sache verwende. Meiner Ansicht nach brauchen wir aber zuerst Rechtsstaatlichkeit, und dass sich die Menschen wieder sicher fühlen. Dann erst können wir uns den anderen Problemen zuwenden."

Will ist skeptisch, dass diese neutrale, scheinbar pragmatische Haltung mittelfristig erfolgreich sein kann. Er sieht darin eher ein Manöver, um die Machtbasis auszubauen und eigene Unzulänglichkeiten zu verdecken: "Pragmatisch ist Suu Kyi nur im Umgang mit der Regierung, mit der sie Kompromisse schließt, um an Einfluss zu gewinnen. Das sind taktische Zugeständnisse, die verdecken sollen, dass die NLD eigentlich keine Strategie hat."

Suu Kyi hat ihre alte Rolle hinter sich gelassen und die NLD ins Parlament geführt. Allerdings sind sie und ihre Partei noch weit davon entfernt, ihre neue Rolle ausfüllen zu können.