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Weckruf an Washington

Michael Knigge11. Juli 2014

Der drastische Schritt, den CIA-Repräsentanten auszuweisen, ist der verzweifelte Versuch Berlins, Washington wachzurütteln. Die USA sollten das Signal ernst nehmen, meint Michael Knigge.

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Merkel und Obama in Washington 02.05.2014 Foto: MANDEL NGAN/AFP/Getty Images
Bild: Mandel Ngan/AFP/Getty Images

Die deutsch-amerikanische Partnerschaft ist ein stabiles Gebilde. Es hat zahlreiche schwierige Belastungsproben während des Kalten Krieges und danach - zum Beispiel den Streit über den Irak-Krieg - überstanden. Und dennoch könnte die von den Snowden-Enthüllungen vor einem Jahr ausgelöste und seitdem eskalierende Krise über die Ausspähaktivitäten der US-Dienste in Deutschland die deutsch-amerikanische Partnerschaft ins Wanken bringen. Zwar erfolgt der Abgesang auf das transatlantische Verhältnis spätestens seit dem Fall der Berliner Mauer in regelmäßigen Abständen. Trotzdem drohen die Beziehungen diese Mal wirklich aus den Fugen zu geraten.

Wenn der US-Botschafter in Berlin innerhalb weniger Tage mehrmals einbestellt wird, ist die Lage tatsächlich ernst.

Wenn führende deutsche Regierungspolitiker das Verhalten der USA in ungewöhnlich deutlicher Sprache kritisieren, ist die Lage tatsächlich ernst.

Und wenn die sicherlich nicht zu emotionalen Reaktionen neigende Bundeskanzlerin Merkel, die den seit einem Jahr nicht versiegenden Strom an Enthüllungen über Ausspähaktivitäten gegen sie persönlich und gegen Deutschland ruhig, manche Beobachter würden sagen fast stoisch, ertragen hat, jetzt den Rauswurf des Top-CIA-Vertreters abgesegnet hat, dann ist die Lage tatsächlich sehr ernst.

Washington bewegt sich nicht

Politisches Fehlversagen zuzuweisen ist oftmals schwieriger als es auf den ersten Blick erscheint, aber nicht in diesem Fall. Washington hat seit dem Beginn der Krise bislang keinerlei ernsthafte Versuche unternommen, wenigstens zu versuchen auf die deutschen Bedenken einzugehen, geschweige denn sie zu lindern.

Deutsche Welle Michael Knigge Foto: DW
Die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA drohen aus den Fugen zu geraten, meint Michael KniggeBild: DW/P. Henriksen

Betrachtet man die bisherige Reaktion der US-Regierung auf die deutschen Bedenken, so lässt sich Washingtons Haltung mit drei Schlagworten umschreiben: Renitenz, Gleichgültigkeit und Ahnungslosigkeit.

Dabei erwartete die deutsche Regierung eigentlich nicht viel von der US-amerikanischen. Anfänglich, nachdem bekannt wurde, dass die USA das Handy der Kanzlerin abhörten, hätte wahrscheinlich schon ein ehrliches Zeichen des Bedauerns - keine offizielle Entschuldigung - die Lage wieder deutlich entspannt. Stattdessen blieb das Weiße Haus stumm und schickte zwei Kongress-Hinterbänkler nach Berlin.

Business as usual

Auch danach regierte Berlin besonnen auf Washingtons Ablehnung eines von Deutschland propagierten - aber von Anfang an unrealistischen - No-Spy-Abkommens zwischen beiden Staaten. Stattdessen begnügte sich die deutsche Regierung mit einem als Cyber-Dialog bezeichneten Ersatzprojekt, einem Feigenblatt fürs Nicht-Handeln. Doch nur wenige Tage nach der ersten Konferenz zerstörten die neu bekannt gewordenen Spionagefälle das noch vorhandende Rest-Vertrauen zwischen beiden Ländern.

Offenbar hat es die Obama-Regierung trotz der weltweiten Aufregung um "Handygate" nicht für nötig befunden die Geheimdiensttätigkeiten in Deutschland zumindest vorübergehend, bis die Krise vorbei ist, einzuschränken - um weiteren Schaden abzuwenden. Dies wäre ein pragmatischer und weitsichtiger Schritt gewesen. Er hätte Washington kein politisches Kapital gekostet und hätte nichts am Status quo geändert.

Negatives Image

Aber dazu bedarf es des Wissens über die Befindlichkeiten in Deutschland sowie politischer Führung und politischem Willen in Washington; an allem besteht derzeit offenbar ein Defizit.

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen befinden sich in einer gefährlichen Situation. Das Vertrauen der Deutschen in die USA ist neuen Umfragen zufolge auf einem Tiefpunkt. Natürlich ist das nur eine Momentaufnahme. Noch schlimmer ist jedoch die realistische Perspektive, dass die nach Ende des Kalten Krieges sozialisierten Generationen mit einer überwiegend negativen, weil von Irak-Krieg und NSA-Skandal geprägten, Einstellung gegenüber den USA aufwachsen. Washington sollte dies verhindern.