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Auf dem Weg zum Elder Statesman

Sabine Kinkartz15. Februar 2014

Vor sieben Jahren hat Altbundeskanzler Schröder seine Memoiren veröffentlicht. Jetzt folgt mit "Klare Worte" ein Interview-Band. Bei der Buchvorstellung zeigte sich der bald 70-Jährige fast altersmilde.

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Gerhard Schröder bei seiner Buchvorstellung (Foto: Adam Berry/Getty Images)
Bild: Adam Berry/Getty Images

Ein Mann, zwei Blickwinkel: "Schröder, sein trauriges Leben nach der Macht", so titelt das Magazin "Stern" auf dem Cover seiner aktuellen Ausgabe. Der Altkanzler habe keine richtige Aufgabe mehr, er habe falsche Freunde und eine Frau, die eigene Wege gehe. "Er war einmal", heißt es weiter hinten im Artikel, in dem Gerhard Schröder auf einem doppelseitigen Foto mit Bodyguard bei einem einsamen Spaziergang an einer etwas verwahrlost wirkenden Straße in Hannover gezeigt wird.

Einen anderen Blickwinkel hat Martin Schulz, Präsident des Europa-Parlaments, Parteifreund und politischer Weggefährte des Altkanzlers. "Gerhard Schröder ist für mich einer der ganz großen Politiker in Deutschland. Ich bin sicher, dass das in den nächsten Jahren noch wesentlich stärker herausgearbeitet werden wird als bisher." Schröder sei ein großer Staatsmann, der viel für die weltweite Reputation Deutschlands getan habe.

Von Fröschen und Freunden

Das sind Sätze, die man von einem Laudator erwarten kann. Doch dann wird Martin Schulz persönlich. "Die Zahl der Freunde Gerhard Schröders nimmt in der öffentlichen Wahrnehmung manchmal ab." Das liege aber auch daran, fügt er mit leichter Ironie hinzu, dass FroGS, wie sich die "Friends of Gerhard Schröder" nennen würden, manchmal unter der Wasseroberfläche seien. "Ich habe mich immer bemüht, über der Wasseroberfläche zu bleiben und bin deshalb stolz, ihn meinen Freund nennen zu dürfen."

Ob Schröder gerührt ist? Das kann eigentlich nur Schulz selbst sehen, der bei seiner Laudatio anlässlich der Vorstellung von Schröders Buch "Klare Worte" dem in der ersten Reihe sitzenden Altkanzler direkt ins Gesicht schauen kann. In den Reihen hinter Schröder sitzen fast 300 Gäste, darunter rund 100 Journalisten, die an diesem Freitagmittag (14.02.2014) ins Atrium der Deutschen Bank Unter den Linden gekommen sind. Der Verlag Herder und die Alfred Herrhausen Gesellschaft, das internationale Forum der Deutschen Bank, haben zu der Präsentation eingeladen.

O-Ton Martin Schulz

Genosse der Bosse

Anshu Jain, Kuratoriumsvorsitzender der Herrhausen Gesellschaft und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, spricht das Grußwort. Es wirkt wie selbstverständlich, schließlich galt Schröder, der als erster Chef einer rot-grünen Regierung 1998 ins Kanzleramt einzog und die Geschicke der Bundesrepublik bis 2005 lenkte, immer als "Genosse der Bosse". Die Bezeichnung habe ihn nie gestört, sagt Schröder. Für die Arbeitnehmer sei es nicht schlecht, wenn es der Wirtschaft gut gehe.

"Wenn es ihr schlecht geht, können die SPD und die Gewerkschaften sie bedingt schützen, aber eben nur bedingt." Insofern gebe es eine Erwartung an eine prosperierende Wirtschaft. "Die Arbeitsnehmer wollen auch, dass ihre Spitzenleute eine vernünftige Beziehung zur Wirtschaft haben. Das hat mich immer geleitet und ich denke, das war nicht falsch."

Die Agenda 2010 und ihre Folgen

Schröder sagt das in einer Podiums-Runde mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und Michael Naumann, der unter dem Altkanzler Staatsminister für Kultur und Medien war. Von einer Diskussion kann bei soviel politischer Übereinstimmung natürlich keine Rede sein. Naumann gibt den Moderator, indem er Schröder launig formulierte Stichworte für einen anekdotischen Rückblick liefert. Was falsch gelaufen sei, dass nach dem In-Kraft-Setzen der Agenda 2010, mit der das deutsche Sozialsystem und der Arbeitsmarkt grundlegend reformiert wurden, "buchstäblich hunderte, meist übergewichtige DGB-Funktionäre, in rote Plastiksäcke gekleidet mit der Trillerpfeife gegen ihren eigenen Genossen angingen", will Naumann beispielsweise wissen.

Demonstranten gegen die Agenda 2010 (2004) (Foto: picture-alliance/dpa)
Umstrittene Entscheidung in einer schwierigen ZeitBild: picture-alliance/dpa

Da sei nichts schief gegangen, erwidert der Altkanzler, der von Naumann übrigens nicht als solcher angesprochen werden will. "Herr Schröder ist richtig, das bin ich", sagt er. "Gewerkschaften und unsere eigene Partei sind Organisationen, denen das, was sie selbst auf die Beine gestellt haben, nie genug ist - möglicherweise auch nie genug sein darf." Die SPD sei eine Institution, die die Welt verbessern wolle, selbst die, die sie selber mit geschaffen habe. "Das ist übrigens einer der Gründe, warum ich da Mitglied bin."

Konflikte mit Lafontaine

Kein SPD-Mitglied mehr ist Oskar Lafontaine, bis 1999 enger Wegbegleiter von Gerhard Schröder und für ein halbes Jahr sein erster Finanzminister. Lafontaine sei für ihn einer der begabtesten Politiker, den er je kennengelernt habe, sagt Schröder. "Ich halte ihn allerdings auch für einen Mann, der immer nur geliebt werden will, jedenfalls von seiner Klientel." Verantwortliche Politik zu machen, heiße aber auch, bisweilen gegen die Wünsche der eigenen Klientel verstoßen zu müssen, wenn es im Interesse des Landes sei. "Das war, glaube ich, der Hauptkonflikt zwischen uns, auch wenn er das sicherlich nicht so sehen würde."

Es muss Korrekturen geben

"Anders als viele Politiker, die zuerst darauf schielen, was für ihre Wiederwahl nützlich ist, hat Gerhard Schröder dafür gestritten, was er für notwendig hielt", sagt Martin Schulz zur Agenda 2010 und ihren Folgen. Auch Anshu Jain hat ein Lob parat. "Der wirtschaftliche Erfolg und der Respekt, den die Welt heute vor Deutschland hat, ist maßgeblich auf die Agenda 2010 zurückzuführen." Er erinnere sich gut an die zum Teil mörderische Kritik an der Agenda-Politik, sagt Michael Naumann. Aber vielleicht sei das so wie bei einem "guten Bordeaux", der werde mit den Jahren auch immer angenehmer und bekömmlicher.

Und was sagt der Urheber der Agenda? Es sei nicht die Bibel und er nicht Moses, hat er schon vor Jahren gemeint. "Es mag da Fehlentwicklungen gegeben haben", sagt er heute. Die müssten korrigiert werden. Hinter der Philosophie, dass jedes Individuum verpflichtet sei, etwas für sich selbst, seine Familie und die Gesellschaft zu tun, stehe er aber bis heute, betont Schröder. Erst wenn das nicht gehe, wegen Krankheit, Alter oder Jugend, dann sei es selbstverständliche Pflicht des Sozialstaats, zu unterstützen.

O-Ton Gerhard Schröder

Ein besonderes Geburtstagsgeschenk

Ernst wird der Altkanzler beim Thema NSA-Affäre, denn auch seine Regierung wurde wohl vom US-Geheimdienst abgehört. Dahinter stecke "ein Maß an Misstrauen Freunden gegenüber, das ich für völlig unberechtigt halte", sagt er. Schließlich habe er als Kanzler sogar seinen Job riskiert, als er 2001 wegen des Afghanistan-Einsatzes die Vertrauensfrage im Bundestag gestellt habe. Dass man ihn trotzdem abgehört habe, sei nicht gerecht.

Konkret über das Buch wurde auf der Präsentation übrigens kaum gesprochen. Warum er es eigentlich geschrieben habe, will eine Journalistin am Ende noch wissen. "Das war das Geburtstagsgeschenk an mich selber", sagt Gerhard Schröder und grinst. Mehr sagt er nicht.