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Atteslander: "Die Schweiz war schon immer international"

Christian Ignatzi9. Februar 2014

Die Schweizer wollen mehrheitlich eine Begrenzung der Zuwanderung. Jan Atteslander vom Wirtschaftsverband Economiesuisse ist überzeugt, dass das Abstimmungsergebnis der Schweizer Wirtschaft schaden wird.

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Jan Atteslander
Bild: Jan Atteslander

DW: Herr Atteslander, gibt es in der Schweiz zu viele Ausländer?

Jan Atteslander: Es kommen die Ausländer in die Schweiz, die wir hier brauchen, die hier einen Arbeitsplatz haben, und das ist sehr positiv für beide Seiten. Es gibt auch viele Schweizer, die in Deutschland oder Frankreich leben. Also es ist für beide Seiten okay.

In Österreich leben 11,6 Prozent Ausländer, in der Schweiz doppelt so viele, bei etwa gleicher Einwohnerzahl. Warum gibt es da so einen großen Unterschied?

Die Schweiz war immer schon ein internationaler Platz. Ich glaube, das war schon seit der Völkerwanderung so. Ohne Zynismus kann man auch sagen, dass sich viele Leute in der letzten Zeit nicht mehr einbürgern ließen. Das führt also strukturell ein bisschen zu höheren Ausländerquoten. Wichtig ist aber nicht die Ausländerquote als solche, sondern wie gut die Leute integriert sind.

Die nationalkonservative bis rechtspopulistische Partei SVP spricht von 80.000 Ausländern pro Jahr, die neu in die Schweiz kommen. Das ist die Einwohnerzahl einer mittelgroßen Stadt. Ist dafür überhaupt Platz?

Irgendwann kommt man da schon an Grenzen, das ist klar. Wir haben aber auch Jahre gehabt, in denen wir kaum Einwanderung hatten. Das sind strukturelle und auch zyklische Effekte. Momentan ist die Schweiz ein sehr gesundes Land, gesellschaftlich und vor allem auch wirtschaftlich. Unsere Wirtschaft blüht, ähnlich wie die süddeutsche, und da braucht es Leute, die arbeiten. Wir selbst haben zu wenig ausgebildet. Es ist auch so, dass wir in den Ballungsgebieten seit jeher - und das hat nicht nur mit der Zuwanderung zu tun - einen knappen Wohnraum haben. Aber in München, Frankfurt und Stuttgart finden sie auch nicht einfach ohne weiteres eine tolle Wohnung zu einem günstigen Preis. Ich glaube, das ist ein Phänomen in vielen städtischen Gegenden. Es gibt in der Schweiz auch noch viele Gegenden, beispielsweise in der Westschweiz, im Emmental oder im Jura, wo es alles andere als stark bevölkert ist.

Was bedeuten die Ausländer für die Schweizer Wirtschaft?

Die sind sehr, sehr wichtig. Wir haben heute ein globales Problem. Man nennt dies auf Neudeutsch: War for Talent. Und globalisierte, gut integrierte Wirtschaften brauchen hochqualifizierte Leute, Spezialisten. Diese fehlen weltweit. Dann ist es auch so, dass wir Teile in der Wirtschaft haben, wo es nicht nur um hochqualifizierte Jobs geht. Der Tourismus vielleicht. Da gibt es auch viele Stellen, bei denen man keine Top-Qualifizierung braucht. Wenn Sie heute in der Schweiz ein kleines Haus bauen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Maurer ein Portugiese oder Mazedone ist. Eine gesunde Wirtschaft schafft Arbeitsplätze. Wenn man die mit inländischen Leuten nicht besetzen kann, braucht es eben Ausländer.

Man sollte also immer zuerst versuchen, Inländer einzustellen?

Nein, aber die SVP geht noch weiter. Die sagen: Vorrang für Schweizer Bürger, also Leute mit dem roten Pass. Es kann also passieren, dass jemand hier seit Jahrzehnten Steuern zahlt, und dann bei einer offenen Stelle für einen Facharbeiter hören muss, man müsste zuerst schauen, ob ein Schweizer gefunden werden kann. Solche Systeme mit Kontingenten hatten wir früher. Die haben sich aber nicht bewährt.

Warum will die SVP das jetzt trotzdem durchsetzen?

Da müssen Sie die SVP fragen. Klar gibt es Ballungsgebiete, wo es schwierig ist, Wohnraum zu finden. Man kann dann natürlich sagen, dass man die Zuwanderung drosselt, man kann aber auch sagen, das sind sachpolitisch anders lösbare Themen, dadurch, dass man mehr in öffentliche Verkehrsinfrastrukturen oder Wohnungsbauprojekte investiert.

Tendieren Schweizer vielleicht ein bisschen zum Rassismus?

Nein, in der Schweiz haben wir keinen einzigen Rassisten. Die sind alle im Ausland. (lacht) Nein, Spaß Beiseite. In jedem Land gibt es Rassisten. Es ist wichtig, dass man sich mit den Themen auseinandersetzt und Lösungen findet. Die Wirtschaft unterstellt der SVP keine rassistische Ideologie oder Programmatik. Wir haben hier Begleiterscheinungen durch ein starkes Wirtschaftswachstum. Wir sind auch bereit, über Lösungen zu reden. Aber nicht auf die Art, dass man einen der Hauptfaktoren des Wachstums abmurkst.

Welche Lösungen könnte es dann geben?

Was wir sicher feststellen können: Migrationsfragen gibt es nicht nur in der Schweiz, sondern auch in vielen unserer Nachbarstaaten. Da sind wir auch in Kontakt mit Wirtschaftsverbänden oder Politikern. Wir beobachten das sehr genau. Ich kann mir schon vorstellen, dass man in Europa in der Zukunft Sachen anpasst, gerade beim Zugang zur sozialen Fürsorge, wo die Schweiz nicht mitmacht. Aber insgesamt ist es so, dass die Idee eines Binnenmarktes bedeutet, dass sich Leute frei bewegen können, wenn sie einen Arbeitsvertrag haben. An diesem Prinzip will die SVP rütteln, und das ist nicht kompatibel mit unseren bisherigen Abmachungen mit der EU. Sachpolitische Lösungen werden auch bei Verkehrsinfrastrukturen, Raumplanung, Ausbildung und dem Rentensystem zu suchen sein.

Jan Atteslander leitet die Abteilung Außenwirtschaft des Schweizer Wirtschaftsverbands "Economie Suisse". Der 50-Jährige ist studierter Volkswirt.