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Atomkraft weltweit

11. März 2012

Die USA wollen nach Jahrzehnten des Stillstands wieder neue Atomkraftwerke bauen - genauso wie China und Indien. Eine Renaissance der Atomkraft ist trotzdem unwahrscheinlich.

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Atomkraftwerk Mülheim Kärlich im Jahr 1984 (Foto: DW, Gero Rueter)
Bild: DW/G.Rueter

US-Präsident Barack Obama ist ein bekennender Atomkraft-Anhänger. 30 Jahre lang wurde in den USA kein Neubau eines Atomreaktors mehr genehmigt, doch das hat sich unter der Regierung von Obama geändert: Das schon bestehende Kernkraftwerk "Vogtle" im Bundesstaat Georgia soll zwei neue Reaktoren erhalten. Die Kosten werden auf 14 Milliarden US-Dollar geschätzt, bereits in vier bis fünf Jahren sollen die Atomreaktoren ans Netz gehen. Weitere Anträge für den Bau zusätzlicher Atomkraft-Anlagen liegen der Regierung bereits vor.

Aber nicht nur in den USA gibt es neue Bauprojekte. Vor allem Asien ist an der Technologie interessiert. In Indien und China sollen direkt Dutzende neue Atomkraftwerke entstehen, selbst nach dem Atomunglück im japanischen Fukushima halten die meisten asiatischen Staaten an ihren grundsätzlichen Atomplänen fest.

Polnische Atomkraft in zehn Jahren?

Andere Länder, die bisher noch keine derartigen Kraftwerke gebaut haben, schwenken nun um. Polen, das bisher massiv auf Kohle als Energiequelle setzt, will seine Pläne für das erste polnische Atomkraftwerk weiter voranbringen. Polens Premier Donald Tusk kommentierte den in Deutschland beschlossenen Atomausstieg mit den Worten: "Wenn jemand kein Atomkraftwerk bauen will, dann ist es sein Problem. Wir indes glauben fest daran, dass Atomkraft eine gute Alternative ist, wenn es um Energieerzeugung geht."

Wann es allerdings so weit sein wird, ist noch unklar. Die polnische Atomlobby lässt verbreiten, dass Polen spätestens in zehn Jahren über mindestens ein Atomkraftwerk verfügen wird. Experten wie der Berliner Umweltwissenschaftler Lutz Mez bezweifeln das. Er sieht Polen vor einer Riesen-Aufgabe stehen, denn im Land gebe es noch kein Fachpersonal, das solche Anlagen betreiben könne. Außerdem fehle ausgebildetes Personal für die staatliche Kontrolle und Lizenzierung, und "allein solche Behörden aufzubauen dauert in der Regel 15 Jahre. Absichtserklärungen, Wünsche und Planungen heißen noch lange nicht, dass Projekte auch tatsächlich realisiert werden können", meint Mez im Interview mit der Deutschen Welle.

"Die Zahl der Atomkraftwerke wird abnehmen"

Nach wie vor gibt es viele Länder, die bei der Stromerzeugung auch in Zukunft auf die Atomenergie setzen werden. Doch die Atompolitikexpertin Rebecca Harms geht davon aus, dass die Zahl der Atomkraftwerke insgesamt zurückgehen wird. Im DW.DE-Interview betonte die Europa-Parlamentarierin der Grünen, dass "der Prozess des Ausstiegs im Gange ist. Es wird in den nächsten Jahrzehnten noch einige Neubauten geben. Aber bis 2030 oder 2035 wird die Zahl der Atomkraftwerke eher abnehmen." Die hohe Zeit der Atomkraft, so die Kernkraftgegnerin Harms, liege schon längst hinter uns.

Dr. Lutz Mez, Umweltpolitik-Experte aus Berlin (Foto: Lutz Mez)
Dr. Lutz Mez, Umweltpolitik-ExperteBild: Dr. Lutz Mez

Ähnlich sieht es Umweltpolitik-Experte Lutz Mez. Selbst in Frankreich – dem Land mit den meisten Atomkraftwerken in Europa – finde ein Umdenken statt. Gerade um große Energieschwankungen aufzufangen seien andere, flexiblere Kraftwerkstypen erforderlich. Denn Atomkraftwerke könnten nicht mal eben schnell hoch- und wieder runtergefahren werden. "Zum Beispiel wenn die Arbeitszeit zu Ende ist und die Leute nach Hause gehen, dann wird wesentlich mehr Strom verbraucht. Das kann man nicht vorhalten. Aus diesem Grund ist es eher wahrscheinlich, dass sich der Anteil auch in Frankreich in den nächsten Jahren reduziert."

In wenigen Wochen wird zudem ein neuer französischer Präsident gewählt. In Umfragen liegt der sozialistischen Herausforderer François Hollande deutlich vor dem jetzigen Amtsinhaber Nicolas Sarkozy. Während Sarkozy sich für die Atomkraft stark macht, will Hollande den Anteil an der Stromversorgung von 75 auf 50 Prozent verringern. Laut Wahlprogramm soll zunächst das alte Atomkraftwerk in Fessenheim im Grenzgebiet zu Deutschland abgeschaltet werden.

Chinas und Indiens Energiehunger

Schwellenländer haben dagegen andere Prioritäten. Allein China muss Jahr für Jahr 60.000 Megawatt neue Kraftwerksleistung ins Netz einspeisen, um Strom für das enorme Wirtschaftswachstum liefern zu können. "Da spielen die Atomkraftwerke nur eine nachgeordnete Rolle", ordnet Lutz Mez die Zahl ein. "Das sind in der Regel Kohlekraftwerke. Alle zwei Wochen geht in China ein 500 Megawatt-Kohlekraftwerk ans Netz, oder in den letzten zwei bis drei Jahren verstärkt auch Anlagen für erneuerbare Energien."

In China beträgt der Atomstrom-Anteil zudem insgesamt nur zwei Prozent. Dasselbe gilt für Indien. Im Vergleich zu Frankreich ein verschwindend geringer Anteil: Hier werden rund 80 Prozent der elektrischen Energie aus Kernkraft bezogen. Der hohe Bedarf an Strom erklärt sich in Frankreich auch durch viele ineffiziente Strom-Heizungen, die im Land weit verbreitet sind. Um eine Wohnung oder ein Haus mit Strom heizen zu können, muss im Vergleich zu Gas- oder Öl-Heizungen wesentlich mehr Energie aufgewendet werden. Frankreich hat also ein riesiges Einspar-Potential: Würden die Heizungen umgerüstet, würde auch deutlich weniger Atomstrom gebraucht. Der Trend ginge dann eindeutig hin zu weniger Atomkraftwerken.

In den USA dagegen werden nun zwei neue Atomkraftwerke gebaut. Lutz Mez zufolge fällt das statistisch gesehen aber nicht sonderlich ins Gewicht: "Im Vergleich zu 104 Reaktoren die ersetzt werden müssen, sind zwei Reaktoren auch nur zwei Prozent der installierten Leistung. Das sind im Verhältnis zu den konventionellen Gaskraftwerken, die gleichzeitig gebaut werden, wirklich Peanuts."

Kostenfalle Atomkraftwerk

AKW Mülheim Kärlich 1984 (Foto: DW, Gero Rueter)
Eine Atomkraft-Renaissance ist nicht in SichtBild: DW/G.Rueter

Neben der vieldiskutierten Sicherheit von Atomkraftwerken kommen zunehmend wirtschftliche Gründe zum Tragen, wenn über den Neubau von Reaktoren gesprochen wird. In neue Gaskraftwerke zum Beispiel muss laut Mez fast zehn Mal weniger investiert werden als in Atomkraftwerke. Ein neues Atomkraftwerk kostet heute laut Atompolitikexpertin Rebecca Harms rund sieben Milliarden Euro.

Der Fall Asse zeigt zudem, welche enormen Folgekosten durch den Betrieb eines Reaktors entstehen können. Das Lager im Bundesland Niedersachsen mit schwach- und mittel-radioaktivem Atommüll ist marode, Wasser dringt in die unterirdischen Schächte. Eine Bergung des Mülls würde Milliarden kosten und Jahrzehnte dauern. Umweltpolitik-Experte Mez ist der Meinung, dass es "immer riskanter ist, solche teuren Investitonen zu machen, bei denen man sich nicht sicher ist, ob sie sich refinanzieren." Immer noch gebe es kein Endlager für stark radioaktiven Atommüll, der Rückbau abgeschalteter Reaktoren sei kostspieliger als erwartet, deshalb werde die Atomkraft keine Renaissance erleben.

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hatte noch 1974 prognostiziert, dass die weltweite Leistung durch Atomkraftwerke im Jahr 2000 insgesamt 4500 Gigawatt betragen werde. Im Jahr 2010 erreichte der Wert jedoch nur 375 Gigawatt. In Zukunft wird die Energieversorgung wohl auch weiterhin nur zu einem kleinen Teil von Atomenergie abgedeckt werden.

Autor: Klaus Jansen
Redaktion: Andreas Noll