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Taiwans Artenvielfalt fehlt der Platz

Ulrike Gebhardt29. Januar 2013

Die unzugängliche Bergwelt bewahrt große Teile der einmaligen Artenvielfalt in Taiwan. Doch im dicht besiedelten Flachland ringen Forscher um jeden Zentimeter Lebensraum für Pflanzen und Tiere.

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Foto: Ein bunter Vogel sitzt auf einem Zweig (Foto: CC BY SA 3.0: Snowyowls/Wikipedia: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mikado_Pheasant_398.jpg?uselang=de)
Eine der seltensten Meisenarten überhaupt: Die Formosameise kommt nur auf Taiwan vor.Bild: CC/Robert tdc

Glücklicherweise gibt es keine Bulldozer, die Taiwans Berge einfach ein wenig in das Meer schieben können, um Platz zu schaffen. „Ansonsten wäre hier sicherlich noch viel mehr Landesfläche zugebaut - mit Industriegebäuden, Häusern und Autobahnen“, sagt Bruno Walther. Der Biologe arbeitet seit drei Jahren an der Taipei Medical University, wo er Studenten in Umweltwissenschaften und medizinischer Ökologie unterrichtet. Etwa die Hälfte des Landes ist wegen der hohen Gebirgszüge unbebaubar. Da der Mensch hier gar nicht einwirken kann, sind Flora und Fauna oft noch unberührt.

Die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt in Taiwan ist üppig. Das liegt zum einen an der Fülle von Landschaftsformen, die sich zwischen der Küstenregion und dem Hochgebirge entfalten. Von Korallenriffen, Feuchtgebieten, Regenwäldern bis hin zur alpinen Bergwelt mit Gipfeln über 3.000 Meter Höhe ist alles dabei. Zum anderen liegt die Insel in zwei Klimazonen, der Norden ist subtropisch, der Süden tropisch. Doch die Artenvielfalt ist bedroht. Dass trotz der rasanten Industrialisierung und Verdreifachung der Bevölkerungszahl in den letzten 50 Jahren noch keine einschneidenden Verluste zu verzeichnen sind, verdanke Taiwan hauptsächlich seiner Geologie, sagt Walther. Seine große Leidenschaft gilt der Vogelwelt Taiwans. Zusammen mit Forschern des Taiwan Endemic Research Institute beobachtet und zählt er, welche und wie viele der hier nachgewiesenen 589 Vogelarten in den verschiedenen Landesteilen vorkommen.

Quelle: http://www.flickr.com/photos/wmjas/847988269/ Lizens: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/ +++CC/Wm Jas+++ 15.07.2007, geladen am 21.01.2013
Gebirgsansicht TaiwanBild: CC/Wm Jas

Brut- und Nistplätze werden zu Bauland

Jedoch leben die meisten der 17 Vogelarten, die es nur in Taiwan und sonst nirgendwo auf der Welt gibt, in den Hochgebirgsregionen. Eine dieser endemischen Arten, der Mikadofasan ist in 1.800 bis 2.500 Metern Höhe anzutreffen, das Taiwan-Goldhähnchen bewohnt hauptsächlich Nadelwälder in den höheren Bergregionen und auch die einzigartige Formosa-Meise liebt den Wald in luftiger Höhe.

Deutsch: Mikadofasan, English: Mikado Pheasant 25. November 2005, geladen am 21.01.2013 +++CC/Snowyowls+++ Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mikado_Pheasant_398.jpg?uselang=de Lizens: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de
Mikadofasan Männchen (Syrmaticus mikado)Bild: CC/Snowyowls

Schwerer haben es da die Vögel, die in der flachen Ebene zu Hause sind. Sollte noch mehr gebaut oder etwa mehr der ohnehin knappen Brachlandflächen, wie vom Umweltminister vorgeschlagen, für die Produktion erneuerbarer Energien genutzt werden, könnte es für manche Arten noch enger werden. Mehr als 95 Prozent der ebenen Landesflächen sind ohnehin schon bebaut oder werden landwirtschaftlich genutzt. „Durch den massenhaften Anbau von Zuckerrohr oder Graspflanzen für die Energiegewinnung würden weitere Rückzugsgebiete für Tiere wegfallen und seltene Wachtel- oder Rallenarten, wie die taiwanische Graubrustralle wäre vom Aussterben bedroht“, sagt Vogelforscher Walther.

Nicht nur Tiere, auch Pflanzen haben keine Chance, wenn ihnen der Lebensraum genommen wird. So hätte der Bau einer Waldstraße mitten durch eines der beiden Hauptverbreitungsgebiete einen seltenen Farn fast ausgerottet. „Auf der ganzen Insel gibt es inzwischen nur noch 20 bis 30 Pflanzen dieser endemischen Art“, sagt Ralf Knapp, der im letzten Jahr ein mehr als tausendseitiges Buch über die Farne Taiwans („Ferns and Fern Allies of Taiwan“) herausgegeben hat. Einige wenige Exemplare findet der Hobbybotaniker inzwischen nur noch bei seinen Exkursionen in die subtropischen Wälder rund um die Hauptstadt Taipeh.

+++Ralf Knapp+++ ralf.knapp@gmail.com forscht in Taiwan über Artenvielfalt, u.a. den endemischen Farn „Angiopteris itoi“
Angiopteris itoi, BlattunterseiteBild: Ralf Knapp

Erhalt der Artenviefalt konkurriert mit Traditionen

Glücklicherweise ist es gelungen, den Farn im Labor zu vermehren und im Gewächshaus aufzuziehen. Erste Auswilderungsversuche waren erfolgreich, sodass ein unmittelbares Aussterben dieser Art derzeit nicht zu befürchten ist. Sorge bereitet dem kundigen Pflanzenexperten das zunehmende Verschwinden großer Bäume aus dem Landschaftsbild. Trotz drakonischer Strafen komme es etwa immer wieder vor, dass der Kampferbaum absichtlich angesägt wird, damit er abstirbt, schildert Knapp, den es als Elektroingenieur vor 14 Jahren nach Taiwan verschlug - nicht nur die Pflanzenbegeisterung, inzwischen auch Frau und Kind ließen ihn bleiben.

Gefällt wird der Kampferbaum nun nicht aus Interesse an seinem Holz oder reiner Zerstörungswut. Teuer bezahlt wird vielmehr ein Pilz, der nur auf dem verrottenden Holz des Baumes optimal wächst und geerntet werden kann. Der kostbare Pilz wird in der traditionellen chinesischen Medizin zur Behandlung von Vergiftungen, Durchfall, Bluthochdruck und Leberkrebs genutzt. Doch nicht nur der Kampferbaum fällt dabei der Medizin zum Opfer. „Mit dem Baum sterben auch sämtliche Aufsitzerpflanzen (Epiphyten), die auf ihm leben, so wie einige Orchideenarten“, sagt Knapp.

Cinnamomum camphora at the Botanic Gardens, Adelaide, South Australia 27. Dezember 2007, geladen am 21.01.2013 +++CC/Peripitus+++ Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cinnamomum_camphora_-_Botanic_Gardens.jpg?uselang=de Lizens: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de
Kampferbaum (Cinnamomum camphora)Bild: CC/Peripitus

Die Bergwelt als sicherer Rückzugsort

Knapp arbeitet eng mit Wissenschaftlern des Taiwan Forestry Research Institute zusammen. Dort wie auch am Taiwan Endemic Research Institute (TESRI), das vor 20 Jahren gegründet wurde, engagiert man sich für den Erhalt der besonderen Artenfülle des Landes. Die Forscher studieren die Verbreitung und Lebensweise von Tieren und Pflanzen, entwerfen Strategien zum Schutz bedrohter Arten und informieren die Bevölkerung mit Ausstellungen und Workshops.

„In der Bevölkerung Taiwans setzt sich der Umweltschutzgedanke immer stärker durch“, sagt Ralf Knapp. Es gibt zahlreiche Nationalparks und Naturschutzgebiete und mehrere Dutzend Umweltschutzgruppen, wie das „Taiwan Watch Institute“ oder die „Society of Wilderness“. Vor einiger Zeit hat die Regierung beschlossen, keine neuen Straßen in das unzugängliche Hochgebirge zu bauen und bestehende Wege nicht mehr zu sanieren. Nicht der Umweltschutz, sondern wirtschaftliche Gründe gaben hierfür den Ausschlag. Die Forstwirtschaft im Land flaut ab, ein dichtes Wegenetz wird nicht mehr gebraucht. Für die Tiere und Pflanzen in Taiwans Bergwelt eine erfreuliche Entwicklung, ihr Lebensraum bleibt unangetastet.

+++Ralf Knapp+++ ralf.knapp@gmail.com forscht in Taiwan über Artenvielfalt, u.a. den endemischen Farn „Angiopteris itoi“
Ralf Knapp mit TochterBild: Ralf Knapp