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Solidarische Armutsbekämpfung

Sabine Hartert6. Juli 2012

Genossenschaften wirken nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland, meint Volkswirtschafts-Expertin Theresia Theurl. Im DW-Interview plädiert sie für die Selbsthilfe, doch das Konzept lässt sich nicht überall umsetzen.

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Unter der Anleitung deutscher Entwicklungshelfer bauen Männer im Niger einen Brunnen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Deutsche Welle: Was macht den Wert einer Genossenschaft aus?

Theresia Theurl: Ganz allgemein geht es darum, dass Menschen eine wirtschaftliche Existenz aufbauen können oder dass sie das, was sie erreichen möchten, besser erreichen können als wenn sie alleine versuchen würden, etwas aufzubauen. Dazu kommt, dass man versucht, sich selbst zu helfen, ohne nach dem Staat zu rufen. Diese Selbsthilfe halte ich für sehr wertvoll: Die Menschen sind in der Lage, etwas zu erwirtschaften, sie arbeiten nicht für anonyme Investoren und sind sehr nah an den Entscheidungen. Sie können die strategischen Weichenstellungen in ihren Genossenschaften auch wirklich beeinflussen - diese Mitbestimmung schätzen Menschen natürlich sehr.

Der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisen Verband (DGRV) arbeitet nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland. Wie können ausländische Genossenschaften von dieser Unterstützung profitieren?

Sie können zuerst einmal davon profitieren, dass der DGRV sehr viel Erfahrung hat. Und diese Erfahrungen kann er weitergeben, also kommt es zu einer Art Wissenstransfer: auch in der Frage, wie man überhaupt eine Genossenschaft aufbaut. Dazu kommt, dass Genossenschaften in Deutschland von speziellen Wirtschaftsprüfern geprüft werden. Auch dafür sollte man Strukturen aufbauen, denn die Menschen, die Genossenschaften gründen und leiten, sind ja nicht alle Wirtschaftsexperten.

Lässt sich das deutsche Genossenschaftswesen "Eins zu Eins" auf andere Länder übertragen?

Diese ganz grundlegende genossenschaftliche Idee "wir helfen uns selber, wir arbeiten zusammen und können dann etwas erreichen, was sonst nicht erreichbar ist", ist international, das gilt seit über 150 Jahren. Aber natürlich sind Genossenschaften auch gezwungen, sich an die rechtlichen Rahmenbedingungen der Länder anzupassen.

Kann ein Staat bei der Gesetzgebung versuchen, Genossenschaften zu "gängeln"?

Grundsätzlich gibt es diese Möglichkeit immer. Einerseits könnte der Staat Genossenschaften belasten durch strenge Regulierungen, andererseits könnte man auch sagen, der Staat würde sie fördern, indem er bestimmte Regelungen in die Gesetze schreibt. Beides ist für Genossenschaften eher schädlich, weil sie eben sehr stark auf Eigeninitiative aufbauen. Und Eigeninitiative bedeutet, die Menschen brauchen einen verlässlichen Rahmen und dann kümmern sie sich selbst um ihre Angelegenheiten. Aber der Staat hat Möglichkeiten, in beide Richtungen einzuwirken.

Porträt der Professorin Theresia Theurl von der Unviersität Münster Frau Prof. Theresia Theurl, sie ist Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen an der Universität Münster. Copyright: Theresia Theurl/Fotograf: Roman Mensing 2012
Theresia Theurl erläutert die Vorteile der GenossenschaftenBild: Roman Mensing

Könnte man daraus schließen, dass sich totalitäre Staaten mit Genossenschaften schwer tun?

Wenn man das konsequent zu Ende denkt, dann ist es schlicht und einfach so, dass Genossenschaften sehr liberal und markwirtschaftlich orientiert sind. Wenn ein Staat alles unter Kontrolle haben will, dann will er auch in diesem Bereich durchgreifen können. Er würde eher staatliche Unternehmen haben wollen oder Unternehmen, denen er das Management vorgibt. Das alles passt eben nicht zu Genossenschaften. Genossenschaften brauchen einen stabilen Rahmen, aber die Grundidee ist Eigeninitiative und Hilfe zur Selbsthilfe.

Ist die Organisation in Genossenschaften in Entwicklungsländern ein geeignetes Mittel zur Armutsbekämpfung?

Ja, sie ist ein sehr geeignetes Mittel, weil es eben um diese Hilfe zur Selbsthilfe geht. Man kann eine wirtschaftliche Existenz aufbauen, die sonst nicht entstehen würde. Das heißt, es ist für die Menschen gut, die in Genossenschaften arbeiten und  Eigentümer in Genossenschaften werden. Das bedeutet, es entstehen Arbeitsplätze und neue Einkommen. Dadurch kann eine Art regionaler Wirtschaftskreislauf aufgebaut werden. Das hat positive Auswirkungen auf eine ganze Region, einen Ort oder eine Kommune, also erzielt man auch positive gesellschaftliche Wirkungen. Es entsteht eine Eigendynamik, die letztlich als Nebeneffekt Armut insgesamt bekämpfen und wirtschaftliche Teilhabe schaffen kann.

Welchen Mehrwert hat das Genossenschaftswesen durch diese Entwicklungshilfe?

Ich sehe es als sehr positiv, dass die Idee der Genossenschaften, die nicht überall so bekannt ist, weiter verbreitet wird. Zudem ist es für das Image der Genossenschaften hier in Deutschland oder in anderen industrialisierten Ländern positiv, wenn man diese Idee weiter verbreitet, und es strahlt auch positiv zurück. Hinzu kommt, dass ich es für einen sehr positiven Ansatz der Entwicklungshilfe halte.

Theresia Theurl ist geschäftsführende Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen im Zentrum für Angewandte Wirtschaftsforschung der Universität Münster. Der Schwerpunkt des Instituts ist die Erforschung der Kooperation von Unternehmen.