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Einstiegshilfe für Asylbewerber

Andrea Grunau14. September 2014

Flüchtlinge dürfen in Deutschland zunächst nicht arbeiten, selbst bei besten Fachkenntnissen. In einem Pilotprojekt hilft die Arbeitsagentur Asylbewerbern beim Arbeitsmarkt-Zugang. Das Modell könnte Schule machen.

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Michael Strucken von der Arbeitsagentur (Mitte) berät Asylbewerber aus Ägypten - Foto: Andrea Grunau (DW)
Bild: DW/A. Grunau

"No work, no life - keine Arbeit, kein Leben", der 46-jährige Moheb und seine Frau Maria (Namen geändert) sehnen sich danach, wieder zu arbeiten, ein normales Leben zu führen, selbst für sich und ihre beiden Kinder zu sorgen. Die Besuche bei Michael Strucken, Berater der Arbeitsagentur Köln, geben ihnen eine Perspektive. Er begleitet das Ehepaar aus Ägypten in dem Pilotprojekt "Early Intervention" zur Arbeitsintegration von Asylbewerbern. Es wurde Anfang 2014 in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zunächst in sechs Städten gestartet.

Peter Clever - Foto: Jan Röhl (DW)
BA-Verwaltungsrat Clever: "Talente besser erschließen und entwickeln"Bild: DW/Jan Röhl

"Asylverfahren dürfen nicht Lebensstillstand bedeuten", sagt Peter Clever, Vorsitzender des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit (BA): "Gerade vor dem Hintergrund des hohen Fachkräftebedarfs müssen wir die Talente dieser Menschen viel besser erschließen und entwickeln."

Clever kennt den Bedarf der Wirtschaft, er ist auch Mitglied der Geschäftsführung der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände. Über 270 Asylbewerber wurden nach Angaben der BA Ende Juli in dem Pilotprojekt betreut, jeder dritte kam aus Syrien. Allein Michael Strucken von der Arbeitsagentur in Köln hat 65 "Kunden", wie Arbeitssuchende hier genannt werden.

"Fragebogen zur Kompetenzerhebung von Asylbewerbern", das steht über dem Brief, den Moheb, Maria und andere Asylbewerber aus neun verschiedenen Herkunftsstaaten bekommen haben. Neben Ägypten sind das Syrien, der Iran, der Irak, Afghanistan, Pakistan, Eritrea, Somalia und Sri Lanka. Es sind Herkunftsländer mit überdurchschnittlich hoher Bleibeprognose für Asylbewerber.

Die Bundesagentur für Arbeit erläutert in dem Brief: "Auf dem deutschen Arbeitsmarkt werden gegenwärtig Fachkräfte mit Berufsausbildung oder Studium gesucht. Wenn Sie Ihre Kompetenzen einbringen wollen, möchten wir Sie gern beim Einstieg in Arbeit oder Ausbildung unterstützen." Es folgt der Hinweis, das Projekt habe keinen Einfluss auf den Ausgang des Asylverfahrens.

Viele Asylbewerber sind gut qualifiziert und sehr motiviert

Berufliche Kompetenzen bringt auch das Ehepaar aus Ägypten mit: Maria, Krankenschwester mit vierjähriger Ausbildung und fast 20 Jahren Berufserfahrung, ist Fachkraft in einem sogenannten Mangelberuf. Ehemann Moheb hat Betriebswirtschaftslehre studiert und in Alexandria zwei kleine Betriebe geführt.

Dort aber war die Familie nicht mehr sicher, berichtet er: Sein Geschäft sei überfallen worden. Männer in weißen Gewändern hätten alles zerschlagen, ihn selbst angeschossen. Er atmet schwer, als er das erzählt. Maria kommen die Tränen, sie entschuldigt sich sofort dafür. Ihnen als koptische Christen habe man immer wieder gedroht, berichtet Moheb: Seine unverschleierte Frau wollte man töten, ebenso seinen Sohn. Er selbst sollte zum Islam übertreten, seine kleine Tochter einen Muslim heiraten.

Michael Stricken von der Arbeitsagentur (Mitte) begrüßt Asylbewerber aus Ägypten - Foto: Andrea Grunau (DW)
Michael Strucken mit "Kunden" Moheb und Maria: "Große Motivation, auf die eigenen Füße zu kommen"Bild: DW/A. Grunau

Die Familie war verzweifelt, über Georgien gelang ihr 2013 die Flucht nach Deutschland. Hier fühlen sie sich endlich sicher. Die Kinder gehen zur Schule. Dafür sind die Eltern sehr dankbar. Jetzt würden sie gerne wieder arbeiten. Michael Strucken erlebt die Asylbewerber, die er betreut, als sehr motiviert: "Meine Kunden, sehr oft Leistungsträger in ihrem Herkunftsland, fühlen sich schlecht, nun auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein und haben eine sehr große Motivation, bald auf die eigenen Füße zu kommen".

Bisher dürfen Asylbewerber in den ersten neun Monaten gar nicht arbeiten, die Bundesregierung will aber die Wartezeit auf drei Monate verkürzen. Auch danach gilt aber eine Vorrangprüfung: Nur wenn es keine Bewerber mit deutschem Pass oder EU-Ausweis gibt, dürfen Asylbewerber eingestellt werden. Wenn Menschen eine Duldung erhalten, gilt diese Einschränkung bis zu vier Jahre nach Einreise. Einige Politiker fordern mittlerweile, diese Vorrangprüfung abzuschaffen. Das Pilotprojekt "Early intervention" lotet aus, wie man Asylbewerber schneller an den deutschen Arbeitsmarkt heranführen kann und woran es noch hakt.

Die wichtigsten Schritte: Abschlüsse anerkennen lassen und Deutsch lernen

Auch die Erfahrungen in Köln zeigten, dass die Integration ein längerer Prozess sei, der begleitet werden müsse, sagt Berater Strucken. Kultursensibel und sehr respektvoll wirkt der Berater im Umgang mit seinen Kunden. Er hat früher in der Entwicklungshilfe gearbeitet. Jeder Fall ist anders. Dokumente über Bildung und Beruf aus dem Herkunftsland müssen besorgt und übersetzt, die Abschlüsse anerkannt werden. "Wir haben in Deutschland 400 verschiedene Behörden, die eine Anerkennung vornehmen", sagt Strucken. Unter seinen Kunden aus neun Staaten sind ein Arzt und ein Jurist, Krankenpfleger, eine Bibliothekarin, Tischler, Ökonomen, Informatiker, Physiker und Elektrotechniker. Manche brauchen zur Anerkennung noch Zusatzlernmodule für die deutschen Standards.

Das Allerwichtigste aber sei das Erlernen der deutschen Sprache, das betont Berater Strucken immer wieder. Reguläre Integrationskurse können Asylbewerber nicht besuchen, denn sie stehen nur Menschen mit Aufenthaltserlaubnis offen, also mit einem positiven Ergebnis des Asylverfahrens.

Ein Asylbewerber schreibt das Wort Deutsch an eine Tafel - Foto: Armin Weigel (dpa)
Asylbewerber beim Deutschunterreicht in Regensburg: Überbrückung mit Kurz-SchulungenBild: picture-alliance/dpa/Armin Weigel

Mehrere Monate haben Moheb und Maria mit Kurz-Schulungen überbrückt, bis endlich Plätze in einem berufsbezogenen Deutschkurs frei wurden, der vom Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem BAMF finanziert wird. Hier werden sie neben Deutsch auch lernen, wie man einen Lebenslauf schreibt oder sich bewirbt. Außerdem machen sie ein mehrwöchiges Berufspraktikum.

Maria soll zum ersten Mal wieder in einem Krankenhaus arbeiten. Die bisherigen Rückmeldungen über Zeugnisse zu solchen Praktika seien sehr ermutigend, berichtet Strucken: "Die Motivation, die Pünktlichkeit, das Sozialverhalten, die Bereitschaft, sich in diesen Arbeitskontext oder die menschliche Atmosphäre zu integrieren, das ist alles sehr gut."

Wenn es mit der Arbeit klappt, hilft das auch Deutschland

Auch Moheb und Maria freuen sich auf diese erste Chance, das Berufsleben in Deutschland näher kennenzulernen. Was wünschen sie sich für ihre Zukunft? Moheb überlegt nicht lange: "Ich wünsche, dass mein Sohn und meine Tochter hier zum Gymnasium gehen und zur Universität, hier arbeiten und in Sicherheit leben."

"Wenn es gelingt, Asylbewerber in Arbeit zu vermitteln, gewinnen beide: die Menschen selbst, aber auch Deutschland", so formuliert es Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. "Asylbewerber von der Integration in den Arbeitsmarkt fernzuhalten, ist unter den heutigen Signalen vom Arbeitsmarkt nicht die beste Idee", argumentiert auch Heinrich Alt, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, "Es ist eine ökonomische Notwendigkeit, ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen, wenn sie gut qualifiziert sind und die Wirtschaft sie gut gebrauchen kann." Ende September will der Verwaltungsrat der BA darüber entscheiden, ob das Pilotprojekt auf weitere Städte ausgeweitet werden soll.