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Antidepressiva oder Psychotherapie?

Brigitte Osterath16. September 2013

Meist hängt es von der Beurteilung eines Arztes ab, ob er einen depressiven Patienten zur Apotheke oder zum Therapeuten schickt. US-Forscher wollen, dass in Zukunft ein Hirnscan darüber entscheidet.

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Depressives Mädchen
Bild: Fotolia/Jochen Schönfeld

Ein Hirnscan soll voraussagen können, ob Psychotherapie oder Antidepressiva bei einem depressiven Patienten besser anschlägt. Wie Mediziner von der Emory Universität in Atlanta berichten, verrät das ein genauer Blick auf die so genannte Inselrinde. Diese Gehirnregion über dem Ohr beeinflusst das Gefühlsleben und ist bei Depressiven oft fehlgeschaltet.

Nach Angaben der Forscher half bei denjenigen, deren Inselrinde übermäßig viel Glucose verbrauchte, eine Verhaltenstherapie. Bei Depressiven, bei denen diese Gehirnregion hingegen weniger aktiv war und daher weniger Glucose umsetzte, waren Antidepressiva erfolgreicher.

"Wenn unsere Ergebnisse durch weitere Tests bestätigt werden, könnte das der erste objektive Marker sein, um eine Behandlungsmethode für Depressionen zu wählen", schreiben Helen Mayberg von der Emory Universität und ihre Kollegen.

Zwei Arten von Depressionen?

Die Ergebnisse sind "ein interessanter Denkanstoß", sagt Wolfgang Maier, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn. Man dürfe die Studie aber nicht überbewerten. "Das war nur eine kleine Stichprobe."

Die Forscher testeten 67 Patienten, aber stützten ihre anschließende Analyse auf nur 38 von ihnen. Die anderen Patienten lieferten kein klares Ergebnis und wurden daher ausgeschlossen.

Mayberg und ihre Kollegen spekulieren, dass es möglicherweise zwei Arten von Depressionen gibt: Die eine lässt sich mit Antidepressiva behandeln, die andere mit Psychotherapie. "Diese Hypothese ist gefährlich, weil sie an einem Postulat rüttelt", sagt Maier. Denn bei schweren Depressionen sei eine Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie am erfolgreichsten. "Wenn die Forscher recht haben sollten, würden die Patienten aber keinen Gewinn aus der zusätzlichen Therapiemethode ziehen."

Facharztpraxis für Neurologie und Psychiatrie Foto: Klaus Rose
Ob ein depressiver Patient Psychotherapie oder Psychopharmaka verschrieben bekommt, hängt oft von der Fachrichtung des Arztes abBild: picture alliance/Klaus Rose

Der Arzt hat die Wahl

Gegenwärtig gibt es keine Möglichkeit, im voraus zu entscheiden, welche Therapiemethode bei de jeweiligen Patienten am besten wirken wird. Depressionen zu behandeln, verläuft nach der Versuch- und Irrtumsmethode: Der Arzt probiert etwas aus, und wenn das nicht hilft, versucht er etwas anderes. Bei weniger als 40 Prozent aller Patienten habe die Therapiemethode Erfolg, sie als erste eingesetzt werde, schreiben die US-Forscher im Fachmagazin "JAMA Psychiatry".

Die deutsche nationale Leitlinie zur Versorgung von Depressionen rät, schwere Depressionen gleichzeitig mit Medikamenten und Psychotherapie zu behandeln. Bei milden Fällen sollte der Arzt ganz auf Antidepressiva verzichten.

Aber: "Die Leitlinie wird in der Praxis wahrscheinlich nicht zu 100 Prozent beachtet", sagt Maier und die gewählte Methode hänge oft davon ab, zu welchem Arzt der Patient gehe. "Geht ein Patient unmittelbar zum Psychotherapeuten, bekommt er Psychotherapie. Beim Hausarzt bekommt er wahrscheinlich Antidepressiva, beim Psychiater manchmal beides, manchmal aber auch nur Antidepressiva." Nur in einem gut geführten psychiatrischen Krankenhaus sei sichergestellt, dass tatsächlich beide Therapiemethoden gleichzeitig eingesetzt werden.

Immer mehr Antidepressiva

Heutzutage werden mehr als viermal so viele Antidepressiva in Deutschland geschluckt wie noch im Jahr 1994. Und der Anteil an diesen Substanzen steigt weiter, im Durchschnitt um etwa zehn Prozent pro Jahr.

Es werden Stimmen laut, dass viele Patienten diese Medikamente unnötig nehmen. Dieter Best, Vorsitzender der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung stimmt dem zu: "Vor allem bei älteren Frauen verschreiben Hausärzte diese Medikamente oft, ohne eine klare Diagnose gesetellt zu haben."

Jede vierte Frau über 80 nimmt laut Best inzwischen Antidepressiva. "Aber oft fehlen diesen Frauen einfach nur soziale Kontakte, sie sind einsam." Hausärzte sollten sich mehr Zeit nehmen, mit ihren Patienten und deren Angehörigen zu reden und eine wohlbegründete Diagnose zu stellen. "Nicht jeder, der über Niedergeschlagenheit klagt, ist depressiv."

Kassenrezept Foto: Oliver Berg dpa
Die Menge an verordneten Antidepressiva steigt stetigBild: picture-alliance/dpa

Nur ein Placebo-Effekt?

In einem Aufsehen erregenden Fachartikel aus dem Jahr 2008 berichteten Irving Kirsch von der Universität Hull und seine Kollegen, dass die Wirkung von Antidepressiva nur in geringem Maße die von Placebos übertreffe, also von Scheinmedikamenten ohne Wirkstoff.

Oft helfe demnach schon alleine der Glaube an sie, nicht die Medikamente selbst. Es kursiert die Theorie, dass die wirtschaftlichen Interessen der Pharmaunternehmen der wahre Grund dafür sind, warum so viele Ärzte Antidepressiva verschreiben.

Maier ist anderer Meinung: "Das ist Unsinn. Es werden eher zu wenige Antidepressiva verordnet." Antidepressiva seien wirksame Medikamente, um eine Funktionsstörung des Gehirns zu behandeln. "Eine schwere Depression muss sogar mit Antidepressiva behandelt werden, sonst besteht das Risiko, dass sich ein Patient selbst umbringt."

Antidepressiva verringerten das Selbstmordrisiko, schreibt auch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Das sei durch Forschungen eindeutig belegt.

Allerdings müsse der Arzt für jeden Patienten Nutzen und Risiken abwägen, sagt Maier. Ein regelmäßiger Kontakt zwischen behandelndem Arzt und Patient sei dabei essenziell.