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Anstoßzeit auf Wunsch

Thomas Klein21. März 2013

Zur "Geisterstunde" wird das WM-Qualifikations-Spiel zwischen Kasachstan und Deutschland angepfiffen. Die deutschen TV-Zuschauer und Werbekunden freuen sich, denn hier startet das Spiel zur besten Sendezeit.

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Ein Kameramann des Bezahlsenders Sky wischt über das Objektiv seiner Kamera vor dem Spiel (Foto: dapd)
Bild: dapd

"Die Anstoßzeit spielt uns in die Karten," freut sich DFB-Internist Tim Meyer vor dem Spiel gegen Kasachstan. Augenklappen, Ohrenstöpsel und dichte Vorhänge im Hotel der deutschen Nationalmannschaft sind für die Spieler dennoch wichtig, damit sie nicht mitten im ersten Tiefschlaf von der aufgehenden Sonne geweckt werden. Denn der DFB will die kasachische Ortszeit ignorieren - und seine gesamte Dienstreise im deutschen Rhythmus durchstehen. Bedeutet: Ins Bett gehen, wenn es außerhalb des Hotels längst tiefste kasachische Nacht ist. Und frühstücken, wenn die Kasachen schon Mittagspause machen.

Innere Uhr wird nicht umgestellt

Um diese Realitätsflucht durchzuhalten, werden etwa die Vorhänge mit Tape in der Mitte zusammen und seitlich an die Wände geklebt. "Die Fenster müssen gut verrammelt sein und die Vorhänge absolut dicht", berichtet Per Mertesacker. Der Innenverteidiger weiß wovon er spricht, denn er war 2010 schon dabei, als der DFB-Tross die Reise nach Kasachstan angetreten hatte. Damals wie heute ist die Anstoßzeit ausdrücklicher Wunsch des Deutschen Fußballbundes. "Wir freuen uns, dass wir ein Ergebnis erzielen konnten, das auch die Interessen der Fans berücksichtigt", sagte der damalige DFB-Generalsekretär und heutige DFB-Präsident Wolfgang Niersbach vor zweieinhalb Jahren.

TV-Quote bestimmt Anstoßzeit

Freuen dürften sich jedoch nur die daheimgebliebenen Anhänger der deutschen Nationalmannschaft, denn die bekommen das Spiel zur Prime Time vom ZDF frei Haus geliefert. Zudem werden Niersbach und Co bei den Verhandlungen besonders die Interessen der eigenen Werbepartner im Kopf gehabt haben, denn gerade die freuen sich über mediale Aufmerksamkeit zur "besten Sendezeit" – höhere Werbeeinnahmen sind so garantiert.

Sicher wäre es auch kein Problem gewesen das Spiel um 20:45 Uhr kasachischer Zeit anzupfeifen. Doch die Einschaltquote um 15:45 Uhr deutscher Zeit ist für Werbekunden nicht attraktiv – die Quote ist mitten am Arbeitstag einfach zu schlecht. Am Ende bestimmt also die TV-Einschaltquote in Deutschland die Anstoßzeit eines WM-Qualifikationsspiels in 5000 Kilometern Entfernung – eine bedenkliche Entwicklung.

Die deutschen Anhänger freuen sich über die Anstoßzeit zur Prime Time. (Foto: dpa)
Die deutschen Anhänger freuen sich über die Anstoßzeit zur Prime Time im deutschen FernsehenBild: picture-alliance/dpa

Späte Anstoßzeit ein klarer Nachteil

Doch nicht nur die Deutschen haben es geschafft, in der vermeintlich kleinen Fußball-Nation Kasachstan zur Wunsch-Uhrzeit anzutreten, auch Österreich und Irland schickten die Kasachen "mitten in der Nacht" ins Stadion. Rücksichtnahme im Rückspiel? Fehlanzeige! Am Dienstagabend (26.03.2013/20:45 Uhr) treffen sich die beiden Mannschaften erneut in Nürnberg. Also müssen sich die kasachischen Fans die Auswärtsspiele ihres Teams ebenfalls mitten in der Nacht ansehen. Eine Zweiklassengesellschaft also.

Stadion ist nicht ausverkauft

Die sehr späte Anstoßzeit versucht die deutsche Nationalmannschaft mit allerlei Tricks zu ignorieren, die Kasachen können das nicht. Für sie ist es schlichtweg ein Spiel um Mitternacht – ein klarer (sportlicher) Nachteil. Deshalb wird es in der modernen Arena mit 30.000 Plätzen wohl auch den einen oder anderen freien Platz geben. Für die Kasachen ist die Umstellung groß. "Die Deutschen sind besser im Rhythmus", meint Kasachstans Trainer Marat Chairullin. Gleich nach dem Abpfiff geht es für die Mannschaft um Kapitän Philipp Lahm wieder zurück nach Deutschland. Nach Hause sollen auch die kasachischen Fans rasch kommen: Ausnahmsweise fahren die Busse vom etwas außerhalb gelegenen Stadion bis 3.30 Uhr nachts zurück in die Innenstadt – wenigstens etwas!