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Anruf beim Wähler

Die Gespräche führte Alexandra Frick7. September 2005

Was denken die Menschen in Deutschland über die bevorstehenden Wahlen, die Politik in Berlin, Kanzler Schröder und Kandidatin Merkel? DW-WORLD hat verschiedene Orte ausgesucht und bei den Wählern angerufen.

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Georg Dietrich wohnt mit seiner Frau Roswitha auf der kleinsten der ostfriesischen Inseln, Baltrum, wo sie ein Gästehaus betreiben. Was die Politiker in Berlin im Moment so machen, sieht er kritisch: "Die Politik in Berlin ist im Augenblick eher bescheiden. Auf jeden Fall werde ich wählen gehen. Es muss ein Wechsel da sein in Deutschland, da muss eine andere Regierung her. So kann es nicht weitergehen mit den Arbeitslosenzahlen. Die Lohnnebenkosten fressen einen auf und es bleibt für uns unterm Strich nichts mehr übrig." Doch auch eine andere Regierung würde sich schwer tun, meint er: "Es ist ja egal, wer uns im Moment regiert, die sind alle nicht mehr mit beiden Beinen auf dem Boden. Denn sie wissen gar nicht, wie es dem kleinen Mann hier unten geht."

Wattführer mit Wandergruppe im Wattenmeer vor der ostfriesischen Insel Baltrum
Das Wattenmeer vor der Insel Baltrum.Bild: dpa

Zur politischen Stimmung und dem Wahlkampf auf Baltrum berichtet er: "Man kämpft hier im Grunde ums Überleben. Auf so einer kleinen Insel wie hier hat jeder seine Partei oder seine Gruppierung, zu der er gehört, und steht auch fest dazu. Da kann kommen was will, die lassen sich nicht umstimmen. Wahlkampf oder Wahlplakate gibt es bei uns überhaupt nicht. Sowas machen wir auf Baltrum gar nicht, hier findet der große Wahlkampf gar nicht statt. Wir haben keine Plakate aufgehängt, das schenkt man sich hier alles."

Renate Bär ist Rentnerin und lebt in Neuruppin in Brandenburg. Sie sieht das ganze politische Geschehen in Berlin mit großer Skepsis: "Interessieren tut mich Politik schon. Aber was soll man da nun sagen, wie sich das alles entwickelt hat?" Enttäuscht ist Frau Bär von der Politik und fragt sich, wie alles weitergehen könnte. "Auch wenn man vielleicht jemand anders wählen würde, Gysi oder Merkel, da würde sich auch nichts ändern, glaub' ich. Mit Arbeitsmöglichkeiten wird das auch nichts geben. Wenn man das alles so sieht, da hat fragt man sich manchmal schon, wozu ist denn die Regierung eigentlich da? Aber wenn man gar nicht wählen geht - damit ist es ja auch nicht getan."

Neuruppin Uferpromenade Brandenburg Deutschland
Die Uferpromenade von Neuruppin in Brandenburg.Bild: presse

"Ich würde mir wünschen, dass für die Jugendlichen und Kinder mehr getan wird", fügt sie hinzu. "Denn die Jugend ist es ja gerade, für die viel zu wenig gemacht wird. Die Jugendlichen haben keine Arbeit und auch keine Möglichkeiten, etwas in ihrer Freizeit zu unternehmen. Auch bei den Kleinkindern geht es schon los. Und in der Schule müsste mehr Sport gemacht werden. Zwar wird gelernt, von morgens bis nachmittags, aber der Ausgleich ist nicht da. Das wäre das Wichtigste für mich. Im Sozial- und Gesundheitswesen könnte auch ein bisschen was gemacht werden. Es gibt so viele Punkte."

Doch Frau Bär zweifelt daran, dass ein Regierungswechsel etwas bringen könnte: "Ob sich da irgendwas ändert, wenn andere dran sind, das glaub' ich kaum. Klar, da sind so viele Sachen, die einem nicht gefallen - aber das wird bei einer anderen Partei auch nicht anders sein. Die kann sich auch nicht mehr strecken, so wie es jetzt ist. Vielleicht würde es sogar ein bisschen krasser werden. Also, ich werde wahrscheinlich wieder die SPD wählen."

Auch in der neuen Linkspartei sieht sie keine Alternative: "Das wäre auch nicht anders als jetzt, und die könnten auch nicht den Himmel auf Erden holen. Keiner. Wenn keine Arbeit da ist, dann kann auch nichts gemacht werden, und dann kann auch nichts geschaffen werden. Da können Lafontaine und Gysi auch nichts dran ändern."

Peter Kalus, Beamter im bayrischen Schuldienst in Utting, würde dem Kanzler gerne sagen, "dass er wieder hingehen soll, wo er herkommt". Und er fügt hinzu: "Eine neue Bundesregierung würde ich mir wünschen. Die Nichtaufnahme der Türkei in die EU würde ich mir auch wünschen." Von einem Regierungswechsel erwartet er, "dass es wirtschaftlich wieder aufwärts geht. Die Aktien werden in dem Moment steigen, wenn die neue Bundesregierung gewählt ist. Und das Investitionsklima wird sich wieder verbessern, das war 1982 genauso."

Blick auf den oberbayerischen Ammersee (Landkreis Landsberg am Lech), aufgenommen am 23.7.2000. Aufnahmeort Utting Bayern
Utting am oberbayerischen AmmerseeBild: dpa

Die Situation in Bayern ist seiner Meinung nach aber immer noch besser als in anderen Teilen Deutschlands: "In Bayern leben wir hier noch auf der Insel der Seligen. Wir sind von der SPD und von den Grünen nicht so sehr beschädigt wie die anderen Bundesländer." Kalus würde einen Kanzler Stoiber jedoch einer Kanzlerin Merkel vorziehen. "Von ihm würde ich mir die berühmte Wende erwünschen. Die Verunsicherung der Investoren muss man aufheben. Die Politik, die Künast und Trittin machen, die vergrault ja alle Investoren, in- und ausländische." Zu den Plänen der CDU meint er: "Um die Mehrwertsteuererhöhung der CDU kommt man wohl nicht herum, das hätte die SPD-Regierung wohl auch machen müssen. Vor allem wegen der Angleichung an Europa. Wir sind sowieso relativ weit am Ende der Mehrwertsteuerskala."

Heide Lemmerbrock ist Bürgermeisterin der kleinsten Gemeinde Deutschlands, Wiedenborstel in Schleswig-Holstein. Die Bürgermeisterin der Sechs-Seelen-Gemeinde setzt auf einen Regierungswechsel und wünscht sich, "dass wir mehr sparen; dass es gelingt, Wachstum und Innovation zu fördern und dadurch die Arbeitslosigkeit zu senken. Ich hoffe, dass sich das Bewusstsein in den Menschen verändern wird. Das bekommen wir hoffentlich durch einen Wechsel hin, dass ein Ruck durch die Menschen geht."

Stefan Geiger ist Zivildienstleistender im Münstertal im Schwarzwald und wird auf jeden Fall wählen gehen. "Die Politiker sollten sich mehr einig werden und nicht so gegeneinander arbeiten. Vor allem auch parteiübergreifend. Das stört mich, das da jeder gegen jeden arbeitet und sie nicht an einem Strang ziehen", sagt er über die Politik in Berlin. "Die größten Probleme sehe ich in den Lohnnebenkosten und darin, dass die ganzen Betriebe ins Ausland abwandern. Da müsste es mehr Anreize geben, dass die ganzen Unternehmen in Deutschland bleiben."

Deutschland: Münstertal - Die Klosteranlage St. Trudpert im Münstertal
Das ehemalige Benediktinerkloster St. Trudpert im Münstertal im Schwarzwald.Bild: dpa

Doch auch Geiger ist sich unsicher, ob ein Regierungswechsel die Lösung wäre: "Wenn ich ehrlich bin, würde ich es keinem Kanzler zutrauen. Wenn man nicht wählen geht, gibt man aber auch nur anderen Parteien eine Chance, die es noch schlechter machen würden. Ich denke, die CDU ist eben mehr arbeitgeberfreundlich. Aber ob das dann wirklich Vorteile bringen wird, ist die andere Frage." Über die Pläne der CDU sagt er: "Die Mehrwertsteuererhöhung finde ich gar nicht so schlecht, da sind wir eh noch eines der Länder, in denen die Mehrwertsteuer ziemlich niedrig ist. Das ist bestimmt nicht schlechter als die Ökosteuer oder so etwas."