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Anna Netrebko in der Propaganda-Falle

Anastassio Boutsko und Laura Döing (mit afp,dpa)9. Dezember 2014

Opernstar Anna Netrebko spendet Geld und posiert mit einem ostukrainischen Separatistenführer und der Flagge von "Neurussland". Ist die Aktion nur eine Spenden-Aktion oder prorussische Propaganda?

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Oleg Zarjow und Anna Netrebko (Foto: EPA/STRINGER pixel)
Oleg Zarjow und Anna NetrebkoBild: picture-alliance/dpa/Stringer

Ein bisschen zögerlich ergreift die Star-Sopranistin den Zipfel der roten Flagge mit dem blauen Andreaskreuz darauf, die Flagge des abtrünnigen Gebiets Noworossija (Neurussland). Oleg Zarjow, Separatistenführer aus dem Kriegsgebiet der Ostukraine, hat ihr die Fahne vor laufenden Kameras hingehalten. Später wird er über Twitter behaupten, dass Anna Netrebko die "Flagge von Neurussland gehisst" habe. Mit dem historischen Begriff "Neurussland" bezeichnen die Separatisten das von ihnen beanspruchte Gebiet. Das Ganze geschah am Sonntag (07.12.2014) auf einer Pressekonferenz in einem Sankt Petersburger Luxus-Hotel.

Die 43-Jährige überreichte dem Separatistenführer auf der Konferenz einen Scheck über eine Million Rubel – was umgerechnet mehr als 15.000 Euro sind. Das Geld sei für das Theater der Stadt Donezk bestimmt, sagte sie. Dass sie es ausgerechnet dem von der Ukraine als Terrorist verfolgten Zarjow übergibt und nicht etwa Kulturschaffenden vor Ort, macht die Aktion zu einem Politikum.

Anna Netrebko bei der Echo-Verleihung 2014 (Foto: BrauerPhotos fuer BVMI)
Bild: BrauerPhotos fuer BVMI

Netrebko: "Kein politischer Akt"

Ihr Agent Michael van Almsick versucht abzuwiegeln und verbreitet ein Statement der Sängerin: "Ich wollte helfen und meine Künstlerfreunde mit einer Spende unterstützen, weil ich an die Kraft von Kunst in Zeiten von Konflikt und Krise glaube. Die Spende wurde an einen Offiziellen übergeben, um sicherzustellen, dass sie ihr Ziel, das Theater in Donezk, auch sicher erreicht. Ich möchte aber klarstellen, dass diese Spende kein politischer Akt ist." Über ihr Facebook-Profil lässt die Sängerin später verbreiten, dass sie mit der Fahne überrascht worden sei und der Auftritt mit ihr ungeplant gewesen sei. Sie habe erst danach bemerkt, was für eine Flagge sie in Händen hielt.

Gidon Kremer (Foto: Mikhail Fomichev / dpa - Report)
Gidon KremerBild: picture-alliance/dpa

Der renommierte Violinist Gidon Kremer sagt auf Anfrage der DW, dass er die Aktion für eine "total bewusste und politische Handlung" halte. "Künstler sollten Harmonie und Frieden stiften. Schade, dass eine der schönsten Stimmen der Welt solche zweifelhaften Töne von sich gibt", so der Lette. Der Musiker hatte, beunruhigt vom aktuellen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, sein aktuelles Programm geändert. Um seine "Verbundenheit mit der russischen Kultur und Musik zum Ausdruck zu bringen", spielte er anstelle einer musikalischen Biografie "Mein Russland".

Auftritt ohne Folgen?

Anna Netrebko ist weltberühmt und gastiert an den wichtigsten Opernhäusern. Dafür bekommt sie Top-Honorare: In Wien lag das bei 15.000 Euro, an der Metropolitan Opera in New York bei 17.000 US-Dollar pro Abend. Anna Netrebko wird im kommenden Jahr sowohl an der Bayerischen Staatsoper als auch an der Wiener Staatsoper singen. Ob die Aktion für die Sängerin, die ihr Geld vor allem mit Konzerten im Westen verdient, Folgen hat, ist bisher unklar. Auf Anfrage der DW wollte sich die Wiener Staatsoper nicht äußern, der Intendant der Bayerischen Staatsoper sei erkrankt und nicht für ein Statement zu erreichen, so das Opernhaus dort.

Auf ihrer Facebook-Seite wurde die Sängerin stark kritisiert, aber auch gelobt. Das Spektrum der Kommentare reichte von "Schande über dich!", über Äußerungen enttäuschter Fans und Hinweisen, Netrebko solle lieber beim Singen bleiben, bis hin zu dankenden Worten und Respekt-Bekundungen. Die russische Tageszeitung "Moskowski Komsomolez" lobte Netrebko: "Gut gemacht Anna, hoffen wir, dass Du deswegen nicht mit westlichen Sanktionen belegt wirst", hieß es in einem Kommentar. Auf der ukrainischen Internetseite "Obosrewatel.com" wurde die Sopranistin dafür kritisiert, "kein Wort" darüber verloren zu haben, dass das Leiden der Musiker von Donezk und der dortigen Oper das Ergebnis der "Aktionen" der selbsternannten Republik Donezk seien. Die prorussischen Separatisten in der Ostukraine kämpfen derzeit gegen die ukrainische Armee. Die Zentralregierung in Kiew hatte die Überweisungen an die Oper in Donezk eingestellt.

Kein Grund zum Wechsel

Das ZDF, eine der öffentlich-rechtlichen Fernseh-Anstalten in Deutschland, wird am 28.12.2014 trotz aller Kritik an der Übertragung des Silvesterkonzerts mit Anna Netrebko aus der Semperoper in Dresden festhalten. Auf Anfrage der DW hieß es: "Das ZDF hat keine Veranlassung, an der Besetzung der "Csárdásfürstin" aus Dresden Änderungen vorzunehmen."

Netrebko hatte in der Vergangenheit immer wieder deutlich gemacht, dass sie russische Patriotin ist und Wladimir Putin unterstützt. Sie hatte sich vor der Präsidentenwahl 2012 mit den Worten "es gibt keine Alternative" für seine Rückkehr in den Kreml eingesetzt. Mit ihrer Haltung ist Netrebko in der deutschen Kulturszene nicht allein.

Als Putins Streitkräfte die Krim besetzten, unterzeichnete der einflussreiche russische Dirigent Walery Gergiew einen Unterstützer-Brief, den das russische Kultusministerium veröffentlichte - mit ihm prominente Musiker wie der Pianist Denis Matsuew, der Geiger und Dirigent Wladimir Spiwakow, die Starsopranistin Chibla Gerzmawa und die Opernlegende Elena Obraszowa. Gergiew wird ab 2015 am Pult der Münchner Philharmonie stehen.

Walery Gergiew (Foto: Marc Mueller/dpa)
Walery GergiewBild: picture-alliance/dpa

Gegenüber der DW sagte die Leiterin des Deutsch-Russischen Kulturvereins MIR in München, Tatjana Lukina, damals: "Man soll einen Künstler nach seinem Talent beurteilen, nicht nach seinen politischen Äußerungen, und schon gar nicht in einer demokratischen Gesellschaft." In einem Konflikt, in dem nach UN-Schätzungen seit April mindestens 4300 Menschen bei den Kämpfen in der Ukraine starben, scheint das allerdings immer schwieriger zu werden.