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Türkei Internet-Gesetz

Thomas Seibert6. Februar 2014

Das türkische Parlament hat ein neues, restriktives Internetgesetz verabschiedet. Opposition und Journalisten befürchten, dass nun der Zensur Tür und Tor geöffnet sind.

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Ein Mädchen sitzt an einem Rechner (Foto: dpa - Bildfunk)
Bild: picture-alliance/dpa

Schon vor der jetzt beschlossenen Neuregelung waren die türkischen Gesetze für die Internet-Nutzung im internationalen Vergleich restriktiv. So war das Videportal Youtube über Jahre wegen eines einzigen Clips gesperrt, weil in dem Video angeblich Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk beleidigt wurde. Die türkische Internetbehörde TIB versuchte kürzlich sogar, die Verbreitung einer regierungskritischen Anfrage der Oppositionspartei CHP im Netz zu unterbinden.

Durch das neue Gesetz werden staatliche Eingriffsmöglichkeiten deutlich vereinfacht und beschleunigt. Auf Beschwerde eines Bürgers oder einer Institution über eine angebliche Beleidigung durch den Inhalt eines Textes auf einer Internetseite, durch ein Video oder ein Foto werden diese Inhalte von der zuständigen Behörde innerhalb von vier Stunden gesperrt - ohne Anhörung der Betroffenen, ohne Verwarnung und ohne Gerichtsbeschluss. Erst nach der Sperrung wird die Justiz eingeschaltet; verzichtet der Kläger auf einen Gang vor die Gerichte, wird die Sperre nach drei Tagen wieder aufgehoben. Doch anschließend kann sie erneut verfügt werden.

Schutz der Persönlichkeitsrechte oder Zensur?

Zum neuen Gesetz gehört auch eine Vorratsdatenspeicherung von bis zu zwei Jahren und die Bildung eines Zentralverbandes, dem alle Internet-Anbieter beitreten müssen. Über diesen Verband könnten die Behörden unter anderem erreichen, dass Nutzer, die sich bei der Regierung unbeliebt gemacht haben, auch von alternativen Zugängen wie Proxy-Websites abgeschnitten werden.

Erdogans Regierung begründet die Novelle mit dem notwendigen Schutz der Persönlichkeitsrechte: Der Bürger müsse eine Möglichkeit haben, sich gegen Beleidigungen im Netz zu wehren. Gegner des Ministerpräsidenten sehen in dem neuen Gesetz vor allem ein Instrument, um kritische Meinungsäußerungen auszuschalten. Insbesondere mit Blick auf die Korruptionsaffäre, die Erdogans Kabinett seit Dezember erschüttert, tauchen auf regierungskritischen türkischen Websites derzeit fast täglich neue Vorwürfe auf - was Erdogan kurz vor den Kommunalwahlen im März überhaupt nicht recht ist.

Parlament in Ankara (Foto: ADEM ALTAN/AFP/Getty Images)
Im Parlament hat Erdogans Partei AKP eine MehrheitBild: ADEM ALTAN/AFP/Getty Images

"Keine Transparenz"

In der Parlamentsdebatte musste sich Erdogans AKP heftige Kritik der Opposition anhören. Haydar Akar von der säkularen Partei CHP sagte, die Internetbehörde erhalte Vollmachten, wie sie nicht einmal der Staatspräsident habe. Zusammen mit dem Iran, China und Malaysia werde sich die Türkei in die Gruppe der Länder mit den weltweit restriktivsten Internetvorschriften einreihen. Alle 40 Millionen Internetnutzer in der Türkei fühlten sich vom Staat ausspioniert, sagte der Abgeordnete Hasip Kaplan von der Kurdenpartei BDP.

Auch außerhalb des Parlaments herrscht Entrüstung. "Das wird neue Verbote beschleunigen", sagte Mustafa Akgül, Vorsitzender des Verbandes für Internet-Technologie (INETD), im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Es gibt überhaupt keine Transparenz in der ganzen Sache. Wir wissen nicht, was wann warum verboten wird." Von bekannten Journalisten kam ebenfalls heftige Kritik. "Das, was in der Türkei an Internetfreiheit überhaupt noch übrig ist, wird jetzt auch noch abgeschafft", schrieb der einflussreiche Fernsehjournalist und Zeitungskommentator Cüneyt Özdemir. Emre Uslu, ein Kolumnist der unabhängigen Tageszeitung "Taraf", kommentierte, es bleibe eigentlich nur noch die Frage, ob auch das Wort Zensur im Zusammenhang mit dem neuen Gesetz zensiert werde.

Hoffnungen richten sich auf Staatspräsident Gül

Noch kann das neue Gesetz nicht in Kraft treten; es muss innerhalb von 15 Tagen von Staatspräsident Abdullah Gül abgezeichnet werden. Einige Regierungskritiker hoffen, dass der Staatschef sein Veto einlegt und das Gesetz zur Neuberatung ans Parlament zurückschickt. Gül, ein alter Weggefährte Erdogans, hat in seiner fast siebenjährigen Amtszeit bisher allerdings nur selten von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht. "Diesmal muss er es aber tun, weil er sonst viel von seiner Popularität verlieren würde", sagt Gürkan Özturan von der türkischen Piratenpartei im Gespräch mit der DW.

Wie andere Kritiker des neuen Gesetzes ist auch Özturan überzeugt, dass die Novelle wegen offensichtlicher Eingriffe in die Grundrechte vom türkischen Verfassungsgericht, spätestens aber vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verworfen wird. "Ich hoffe aber, dass Gül schon vorher die Notbremse zieht", sagt er.

Recep Tayyip Erdogan (Foto: REUTERS/Murad Sezer)
Kritiker werfen ihm Zensur vor - Recep Tayyip ErdoganBild: Reuters

"Das werden sich die Türken nicht bieten lassen"

INETD-Chef Akgül ist da weniger optimistisch. Gül lasse die allermeisten Regierungsvorhaben passieren, sagte er. "Ich habe wenig Hoffnung." Auch ein Gang nach Straßburg sei kein Garant für eine Verbesserung. Selbst wenn die Türkei vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt werde, würde die Regierung eine Geldstrafe zahlen und "wie gehabt weitermachen".

Nur massiver Druck der EU könne Erdogan zum Einlenken bringen, sagt Akgül. Gürkan Özturan von den türkischen Piraten sieht noch eine andere Chance. Wenn das Gesetz einmal in Kraft trete, werde die Regierung an der Reaktion von Millionen Internetznutzern merken, dass sie zu weit gegangen sei: "Das werden sich die Türken nicht bieten lassen".