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Angst vor Isolation

Thomas Wagner21. Februar 2014

Die Schweizer Unis sind entsetzt über die Reaktion der EU auf den Volksentscheid zur Migration. Die will Forschungsgelder und Austauschprogramme stoppen. Die Unis fordern ihre Regierung zum Einlenken auf.

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Schweiz Eidgenössisch-Technischen Hochschule ETH Zürich
Bild: picture-alliance/KEYSTONE

Ein mächtiges Kuppelgebäude auf einem Hügel am Rande der Züricher Innenstadt. Hier drückte einst Albert Einstein, einer der berühmtesten Studierenden der Eidgenössisch-Technischen Hochschule (ETH), vor über 100 Jahren die harte Holzbank im Hörsaal. Heute macht in einem Seminarraum nur ein paar Meter weiter Aline Tschanz ein bekümmertes Gesicht. Die junge Ostschweizerin studiert an der ETH Biologie und spielt mit dem Gedanken, für ein oder Semester ins Ausland zu gehen, irgendwohin in die Europäische Union. Und jetzt das: Die Gespräche über das Austauschprogramm "Erasmus plus", an dem sie teilnehmen wollte, sind von der EU-Kommission auf Eis gelegt worden.

Mit dieser Reaktion auf den umstrittenen Schweizer Volksentscheid zur Begrenzung der Zuwanderung Anfang Februar hatte an den Hochschulen wohl niemand gerechnet. Die EU kündigte an, Verhandlungen über die weitere Beteiligung der Schweiz an den Programmen für den Studentenaustausch "Erasmus plus" und die Forschungsförderung "Horizont 2020" erstmal zu stoppen. "Und nun", sagt die Schweizer Biologiestudentin mit traurigem Unterton, "herrscht bei uns große Unsicherheit. Habe ich immer noch die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen, dort zu studieren? Erasmus würde das ja enorm erleichtern."

Erasmus-Förderung auf dem Prüfstand

Erasmus – das ist das 1987 vom europäischen Ministerrat beschlossene Austauschprogramm, das Studierenden aus ganz Europa über mehrere Semester andauernde Aufenthalte an anderen europäischen Hochschulen ermöglicht. Auch die Schweiz, obwohl nicht EU-Mitglied, war in den vergangenen Jahren mit dabei. Will heißen: Studierende der Schweizer Hochschulen wurden bei einem Auslandsaufenthalt über Erasmus gefördert.

Schweiz stoppt Abkommen zur Arbeitsmarktöffnung für Kroatien
Die Schweizer wollen die Zuwanderung begrenzen...Bild: picture-alliance/dpa

Damit könnte beim 2015 in Kraft tretenden Folgeprogramm "Erasmus plus" Schluss sein. So jedenfalls die Ankündigung der EU. Tenor des Beschlusses: Wenn schon die Schweiz künftig europäischen Bürgern den freien Zugang zu ihrem Arbeitsmarkt verwehrt, dann müssen auch andere Abkommen überdacht werden, beispielsweise das Erasmus-Programm.

Angst vor Abkoppelung von Forschungsförderung

"Das wäre natürlich schlimm für eine Hochschule wie der ETH, die auf internationalen Austausch und Wettbewerb ausgerichtet ist", betont Professor Roland Siegwart, Vizepräsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen an der ETH Zürich. Fast noch schlimmer als die Aussetzung des Erasmus-Programms empfindet Siegwart die angekündigte Abkopplung der Schweiz von der europäischen Forschungsförderung insgesamt. Demnach sollen Schweizer Hochschulen beim neuen Förderprogramm "Horizon" nicht mehr mit im Boot sein. Das käme einem empfindlichen Aderlass gleich.

Alleine die ETH Zürich bezog in den vergangenen sieben Jahren rund 400 Millionen Schweizer Franken (über 300 Millionen Euro) an europäischen Forschungsgeldern. Fielen diese Gelder zukünftig weg, käme dies einem schmerzhaften Einschnitt für die Schweizerische Forschungs- und Bildungslandschaft gleich. "Dabei ist der Wegfall der Gelder an sich nicht einmal das Schlimmste", glaubt ETH-Vizepräsident Roland Siegwart, "wir könnten als Hochschule keine europäischen Projekte mehr koordinieren und wären nicht mehr in diesem europäischen Forschungswettbewerb, der für Forscher sehr wichtig ist, ähnlich wie für Sportler, die an internationalen Wettbewerben teilnehmen möchten und dies plötzlich nicht mehr können."

Symbolbild Schweiz EU Grenze
... jetzt will die EU Konsequenzen ziehenBild: Getty Images

Studierende hoffen auf europaweite Solidarität

Daher hofft der ETH-Vizepräsident, dass in Sachen Forschungsförderung der EU alles nicht so heiß gegessen wird, wie es im ersten Zorn über den Volksentscheid gekocht wurde. "Wir interpretieren die Äußerungen aus Brüssel nicht so, dass wir ausgeschlossen sind, sondern dass sich die Verhandlungen verzögern." Siegwart rechnet damit, dass es bei den Gesprächen mit der EU "mehr Aufwand braucht, um das alles wieder in die richtigen Bahnen zu bringen." Die Schweizer Hochschulen haben die Regierung in Bern inzwischen in einem Appell aufgefordert, gegenüber der Europäischen Union einzulenken.

Auch die Studierendenvertretungen aller Züricher Hochschulen werden nun aktiv. Bei "Erasmus plus" möchten sie auf keinen Fall außen vor bleiben, denn: "Der internationale Austausch trägt wesentlich zur Bildung neuer Ideen bei", glaubt Michelle Jatuffe Mathis vom Verband der Studierenden der Universität Zürich. Sie appelliert gemeinsam mit Carl Thomas Bormann, Studierendenvertreter der ETH, an die Solidarität der Studierenden in ganz Europa. Über internationale Studierendenorganisationen wollen sie den europäischen Institutionen nun klar machen, wie wichtig Erasmus plus für Schweizerische Studierende ist.

Schweiz Erasmus Student
Das Erasmus-Programm steht auf der KippeBild: picture-alliance/Joker

DAAD warnt vor Isolation der Schweizer Unis

Hier sprechen die Zahlen eine klare Sprache: 6611 Studierende aus ganz Europa profitierten nach Angaben des Deutschen Akademischen Austauschdienstes im vergangenen Hochschuljahr von der Teilnahme der Schweiz am Erasmus-Programm, darunter 2714 Studierende an Schweizer Hochschulen, die über Erasmus ins Ausland kamen. "In diesem Sinne glaube ich, dass es nicht nur im Interesse der Schweiz liegt, weiter an Erasmus teilnehmen zu dürfen", betont Carl Thomas Bormann, "sondern es muss auch ein Interesse der EU sein, die Schweiz hier als Partner zu haben."

Für ihre Bemühungen bekommen die Schweizer Studierenden Rückenwind aus Deutschland. Der Deutsche Akademische Austauschdienst betont in einer Stellungnahme, der Hochschulraum Schweiz dürfe nicht vom Rest Europas abgekoppelt werden. Sollte es doch dazu kommen, seien die "Schweizer Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Leidtragenden", kritisiert Professor Margret Wintermantel, Präsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Sie hofft darauf, dass "eine andere Lösung" als der Ausschluss der Schweiz von wichtigen Bildungsprogrammen gefunden wird. Sicher ist das derzeit aber nicht. Studierenden und Forschern in der Schweiz stehen unsichere Zeiten bevor.