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Angst vor christlichen Feiertagen

Birgit Svensson, Bagdad19. April 2014

Mehr als eine Million Christen haben den Irak in den vergangenen zehn Jahren verlassen. Der Grund: Immer wieder werden sie Ziel von Anschlägen. Zu Ostern ist die Angst besonders groß - so auch beim 38-jährigen Youssef.

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Karakosh; Foto: B. Svensson
Bild: DW/B.Svensson

Immer wenn die christlichen Feiertage sich nähern, bekommt Youssef Angst. Dann packt er seine Sachen und fährt raus aus Bagdad, 350 Kilometer weit Richtung Norden. Etwa 40 Kilometer vor Mosul, Iraks zweitgrößter Stadt, biegt er ab nach Karakosh, wo er sich eine kleine Wohnung gekauft hat. Am Kontrollpunkt an der Einfahrt in die Christenstadt kennt man ihn schon. Mit seiner hellen Haut hebt er sich von anderen Irakern ab.

"Wie ist es in Bagdad?", fragen die Sicherheitskräfte den Ankommenden, "wie viele Bomben hattet ihr gestern?" Youssef berichtet von zwei Mörsergranaten, die auf den Flughafen abgezielt wurden und einer Autobombe, die im Geschäftsviertel Karrada explodierte. Er habe aber aufgegeben, alle Explosionen zu zählen, sagt der 38-jährige Iraker müde. Es sind zu viele mittlerweile. Im südlichen Stadtteil Dura, wo er zuhause ist, sei es ausnahmsweise mal ruhig geblieben. An Weihnachten waren dort gleich mehrere Anschläge verübt worden. Als Gläubige die Christmette verließen, explodierte eine Autobombe. Tags darauf wurde der Markt bombardiert, der sowohl von Muslimen, als auch von Christen gern besucht wird. Insgesamt mehr als 50 Menschen fanden den Tod. Youssef befürchtet, dass auch an Ostern der Terror keine Pause einlegen wird. Seit April letzten Jahres nimmt die Gewalt wieder zu. Allein im Monat März sind fast 600 Menschen getötet und über 1000 verletzt worden. Die meisten von ihnen in der Hauptstadt Bagdad.

Kirche in Karakosh; Foto: B. Svensson
Kirche in KarakoshBild: DW/B.Svensson

Karakosh: Rückzugsort für Christen?

Noch vor zehn Jahren kannte Karakosh kaum jemand. Das christliche Dorf in der Provinz Ninewa zählte knapp 3000 Einwohner. Landwirtschaft war die Haupterwerbsquelle, Schafe gaben Wolle und Leder. Doch nachdem US-Amerikaner und Briten in den Irak einmarschiert waren und der Terror über drei Millionen Menschen in die Flucht trieb, wurde Karakosh zum sicheren Hafen für Christen, die immer tiefer zwischen die Fronten der ethnischen und religiösen Auseinandersetzungen gerieten. Zerrieben zwischen Schiitenmilizen und sunnitischen Extremisten, wurden sie oft Opfer erbitterter Kämpfe. Während Saddam Hussein noch seine schützende Hand über die christliche Minderheit in seinem Land gehalten hatte, ist sie seit seinem Sturz schutzlos der Willkür extremistischer Kräfte ausgesetzt.

Karakosh ist eine mittelgroße Stadt mit 50.000 Einwohnern, ein Handelszentrum mit neuen Straßen, Geschäften, Restaurants und schönen Häusern. Zweidrittel der Einwohner von Karakosh sind syrisch-katholisch wie Youssef. Die Stadt verfügt über 1200 eigene Sicherheitskräfte, die schwer bewaffnet die Stadtgrenzen bewachen, damit "der Terror draußen bleibt", wieYoussef die Aufgabe der Christenmiliz klassifiziert.

Es war am Vorabend von Allerheiligen 2010, als Youssef für immer traumatisiert wurde. An dem für Katholiken hohen Feiertag gingen acht seiner Familienmitglieder zur Messe in die syrisch-katholische Kathedrale Saidat-al-Najat im Nachbarbezirk Karrada. Youssef musste noch arbeiten, er wollte nachkommen. Immer wieder waren Kirchen in den Jahren zuvor Ziele von Anschlägen. Doch was an jenem Abend geschah, war an Brutalität kaum zu übertreffen: Kämpfer des Terrornetzwerks "Islamischer Staat Irak", dem auch Al Qaida angehört, überfielen die syrisch-katholische Kirche und nahmen die etwa 200 Gottesdienstbesucher als Geiseln. Als eine Stunde später Soldaten der irakischen Armee die Kirche stürmten, begannen die Terroristen die Geiseln durch Kopfschüsse hinzurichten. Mütter mussten mit ansehen wie ihre Männer, Söhne und Enkel starben. Im Kugelhagel zwischen staatlichen Sicherheitskräften und islamistischen Radikalen wurden auch Kinder und Frauen getötet und verletzt. Beim Massaker starben 68 Menschen. Als Youssef bei der Kirche ankam und seine Angehörigen abholen wollte, fand er sie tot auf.

Auswandererwelle von Christen

Rund 1,5 Millionen Christen lebten vor dem Einmarsch der amerikanischen Truppen im März 2003 im Irak. Heute sind es noch geschätzte 400.000, und der Trend zur Flucht hält an. Fast alle christlichen Familien haben bereits ein oder mehrere Mitglieder im Ausland, die bestrebt sind, den Rest der Familie nachzuholen. Auch Youssef will weg. Er hat einen Einreiseantrag nach Kanada gestellt, das großzügig qualifizierte Christen aus dem Irak aufnimmt. Youssef ist Ingenieur und rechnet sich Chancen aus, bald ein neues Leben in Übersee beginnen zu können.

Karakosh, Stadtansicht, Foto: B. Svensson
Karakosh gilt immer noch als sicherer Hafen für ChristenBild: DW/B.Svensson

"Die Christen im Irak sterben aus", warnt der Patriarch der chaldäischen Kirche, mit 80 Prozent die größte christliche Gemeinde landesweit. Louis Raphael Sako war lange Jahre Erzbischof in Kirkuk, die nach Bagdad meist umkämpfte Ölstadt im Norden Iraks. Dort hat er die Angst seiner Glaubensbrüder und -schwestern erfahren und die Perspektivlosigkeit, die vor allem junge Leute durch die Situation in ihrem Land in die Flucht treibt. Immer wieder hat der 65-jährige Chaldäer versucht Anreize zu schaffen, damit die Christen im Irak bleiben. Er verfasste Appelle an die westlichen Staaten, sich lieber im Irak zu engagieren, um eine Entspannung zwischen den rivalisierenden Volksgruppen zu erreichen, anstatt Christen im Westen aufzunehmen. Auch in Deutschland bat er um Unterstützung für sein Ansinnen. Doch manchmal kommt sich der kleine Mann mit der sanften Stimme wie ein Rufer in der Wüste vor. "Seit über 2000 Jahren leben wir hier, seit Jahrhunderten zusammen mit unseren muslimischen Brüdern und Schwestern." Und fast schon flehentlich führt er fort: "Der Charakter unserer Welt ist doch pluralistisch, wir brauchen einander."

Sako ist Nachfolger von Kardinal Emmanuel Delly, der kürzlich verstarb. Er musste von Kirkuk nach Bagdad umziehen. Für die Chaldäer sei Ostern besonders wichtig, antwortet er, nach dem Unterschied zum römisch-katholischen Glauben gefragt. "Rom betont gerne die Leiden Jesu, wir dagegen die Hoffnung." In den chaldäischen Kirchen sei das Kreuz leer. "Die Auferstehung Christi ist der Kern unseres Glaubens, das neue Leben, die Erneuerung." Aus diesem Glauben zieht Sako seine Kraft weiterzumachen. Ostern ist für ihn deshalb unverzichtbar. Das will er seinen Glaubensbrüdern und -schwestern vermitteln, wenn sie zu ihm in die Messe kommen.