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„Angst verkauft sich, Angst schüchtert ein“

8. Juli 2014

„Satire und Comedy können eines der wenigen Gegenmittel sein, um Angst zu bekämpfen.“ Das sagte der ägyptische Politsatiriker Bassem Youssef auf dem Global Media Forum 2014 der DW in Bonn. Seine Keynote im Wortlaut.

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GMF Global Media Forum 2014 Bassem Youssef
Bild: DW/J. Kabir

Herzlichen Dank dafür, dass ich heute hier sein kann! Für mein Team und mich ist das eine wunderbare Reise.

Für uns war meine Show mehr als eine bloße TV-Produktion. Es war eine zutiefst menschliche Erfahrung. Wir erfuhren aus erster Hand, wie wichtig Satire in unserem täglichen Leben sein kann. Wir haben einen einzigartigen Weg beschritten, um gehört zu werden. Nicht durch Gewalt, nicht durch Hetze, Hass und Ängste, nein: durch Comedy und unbeschwerten Humor – selbst wenn wir die abschreckendsten und kontroversesten politischen Themen diskutierten. Wir nutzten Gelächter, Tanz und Musik, um für Werte wie Freiheit und Koexistenz einzustehen und religiösem Fanatismus und falschem Patriotismus die Stirn zu bieten.

Dabei war es uns wichtig, Spaß und Freude zu haben im Sinne unserer Arbeit und unseres Publikums. Und selbst diejenigen, die unsere Botschaft nicht teilten, schauten uns zu, weil sie die Qualität unserer Arbeit schätzten. Sie verfluchten uns später, aber erst einmal trieben sie unsere Quoten in die Höhe. Herzlichen Dank dafür! Hier anwesende Ägypter werden das einzuordnen wissen …

All unser Tun diente dem Ziel, dieses Medium zu verändern, Medien zu schaffen, die die Überzeugungen und die Intelligenz der Menschen respektieren, sie gleichzeitig informieren und ihnen helfen, all die Lügen und Desinformation zu bekämpfen, die so viele Medien verbreiten. Damit haben wir aber niemals den Anspruch gehabt, Freiheitskämpfer oder politische Aktivisten zu sein. Wir waren überzeugt, dass es reicht, so zu sein, wie die Menschen im Alltag, die sich nicht durch lügnerische und trügerische Propaganda kaufen lassen.

Satire als Waffe

Satire stammt vom griechischen Wort Sarkasmus ab, was so viel bedeutet wie „sich das Maul zerreißen, zerfleischen, verhöhnen“, jemandem „das Fell über die Ohren ziehen“ um bloßzulegen, was darunter steckt. Satire war deshalb unsere Waffe, um die Lügen und Phrasen zu entlarven, die nur das Ziel haben, das Volk zu kontrollieren. Aber diejenigen, denen wir und unsere Botschaften nicht passten, setzten eine andere Waffe ein – die effektivste Waffe von allen: ANGST. Angst verkauft sich, Angst schüchtert ein. Angst bringt Menschen dazu, gegen ihre ehrlichen Überzeugungen zu handeln. Der elementarste Instinkt von allen: Angst.

GMF Global Media Forum 2014 Bassem Youssef
Videoeinblendung von Al Bernameg im ehemaligen Plenarsaal des Bundestags in BonnBild: DW/J. Kabir

Wir haben erlebt, wie Angst geschürt wurde, von denen, die sich hinter der Religion verstecken, um die Massen zu manipulieren. Wir haben gesehen, wie das menschliche Bedürfnis, sich mittels Logik, Lachen und Satire auszudrücken, unter dem Vorwand dämonisiert wurde, dies sei gegen die Religion und gegen Gott. Und von daher wurden wir als gottlos, obszön und sogar als Gefahr für die Gesellschaft angeprangert.

Anders zu denken: Grund für bösartige Attacken

Wir haben gesehen, wie Angst eingesetzt wird. Von denen, die alles mit der nationalen Sicherheit und dem vermeintlich patriotischen Anspruch begründen, um Hass und Misstrauen zwischen den Menschen zu säen. Anders zu denken, selbst Späße zu machen, das war Grund für bösartige Attacken. Folglich wurden wir als unpatriotisch, als Verräter und einmal mehr als Bedrohung für die Grundfeste der Gesellschaft betrachtet. Wir mussten erleben, wie sich die Angst ihren Weg durch Herz und Geist der Menschen bahnte, so dass selbst die lächerlichsten und absurdesten Behauptungen und Verschwörungstheorien auf breiter Front als unstrittige Fakten akzeptiert wurden.

Die Politik der Angst

#videobig#Angst verkauft sich. Angst funktioniert. Angst macht, dass du ungeschoren davonkommen möchtest. Und wenn Menschen ängstlich sind, akzeptieren sie keine Logik, geschweige denn Satire. Angst kann die Massen beherrschen. Angst kann sie in einen rücksichtslosen Organismus verwandeln, frei von menschlichem Erbarmen und intellektuellem Verstand. Angst kann Menschen dazu treiben, ihren besten Charakterzug aufzugeben: Menschlichkeit. Getrieben von Angst, akzeptieren sie, wenn ihnen das Recht, zu protestieren und zu opponieren, genommen wird. Und sie applaudieren sogar, wenn anderen Völkern solche Rechte genommen werden. Wer Angst hat, sehnt sich nach dem Faschismus und der Begriff Menschenrechte gilt als geradezu unanständig.

Wir wollten solche irrationalen Ängste aufdecken, wir wollten sie als niedere menschliche Instinkte entlarven, die einzig und allein dazu dienen, menschliche Grundrechte und Bedürfnisse aufzugeben. Das mag seltsam klingen, aber ich will Sie noch einmal daran erinnern: Angst verkauft sich. Angst zahlt sich aus. Angst ist eine Urgewalt.

Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bassem Youssef
Global Media Forum 2014: Bassem Youssef begegnet Außenminister Frank-Walter SteinmeierBild: DW/M.Müller

Angst ist wahrscheinlich die größte treibende Kraft der Masse. Dies hat uns die Geschichte gelehrt. Die Welt hat den Nationalsozialismus, den Faschismus, die McCarthy-Ära erlebt. Alles Bewegungen, die Angst, Ausländerfeindlichkeit und hohle, bösartige Phrasen nutzten, um die Massen einzuschüchtern.

Sechzig Jahre danach werden solche Methoden immer noch angewandt. Wir haben gesehen, wie hochentwickelte Demokratien Angst schürten, um die Welt in einen Krieg zu verwickeln – wie unter Präsident Bush in den USA geschehen. Die primären Waffen waren keine hochmodernen Flugzeugträger oder Tarnkappen-Bomber. Es waren althergebrachte und sozusagen „nationwide“ geschürte Ängste. Angst ist die beliebteste Waffe von allen: Egal ob in demokratischen oder autokratischen Ländern, ob in religiösen Staaten oder Terrorgruppen – Angst ist die beliebteste Waffe von allen.

Angst verkauft sich, Angst funktioniert, Angst ist ein Gewinner. Aber Satire und Comedy können eines der wenigen Gegenmittel sein, um die Angst zu bekämpfen. Satire und Comedy emanzipieren den Geist. Sie befreien das Urteilsvermögen. Deshalb sind sie eine Bedrohung und deshalb werden Menschen, die sich der Satire bedienen, abgelehnt, ausgegrenzt oder sogar verfolgt.

Gleichgültig, ob eine Regierung glaubt, sie sei näher an Gott als Sie oder ein Regime überzeugt ist, es sei patriotischer als Sie. Als Satiriker hat man keinen Platz in einer Welt, in der Faschismus gefeiert wird und Angst regiert. Aber die Satire wird dafür sorgen, dass diese Gleichung nicht auf Dauer aufgeht. Denn wer lacht, wirst nie wieder ängstlich sein. Und deshalb wird das System alles dafür tun, die mächtige Waffe des Lachens auszumerzen und durch die Angst zu ersetzen.

GMF Global Media Forum 2014 Auftritt Bassem Youssef
Umjubelter Auftritt von Bassem Youssef, DW-Intendant Peter Limbourg applaudiertBild: DW/K. Danetzki

Aber vielleicht gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer. Vielleicht wird der Wandel von einer Seite kommen, von der man es am wenigsten erwartet. Die heutige Welt ist eine junge Welt. Die Jugend ist mehr denn je vernetzt. Das Internet bietet Möglichkeiten, die es vor einigen Jahren noch nicht gab, als Regime machen konnten, was sie wollten.

Als wir vor drei Jahren mit unserer Show im Internet starteten, waren wir bei uns vermutlich die einzigen mit einer solchen Idee und einem solchen Format. Aber jetzt ist das Netz voll von jungen Leuten, die jeden Tag bereit sind, Angst, Einschüchterung und Medienbetrug zu bekämpfen.

Wir waren zu groß, als dass man uns erlauben konnte, weiterzumachen. Aber während wir verboten waren, hat sich etwas geändert. Die Show zu beenden mag wie ein trauriger Schlussstrich wirken. Wir möchten es gern als Signal für einen Neuanfang sehen. Wir haben eine ganze Generation inspiriert, nach draußen zu gehen und sich zu artikulieren. Die alten Rezepte verfangen bei diesen jungen Leuten nicht mehr. Propaganda, die noch bei ihren Eltern funktioniert hat, wird sie nicht mehr einschüchtern.

Angst hat keine Zukunft

Die Übermacht des Faschismus, die heute so manche Region unseres Planeten plagt, ist nur eine zeitweilige und flüchtige Phase, die bald von der zukünftigen Generation weggeschwemmt wird. Der herrschende Faschismus scheint unbesiegbar und man könnte glauben, die lang ersehnte Freiheit sei eine Totgeburt. Aber das ist nicht wahr. Wie Bevan einmal sagte: „Faschismus ist keine neue Gesellschaftsordnung; es ist nur eine Zukunft, die sich weigert, geboren zu werden.“

Aber ich sage Euch, dass die Zukunft schon hier ist. Sie läuft sich gerade warm.

Also: Angst mag sich verkaufen. Angst mag funktionieren. Angst mag gewinnen. Aber sie wird ihrer eigenen Niederlage begegnen. Und das Schlachtfeld für den großartigen Sieg werden die Herzen und Seelen lebendiger, dynamischer und inspirierter junger Menschen sein, die der Angst nicht nachgeben werden. Angst kann uns nicht weiterbringen. Sie hat keine Zukunft. Sie kann keine Staaten aufbauen, sie kann nur zerstören. Und wer glaubt, er könnte heute gewinnen, weil er sich die Angst zunutze macht, der sollte dringend nachdenken. Weil er nämlich falsch liegt. In den Geschichtsbüchern wird er dereinst als Verlierer erscheinen, in den Herzen der jungen Generation hat er bereits verloren!

Keynote im Wortlaut von Bassem Youssef beim Global Media Forum der Deutschen Welle am Montag, 30. Juni 2014, in Bonn.