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Angriffe auf Asylbewerberheime nehmen zu

Anna Peters6. März 2014

Im Jahr 2013 hat es doppelt so viele rechtsextreme Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gegeben wie noch im Vorjahr. Regierung und Flüchtlingsinitiativen sind alarmiert.

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NPD-Protest gegen Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf (Foto: picture alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Fichtelberg, Bayern, an einem Samstagnachmittag im Januar 2014: Eine Gruppe dringt in die Asylbewerberunterkunft am Fichtelsee ein. Schwarz gekleidet, teilweise vermummt, kommen sie bis ins Treppenhaus. Dann schreien sie lautstark, so berichtet es der "Nordbayerische Kurier". Was sie genau rufen, verstehen die Menschen, die hier leben, nicht. Sie sind Flüchtlinge, erst vor wenigen Wochen in Bayern angekommen, die meisten verstehen kaum ein Wort Deutsch. Die ungebetenen Gäste flüchten kurz darauf.

Brandanschläge, eingeschlagene Fensterscheiben, rassistische Parolen - rechtsextreme Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte nehmen in Deutschland stark zu. Beispiele gibt es viele - von Essen bis Berlin, von Fichtelberg bis Güstrow. Laut Bundeskriminalamt (BKA) sind es im vergangenen Jahr allein 58 rechtsextreme Delikte gewesen, mehr als doppelt so viele wie noch 2012. Die Dunkelziffer aber könnte deutlich höher liegen. Denn das BKA berücksichtigt in seiner Statistik nur jene Taten, die eindeutig rechtsextrem motiviert sind. Andere Überfälle, wie zum Beispiel in Fichtelberg, tauchen in diesen Zahlen nicht auf. Denn im Fall des beschaulichen Ortes im Kreis Bayreuth muss die Polizei erst noch prüfen, ob ein ausländerfeindlicher Hintergrund vorliegt. Da die Flüchtlinge die Eindringlinge nicht verstanden haben, weiß die Polizei nicht, welche Äußerungen die Gruppe von sich gegeben hat.

Erinnerungen an 1992/1993

Die MenschenrechtsorganisationPro Asyl zählt alleine für das laufende Jahr 2014 schon insgesamt 20 Delikte, davon zwölf Brandanschläge. Bei Geschäftsführer Günter Burkhardt weckt diese Entwicklung Erinnerungen, wie er im Gespräch mit der DW sagt. Erinnerungen an die aufgeladene Stimmung Anfang der 1990er Jahre, an rechtsextreme Übergriffe auf Flüchtlinge und Migranten, an die Anschläge in Hoyerswerda, Mölln und Solingen, die teils tödlich endeten. Aber zum Glück sei heute noch keine flächendeckende Kampagne gegen Asylsuchende festzustellen, so wie damals in den 1990er Jahren, sagt er. Heute sind es laut Pro Asyl vor allem die NPD, aber auch Pro Deutschland und die AfD, die Stimmung gegen Flüchtlinge machen.

Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl (Foto: picture alliance/dpa)
Günter Burkhardt von Pro Asyl fordert eine bessere Integration von FlüchtlingenBild: picture-alliance/dpa

Noch hätten wir keine "Pogromwelle" wie kurz nach der deutschen Wiedervereinigung, meint auch Hajo Funke im Gespräch mit der DW. Damals kam es sogar zu Todesopfern: Allein im Jahr 1992 starben 27 Menschen durch rechtsextreme Ausschreitungen.

Der Rechtsextremismusforscher warnt aber vor dem, was sich aus der gegenwärtigen Situation noch entwickeln könnte: "Die große Gefahr ist, dass die Brandstiftungen zu einer Welle geraten und wir dadurch mehr Verletzte und Tote beklagen müssen als gegenwärtig."

Auch die Bundesregierung zeigt sich angesichts der Zahlen des BKA in einer schriftlichen Stellungnahme besorgt. "Die rechtsextremistische Szene wendet sich seit Mitte 2013 verstärkt gegen Asylsuchende", so Pamela Müller-Niese, Sprecherin des Bundesministeriums des Innern.

Rechtsextreme nutzen Stimmung in der Nachbarschaft

Die Zahl Asylsuchender hat im Jahr 2013 den höchsten Stand seit 1999 erreicht. Rund 127.000 Menschen aus Syrien, Afghanistan und anderen Krisenherden der Welt sind im vergangenen Jahr nach Deutschland geflüchtet. In vielen Städten und Kommunen entstehen daher - auch kurzfristig - provisorische Sammelunterkünfte in leerstehenden Schulen oder Kasernen. Vielerorts fühlen sich Anwohner dabei übergangen oder mit ihren Ängsten alleingelassen. Rechtsextreme machen sich die Situation zunutze. Prominentestes Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: Berlin-Hellersdorf. In dem Stadtteil war es im Spätsommer 2013 immer wieder zu Protesten gegen eine neue Notunterkunft gekommen. Rechtsextreme nutzten die Stimmung in der Nachbarschaft, um gegen Asylbewerber zu hetzen. Die Lage war schließlich so angespannt, dass die ersten Flüchtlinge unter Polizeischutz und durch die Hintertür ihre Sammelunterkunft beziehen mussten.

"Die politisch extreme Rechte versucht, die vermeintliche Stimmung in der Bevölkerung zu nutzen", ist Günter Burkhardt überzeugt. "Da wird versucht, Anschluss an die gesellschaftliche Mitte zu finden." Auch Ministeriumssprecherin Müller-Niese befürchtet, dass die rechtsextreme Szene über das Thema "Asylmissbrauch" versuchen wird, das bürgerliche Spektrum zu erreichen. Die Versuche der Rechtsextremen verwundern nicht: "Bis zur Hälfte der Bevölkerung sagt, wir hätten zu viele Ausländer", erläutert Hajo Funke. Angst vor Fremden sei also weit verbreitet. Und genau diese Angst machen sich die Parteien am rechten Rand zu Nutze.

Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke (Foto: picture alliance/dpa)
Hajo Funke: "Die große Gefahr ist, dass die Brandstiftungen zu einer Welle geraten"Bild: picture-alliance/dpa

Für Müller-Niese ist es "auffällig", dass die zunehmenden Proteste gegen Asylbewerber, wie in Berlin-Hellersdorf, zeitlich mit rechtsextremen Delikten zusammenfallen, "so dass ein Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden kann".

Burkhardt: "Flüchtlinge in Wohnungen unterbringen"

Günter Burkhardt und Pro Asyl sehen jetzt die Politik in der Verantwortung, rechtspopulistische Stimmungsmache in Deutschland einzudämmen. Er fordert ein klares Bekenntnis zum Grundrecht auf Asyl und damit verbundene Maßnahmen, die den Asylbewerbern eine Integration in Deutschland ermöglichten: "Man sollte Flüchtlinge in Wohnungen unterbringen und nicht in großen Unterkünften, die sich als sichtbares Zeichen für Angriffe Rechtsextremer eignen."

Außerdem bedürfe es eines Integrationskonzepts für Flüchtlinge. Die Menschen bräuchten Zugang zum Arbeitsmarkt und Bewegungsfreiheit. Damit die Flüchtlinge als das wahrgenommen werden, was sie sind: ganz normale Menschen.