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Wohnen mit Idealismus und Spaß

30. September 2009

In der anonymen und alternden deutschen Gesellschaft suchen viele Menschen nach alternativen Wohnformen. In Großstädten boomen Baugemeinschaften, in denen Gleichgesinnte ihre idealen Vorstellungen vom Wohnen realisieren.

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Holzhäuser mit bunten Blumen (Foto: Marietta Schwarz)
Lebens(t)raum in BerlinBild: Marietta Schwarz

Die Schafe blöken vom Feld herüber, Kinder backen im Sandkasten ihren letzten Kuchen. Frau Glänzel sieht ihnen zu, während sie gemütlich die Rosen wässert. Vierzig Jahre lang lebte die 63-Jährige mitten in Berlin. Dann entschied sie sich mit ihrem Mann rauszuziehen an den Rand der Stadt - und Teil der Baugemeinschaft "Lebens(t)raum" zu werden. "Ich denke auf jeden Fall, dass ich hier die größere Chance habe, jung zu bleiben", sagt sie, den Gartenschlauch immer noch aufs unüberschaubare Staudenbeet gerichtet. Der Abend kündigt sich an, in den Wohnungen klappert bereits das Geschirr fürs Essen.

Eine Schaafherde weidet vor den Häusern der Baugemeinschaft (Foto: Harald Zenke)
Weiden mit SpaßBild: Harald Zenke

Auch bei den Kandlers gibt’s schon hungrige Gesichter. Jannick, Luzi und Frieda sitzen mit ihrer Mutter um den Holztisch, während der Vater am Herd steht. Es duftet nach Flammkuchen. Früher haben die Kandlers im großstädtisch rauhen Berlin-Kreuzberg gewohnt. Dann zog es sie ins Grüne. Aber nicht in eine Einfamilienhaussiedlung, und nicht allein. Die Baugemeinschaft "Lebens(t)raum" suchte noch Mitglieder, und die Kandlers entschieden sich mitzumachen. Eine Bauch-Entscheidung sei es gewesen, sagt Ulrike Kandler. Sie habe ja keine Ahnung gehabt, wie viele Diskussionen und Auseinandersetzungen es dann doch birgt. Aber sie kann auch ohne zu zögern die vielen Vorteile aufzählen: Dass es keine Zäune zwischen den Gärten gibt, dass die Kinder sich überall frei bewegen können und auch mit älteren Menschen Kontakt haben.

Ein bisschen ist es wie das Leben im Dorf

Mit anderen Menschen zu wohnen, die man mag, ist für viele ein Lebenstraum. Und so nennen die 70 Bewohner auch ihre Baugemeinschaft "Lebens(t)raum". Die ersten haben vor vier Jahren angefangen zu bauen. Inzwischen gibt es 19 Reihenhäuschen aus Holz und Lehm. Das Grundstück ist voll. Nur in der Mitte ist noch ein großer Platz geblieben. Sie nennen ihn "Rundling". Der Dorfplatz.

Kinderspielplatz mit Steinen und einer Rutsche (Foto: Marietta Schwarz)
Spielen mit SpaßBild: Marietta Schwarz

"Ja, es hat schon was von einem kleinen Dorf", sagt Ulrike Kandler und lacht. "Es gibt auch so ein bisschen Tratsch!" Und ein Stück weit zum alten Dorfleben zurückzukehren, ist auch ganz im Sinne der Bewohner. Die Omi von nebenan macht den Babysitter, die Jungen helfen ihr bei den Sachen, die sie nicht mehr machen kann. Und wenn sie dann mal selbst alt seien, würden sie alle mit dem Rollator über die holprigen Wege wackeln, witzelt Ulrike Kandler.

Wie im Alter leben? Das ist die große Frage, in einem Land, in dem viel vom demographischen Wandel gesprochen wird und von traurigen Verhältnissen im Pflegeheim. Harald Zenke war derjenige, der das Projekt vor vier Jahren initiierte. Als Architekt hatte er Lust, eine Ökosiedlung zu bauen. Und wie das Leben im Alter nicht aussehen sollte, sah er bei seinen eigenen Eltern: Die leben mit über 80 Jahren in ihrem Einfamilienhaus, das sie sich einst gebaut haben. Die Kinder sind längst ausgezogen, und das Haus ist für zwei viel zu groß.

Langwierige Diskussionen gehören auch dazu

Die Bewohner der Baugemeinschaft stellen sich für ein Gruppenfoto auf (Foto: Harald Zenke)
Diskutieren mit SpaßBild: Harald Zenke

Eine Baugemeinschaft stellt eine verlockende Alternative dar. Man kann gemeinsam alt werden und sich gegenseitig helfen. Aber sie birgt auch finanzielle Vorteile. Im Schnitt sparen die Beteiligten 15 bis 25 Prozent der Baukosten, und bekommen dafür qualitativ besseren Wohnraum. Auch bei den 19 "Lebens(t)raum"-Holzhäusern war das so. Von der Dämmung bis hin zur gemeinsamen Holzpellet-Heizung ist alles 100 Prozent Öko. Viele Bewohner haben zusätzlich noch Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern und erzeugen Strom. Einmal pro Woche werden Einkaufslisten geschrieben, demenstprechend werden dann werden die Bioprodukte geliefert und verteilt. Sieht nach heile Welt aus. Aber, sagt Carsten Ernst, Vater von zwei Jungs und überzeugter Gruppenmensch, die Entscheidungsprozesse sind manchmal extrem langwierig und anstrengend: "Es gibt 35 verschiedene Meinungen. Und eine unserer Prämissen ist Basisdemokratie - mit dem Ziel, auch einen Konsens zu finden".

Als es richtig warm war, haben die Bewohner vom Rundling abends oft zusammen am Lagerfeuer gesessen. Momentan planen sie für die kälteren Jahreszeiten ein Gemeinschaftshaus. Carsten Ernst zündet sich eine Zigarette an. Letztendlich könne man doch stolz auf das sein, was man erreicht hat, sagt er zufrieden.

Das Projekt "Lebens(t)raum" geht weiter.

Autorin: Marietta Schwarz

Redaktion: Aya Bach (cp)