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Analystin Weber: "Vertrauen schaffen wird Jahrzehnte dauern"

Dirke Köpp24. März 2014

Zentralafrika liegt ein Jahr nach dem Putsch am Boden. Die internationale Gemeinschaft leistet Nothilfe. Der Antrieb für den Wiederaufbau aber müsse aus dem Land selbst kommen, sagt Analystin Annette Weber.

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SWP Dr. Annette Weber
Bild: SWP

DW: Frau Weber, vor genau einem Jahr haben Rebellen in der Zentralafrikanischen Republik die Macht übernommen. Wie konnte es dazu kommen?

Annette Weber: Die Regierungen in der Zentralafrikanischen Republik haben sich in den vergangenen Jahrzehnten fast immer an die Macht geputscht. Vor einem Jahr kam hinzu, dass der Präsident des Nachbarlandes Tschad, Idriss Déby, sich eingemischt hat. Er wollte damals lieber Michel Djotodia und die Séléka-Rebellen in Bangui an der Macht haben als den Vorgänger François Bozizé. Selbst wenn der bei seinem Putsch einst auch von der tschadischen Regierung unterstützt worden war.

Die Probleme liegen also nicht nur innerhalb der Zentralafrikanischen Republik. Wie müsste sich denn da die internationale Gemeinschaft verhalten?

Wenn man sich die Region anschaut und sieht, wie sich die Konflikte aus den Nachbarländern in die Zentralafrikanische Republik hinein und aus der Zentralafrikanischen Republik in die Nachbarländer hinaus bewegen, dann wird klar: Man braucht eine regionale Strategie. Der Tschad ist nicht neutral. Er spielt eine unglückliche Rolle, weil er seine eigenen Interessen und die eigene Sicherheit in den Vordergrund stellt. Und danach sucht er die politische Führung für das Nachbarland aus. Die internationale Staatengemeinschaft und die Afrikanische Union müssen auf den Tschad einwirken und unterstreichen, dass diese Art von Einflussnahme auf politische Prozesse in Nachbarländern nicht vertretbar ist und destabilisierend wirkt. Aufgrund all der Probleme in der Region - der Konflikt im Südsudan, der Zerfall Ägyptens, die Probleme in der Sahel-Zone - ist die Staatengemeinschaft im Moment aber nicht in der Lage, sich auf eine regionale Strategie zu konzentrieren. Was wir im Augenblick sehen, ist der Versuch, in der Zentralafrikanischen Republik eine minimale Grundstabilität wiederherzustellen, um die Bevölkerung zu versorgen.

Das heißt, dass man den Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik nicht an der Wurzel packt, sondern ihn nur oberflächlich behandelt?

Ja, denn in der Zentralafrikanischen Republik kommen zwei Dinge zusammen, die schwer zu bewältigen sind. Da ist zum einen die Abwesenheit des Staates: Es gibt eine sehr schwache Staatlichkeit, die eigentlich nur im Regierungspalast in Bangui vorhanden ist, aber nie in den Dörfern angekommen ist. Zum anderen sehen wir eine Gesellschaft, die nicht in der Lage ist, Sicherheit und Ordnungssysteme selbst herzustellen, zum Beispiel durch Familien oder Gemeinschaften, die sich ein Sicherheits- und Versorgungsnetz schaffen. Diesen unglaublich wichtigen Faktor von außen zu beeinflussen, wird sehr schwer sein. Im Moment erscheint die humanitäre Versorgung als wichtigster Schritt. An die politischen und strukturellen Probleme des Landes wagt man sich noch nicht heran. Ich wüsste aber ehrlich gesagt auch nicht genau, wie man die Schwächung einer Gesellschaft und eines Staates von außen rückgängig machen oder die Gesellschaft wieder stärken könnte. Das muss von innen kommen - und das ist eine unglaublich große Herausforderung für jede Regierung in Bangui.

Übergangspräsidentin Catherine Samba-Panza darf sich 2015 nicht zur Wahl stellen. Was kann sie bis dahin zur Bewältigung der Krise beitragen?

Sie kommt aus einer zivilgesellschaftlichen Position und genießt daher mehr Vertrauen als die Vorgängerregierungen. Zumindest die intellektuelle Elite der Gesellschaft traut ihr zu, dass sie so etwas wie einen Grundstock für den Wiederaufbau legen kann. Was sie allerdings nicht kann und das hat sie auch mehrfach selbst betont: Vertrauen wiederherstellen, wenn sie keine finanziellen Möglichkeiten hat, wenn sie also ihre Staatsbediensteten nicht bezahlen und den Staat nicht zum Funktionieren bringen kann. Neben der humanitären Versorgung sind das Aufgaben, die man sich sehr genau anschauen muss. Es reicht daher nicht, die Präsidentin nur mit Worten zu unterstützen. Man muss sie auch ausstatten.

Stichwort Vertrauen: Es heißt immer wieder vereinfachend, dass es sich um einen interreligiösen Konflikt handelt. Warum greift diese Beschreibung zu kurz?

Weder in der Zentralafrikanischen Republik noch im Südsudan handelt es sich ausschließlich um interreligiöse oder interethnische Konflikte. Es ist allerdings sehr einfach, junge Männer auf Basis ihrer Identität zu mobilisieren, in der Zentralafrikanischen Republik zum Beispiel über ihre Religion. Es werden Feindbilder aufgebaut mit etwas, das relativ offensichtlich ist: Wir sind Christen, die sind Muslime oder andersherum. Oder im Südsudan: Wir sind Dinka, die nicht oder andersherum. In der Zentralafrikanischen Republik gibt es allerdings keine interreligiösen Konfliktpunkte, die in der Gesellschaft so tief verankert sind, dass man von einem interreligiösen Konflikt sprechen könnte.

Wir sehen aber natürlich, dass nach dem Putsch der Séléka-Rebellen im vergangenen Jahr zum ersten Mal eine muslimische Regierung an der Macht war. Und es gibt eben die hauptsächlich muslimischen Händler und Geschäftsleute, die von den Nicht-Händlern - meist Christen - teilweise kritisch gesehen und auch mit Neid beäugt wurden. Anhand solch kleiner Differenzen kann man sehr schnell Feindbilder aufbauen, die dann zur Mobilisierung dienen. Es gibt in der Zentralafrikanischen Republik bis heute Familien, die gleichermaßen aus Christen und Muslimen bestehen, sehr viele gemischte Ehen also und Menschen, die vor drei bis vier Generationen aus dem Tschad gekommen sind oder aus Kamerun. Ich würde daher eher von Verschiedenheit sprechen - und nicht von einer Kluft zwischen Christen und Muslimen. Aber bei einer Mobilisierung für einen Konflikt geht es tatsächlich um solche offensichtlichen Unterschiede.

Die internationale Gemeinschaft entsendet Truppen. Geht dieses Engagement denn in die richtige Richtung?

Im Moment geht es darum, die humanitäre Katastrophe einzudämmen, die sich noch verstärken wird. Denn die Menschen können nicht mehr in ihren Dörfern wohnen und ihre Felder nicht mehr bestellen. Es ist also wichtig, durch humanitäre Einsätze eine Grundsicherung leisten zu können. Der erste Schritt müsste also sein, die Anti-Balaka und die Ex-Séléka zu entwaffnen, um dann humanitäre Operationen durchführen zu können. Parallel dazu bedarf es später einer friedenserhaltenden Mission durch die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union. Die sollten dann nicht mehr militärisch operieren, sondern Gebiete sichern.

Der Beginn des EU-Einsatzes ist gerade verschoben worden. Was bedeutet das für das Land?

Auf der einen Seite bedeutet es für das Land, dass die Franzosen mit der panafrikanischen Mission MISCA vor Ort weiter die einzigen Soldaten sind, die für die Eingrenzung der Gewalt sorgen. Es bedeutet auch, dass die Mission der Vereinten Nationen sich nicht auf die EU-Mission stützen kann, die ja eigentlich als Brückenmission gedacht war. Auf der anderen Seite bedeutet es für die Europäer, dass sie sich klar machen sollten, wie sie das, was sie ankündigen, auch umsetzen: Die EU hatte auf die Dringlichkeit verwiesen, auf die humanitäre Katastrophe, hatte klar gesagt, dass man schnell handeln müsse. Jetzt hat sie festgestellt, dass es nicht genügend Truppensteller gibt für diesen Einsatz, keine ausreichende Logistik, nicht genügend Transport. Das ist nicht nur eine Ernüchterung. Das ist ein ziemlicher Schlag, was die europäischen Möglichkeiten für militärische und friedenserhaltende Einsätzen betrifft.

Wie lange wird die Zentralafrikanische Republik brauchen, um sich von diesem Konflikt zu erholen - wirtschaftlich und gesellschaftlich?

Die Krise hält schon sehr lange an, daher denke ich, das Land braucht Jahrzehnte. Das gegenseitige Vertrauen in der Bevölkerung wieder herzustellen, wird sicherlich eine Generation dauern. Was die wirtschaftliche Stabilisierung angeht: Die Zentralafrikanische Republik hat riesige Vorkommen an Bodenschätzen, aber die werden bislang nicht zum Vorteil der Bevölkerung eingesetzt. Das heißt: Es werden keine Steuern darauf erhoben, der Staat nimmt nichts ein, verteilt nichts um. Eine Wirtschaft einzurichten, die den Staat dazu befähigt, ein funktionierendes Bildungs- und Gesundheitssystem aufzubauen, wird Jahre dauern.

Annette Weber ist Wissenschaftlerin und Afrika-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Das Interview führte Dirke Köpp.