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Kein Militärschlag - aber was nun?

Kersten Knipp12. September 2013

Ein Militärschlag gegen Syrien wurde abgewendet - zumindest vorerst. Nun sollen Assads Chemiewaffen vernichtet werden. Ist das möglich? Und wie geht es danach weiter?

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UN-Kontrolleure überprüfen Stätte des Giftgasangriffs in Zamalka, 29.8. 2013 (Foto: REUTERS)
Beweissicherung: UN-Kontrolleure überprüfen Giftgasangriffe vor OrtBild: Reuters/Mohammad Abdullah

Eine Intervention in Syrien wurde vorerst abgewendet. Wie geht es weiter?

Das ist derzeit noch offen. Alle Beteiligten - die USA, die Europäer, die Russen, Iran und die arabischen Staaten - warten ab, wie Baschar al-Assad sich verhält. Entscheidend wird sein, ob er Verhandlungen über die Kontrolle und Vernichtung der Chemiewaffen nun rasch und ernsthaft angeht. US-Präsident Barack Obama erklärte in seiner Rede an die Nation, in den vergangenen Tagen habe man "einige ermutigende Zeichen gesehen". Die russische Initiative, die Assad dazu bewog, der Kontrolle und Vernichtung der syrischen Chemiewaffen zuzustimmen, habe "das Potenzial, die Bedrohung durch chemische Waffen ohne den Einsatz militärischer Gewalt zu beseitigen". Daher habe Obama den US-Kongress gebeten, die Abstimmung über eine Militärintervention aufzuschieben.

Der US-Präsident kündigte außerdem an, die USA würden zusammen mit Frankreich, Großbritannien, China und Russland an einer UN-Resolution arbeiten, die den syrischen Staatschef Assad dazu zwingen solle, seine Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen. Sollten die diplomatischen Bemühungen aber scheitern, sei er zu einem Militärschlag entschlossen. Assad steht unter hohem diplomatischen Druck. Will er eine Intervention dauerhaft ausschließen, wird er sich diesem beugen müssen.

Wie lassen sich die Chemiewaffenbestände kontrollieren und vernichten?

Die Kontrolle und Vernichtung der Waffen ist eine schwierige und komplexe Angelegenheit. Solange die Gewalt in Syrien anhält, werden die Kontrolleure ihre Arbeit kaum beginnen können. "Grundvoraussetzung ist, dass alle Parteien des syrischen Bürgerkrieges sich an diesem Prozess beteiligen und ihn tolerieren und unterstützen", erklärt der Chemiewaffenexperte Ralf Trapp. Nach einem Ende der Gewalt wird man zunächst ein Inventar der vorhandenen Waffen erstellen müssen. Die Zerstörung der Waffen wird sich mit kleineren oder mobilen Chemiewaffenvernichtungsanlagen kaum bewältigen lassen. "Dafür muss man eigene Anlagen bauen", so Trapp. All dies wird sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. "Das ist keine Aufgabe, die man in wenigen Monaten wird erledigen können. Das gesamte Programm wird sich über viele Jahre erstrecken", erläutert Oliver Meier, Rüstungskontrollexperte an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.

Die Voraussetzung für sämtliche Schritte ist allerdings, dass Inspektoren und Techniker hinreichend geschützt sind. Dies ist ohne politische Unterstützung nicht möglich. Ob diese aber über Jahre geleistet werden könnte, bezweifeln manche Experten. Dass es gelingt, die Chemiewaffen zu vernichten, ist darum keineswegs ausgemacht.

Kann man garantieren, dass wirklich sämtliche Waffen vernichtet werden?

Syrien ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten keinem internationalen Chemiewaffenabkommen beigetreten. Der derzeitige Umgang des Landes mit diesen Waffen gründet auf einem Vertrag aus dem Jahre 1925. Entsprechend wenig weiß man über die Einzelheiten der Bestände. Als sicher gilt nur, dass die Vorräte erheblich sind. "Genannt werden in etwa tausend Tonnen, verteilt auf mehrere Standorte", sagt Ralf Trapp. Außerdem kann man nicht ausschließen, dass Assad einen Teil seines Arsenals vor den Inspektoren zu verstecken versucht. Darum kommt es darauf an, auf welcher vertraglichen Grundlage die Inspektoren arbeiten werden. Findet die Untersuchung im Rahmen des bestehenden internationalen Chemiewaffenübereinkommens statt, gibt es zwar Möglichkeiten, entsprechenden Zweifeln an Ort und Stelle nachzugehen. Doch es ist zweifelhaft, dass sich dieses Verfahren in der gegenwärtigen Lage oder auch kurz nach Ende der Gewalt angemessen umsetzen lässt.

Opfer des Giftgasangriffes in Ghouta, 21.8. 2013 (Foto: REUTERS)
Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Opfer in GhoutaBild: Reuters

Warum gilt der Einsatz von Chemiewaffen als so gravierend?

Der Syrienkonflikt verlief auch vor dem Chemiewaffeneinsatz schon äußerst gewalttätig. Mindestens 100.000 Menschen sind Schätzungen der UN zufolge gestorben, die Dunkelziffer könnte wesentlich höher liegen. Dennoch stellt der Einsatz von Chemiewaffen eine neue Eskalationsstufe dar. Denn ihr Gebrauch ist international ein Tabu, ebenso wie der von biologischen und atomaren Waffen. 1992 wurde die Chemiewaffenkonvention der UN verabschiedet, die die Entwicklung, Herstellung und den Einsatz chemischer Waffen verbietet.

Diese Waffen, so der Politikwissenschaftler Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik, seien vor allem politischer Natur: "Man kann mit ihnen drohen und abschrecken. Zugleich aber geht niemand davon aus, dass sie tatsächlich eingesetzt werden." Dennoch sind diese Waffen in der Vergangenheit bereits eingesetzt worden. Bekannt ist etwa der Angriff der irakischen Luftwaffe im März 1988 auf das Dorf Halabscha im Nordosten des Landes. Durch ihn kamen mindestens 3200 Menschen ums Leben, über 7000 erlitten schwere Verletzungen.

Wie stark ist Assad? Wie viel Unterstützung hat er in Syrien?

Seit dem Frühling hat Assads Militär zahlreiche schon an die Rebellen verloren geglaubte Städte und Regionen zurück in seine Gewalt gebracht. Der spektakulärste Fall war die Rückeroberung der zentral gelegenen und darum strategisch bedeutsamen Ortschaft Kusair Anfang Juni 2013. In dem Kampf um das Städtchen haben Milizen der mit Assad verbündeten Hisbollah eine zentrale Rolle gespielt. Längst ist die Hisbollah eine starke Stütze für das Assad-Regime. Auch Iran unterstützt Assad durch Truppen, Ausbilder und Waffen. Russland liefert ebenfalls Waffen nach Damaskus - nach eigener Aussage aber nur solche, über die bereits vor Ausbruch der Proteste Lieferverträge geschlossen wurden. Experten sprechen aber auch davon, dass Russland das Assad-Regime zusätzlich durch Geld und Treibstoff unterstütze. Dank seiner Verbündeten ist Assads Heer weiterhin sehr stark. Da es zudem über eine starke Luftwaffe verfügt, schlägt es die Aufständischen immer weiter zurück.

Der syrische Präsident baschar al-Assad, 2.9. 2013 (Foto: REUTERS/SANA)
Unter hohem Druck: Syriens Präsident AssadBild: Reuters

Wie stark sind radikale Islamisten in den Reihen der Opposition?

Darüber gibt es keine gesicherten Angaben. Seit über einem Jahr warnen westliche und arabische Geheimdienste vor deren immer stärkeren Anwesenheit in Syrien. Insbesondere die westlichen Regierungen nehmen das zum Anlass, mit Waffenlieferungen an die Opposition sehr zurückhaltend zu sein. Sie befürchten, sie könnten in die Hände von Extremisten fallen, die diese dann gegen westliche Bürger einsetzen könnten. Die syrische Opposition versichert hingegen, die Rolle und Stärke der Islamisten würden im Westen überschätzt. "Die Fundamentalisten stellen in der Opposition nicht die Mehrheit", erklärt etwa Hisham Marwah, ein Sprecher der oppositionellen syrischen Nationalkoalition, gegenüber der DW. "Die meisten Mitglieder der Opposition sind keine Fundamentalisten. Sie respektieren das Gesetz. Und sie würden keine andere Regierung als eine ordentlich gewählte respektieren." Vorerst aber sind die Oppositionellen dringend auf Waffenlieferungen sympathisierender Staaten angewiesen. Auch drängen sie auf militärische Unterstützung. "Wenn man der schlagkräftigen, mit äußerst starken Bomben bestückten Luftwaffe Assads etwas entgegensetzten will, muss man eine Flugverbotszone einrichten", erklärt Monzer al Makhous, in Frankreich akkreditierter Botschafter der "Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte", des größten oppositionellen Dachverbandes in Syrien.

Welche Folgen hat die jüngste Entwicklung für die Kämpfe in Syrien?

Aller Voraussicht nach wird die Gewalt weitergehen, womöglich sogar verstärkt. Das Assad-Regime hat nun den Rücken wieder frei. Eine amerikanische Intervention muss es derzeit nicht befürchten. Darum kann es sich weiterhin dem Kampf gegen die Aufständischen widmen. Angesichts der komplizierten regionalen und internationalen Bündnisse für und gegen das Regime ist es wenig wahrscheinlich, dass die Gewalt in absehbarer Zeit beendet wird. Daran werden auch die Vereinten Nationen wenig ändern können. Sie befinden sich im Hinblick auf Syrien in einer schwierigen Situation. Als eine Organisation, der derzeit 193 Staaten angehören, kann sie zu fast keinem Thema mit einheitlicher Stimme sprechen. Das zeigt sich auch im Syrien-Konflikt. Zwei der fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, Russland und China, haben bislang jegliche Resolutionen gegen Syrien verhindert. Nachdem Assad in der Frage der Chemiewaffen nun eingelenkt hat, spricht weiterhin wenig dafür, dass sie ihren Kurs im Sicherheitsrat ändern werden. Eine UN-Resolution ist deshalb nicht zu erwarten - und auch kein Ende der Gewalt in Syrien. Die Folgen für das Land sind fatal, erklärt der Politikwissenschaftler David Butter von dem Londoner Think Tank Chatham House: "Der Konflikt war so zerstörerisch, dass es letztlich überhaupt keine Gewinner geben wird. Es wird Jahre brauchen, aus Syrien wieder einen funktionstüchtigen Staat zu machen, falls das überhaupt möglich ist."

Ein einzelner Mann vor einem zerstörten Häuserblock in Damaskus in 27.1. 2013 (Foto: REUTERS)
Die Zivilbevölkerung wird weiterhin unter der Gewalt leidenBild: Reuters/Goran Tomasevic