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Alt, aktiv und glücklich

Heiner Kiesel28. November 2012

Es werden immer mehr, sie belasten die Sozialsysteme - das Image von älteren Menschen in Deutschland ist eher schlecht. Dabei stimmt das zumindest für die aktuelle Seniorengeneration nicht, wie eine Studie zeigt.

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Zwei wandernde Seniorinnen (Foto: Patrizia Tilly/Fotolia)
Bild: Patrizia Tilly/Fotolia

Alt sein - das steht allen bevor und doch will es niemand so recht. Das ist gut nachvollziehbar, wenn man sich die Szenarien ansieht, die in den deutschen Debatten für das Leben ab 65 aufgezeigt werden. Da wimmelt es von verarmten Rentnern, die sich noch mühsam etwas dazuverdienen - als Nachtwächter oder als Einpacker im Supermarkt. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen kämpft gegen drohende Altersarmut und Gesundheitsminister Daniel Bahr gegen den Pflegenotstand. Unter dem Strich ist die Botschaft: Alt sein ist ein Problem.

Das stimmt aber offenbar nicht - zumindest im Hinblick auf die aktuellen Rentner. "Wir haben heute eine ganz andere Generation von Alten, als noch vor 20 Jahren", sagt Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach. Sie hat im Auftrag einer Versicherungsgruppe die "Generali Altersstudie 2013 - Wie ältere Menschen leben, denken und sich engagieren" betreut.

Neue Diskussion um demografischen Wandel

Die Forscher haben auf über 500 Seiten Daten zusammengestellt, aus denen sich der Zustand und das Selbstverständnis der heute 65- bis 85-Jährigen ablesen lässt. Die Studie solle dazu führen, dass sich die Diskussion über den demografischen Wandel der Gesellschaft verändert, hofft Andreas Kruse. Der Direktor des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg hat die Untersuchung wissenschaftlich begleitet. "Das Thema Alter wird bei uns als Belastungsdiskussion geführt", klagt Kruse. Dabei kommen die Alten ziemlich gut selbst zurecht.

Andreas Kruse (Foto: Bild: DW/H. Kiesel)
Andreas Kruse: Senioren werden zu Unrecht als Belastung angesehenBild: DW/H. Kiesel

Sie sind mobiler als früher: Mitte der achtziger Jahre hatten zwanzig Prozent der Bevölkerung Anfang 70 ein Auto - heute sind es 65 Prozent.

Sie sind fitter: Vor 44 Jahren bejahten nur fünf Prozent der Senioren die Frage: ”Treiben Sie Sport?” - im vergangenen Jahr waren es schon 44 Prozent. Die Alten von heute schätzen ihre Gesundheit überwiegend gut ein und streben vor allem nach Selbstständigkeit. Ihre größte Sorge ist es, dauerhaft auf Pflege angewiesen zu sein. Am wenigsten fürchten die über 65-Jährigen, dass sie ihre Miete nicht mehr zahlen können.

Schminkfreudig und junggeblieben

Manche Daten muten skurril an und führen zu waghalsigen Schlussfolgerungen. Zum Beispiel vermeldet die Studie, dass heute doppelt so viele Frauen zwischen 65 und 69 Lippenstift benutzen als noch 1984. Die Autoren des Altersberichts schließen daraus, dass sich die Altersschwellen verschoben haben. Zwischen 60 und 80 - so ein weiteres Ergebnis der Studie - fühlen sich die Befragten im Schnitt zehn Jahre jünger als in ihrem Pass steht.

Es ist eine besondere Generation von Menschen zwischen 65 und 85 Jahren, die derzeit in Deutschland lebt. Es sind Senioren, die im Krieg und in der Nachkriegszeit groß wurden und erlebt haben, wie aus dem zerstörten Land eine blühende Wirtschaftsnation in einem friedlichen Europa wurde. Sie blicken auf Erwerbsbiografien zurück, die im Regelfall bruchlos und stabil aufwärts geführt haben. So zufrieden wie die Leute ab 60 sei in Deutschland heute niemand mit seiner finanziellen Situation, sagen die Forscher aus Allensbach.

Ein Ergebnis der Studie, das den jetzt vorgestellten Alterssicherungsbericht der Bundesregierung zu bestätigen scheint: Demnach besteht für die Alten derzeit nur ein sehr geringes Armutsrisiko. Man fühlt sich in dieser Generation gut abgesichert und vertraut auf die Tragfähigkeit familiärer Netzwerke. Viele bauten Familien mit zwei, oft auch drei und mehr Kindern auf.

Umdenken für die Zukunft

Vor gar nicht so langer Zeit hat es in Deutschland eine erregte Diskussion über die Rolle der Alten und den Umgang mit ihnen gegeben. Der Autor und Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher, hatte ein "Methusalem-Komplott" (Buchtitel) gefordert: Die künftigen Alten sollten sich schon jetzt darum kümmern, dass sie nicht dereinst ins Abseits gedrängt werden. "Die Alten der Zukunft werden wohl einen anderen Hintergrund haben", vermutet denn auch Allensbach-Chefin Renate Köcher. Sie verweist darauf, dass die Senioren in ihrer Studie zu 90 Prozent Kinder haben, die Generation darunter jedoch nur zu 70 Prozent. Patchwork-Familien, gebrochene Berufswerdegänge und marode Rentenkassen - was kommt da auf uns zu?

"Da könnten wir jetzt sagen, das wird aber schlimm", meint Altersforscher Kruse, "aber wir können uns auch darauf einstellen und uns fragen, wie eine Gesellschaft organisiert sein muss, in der eben nicht so viele Nachkommen da sind und sich um die Alten kümmern." Kruse baut darauf, dass die Gesellschaft begreift, was sie an den Älteren hat und deren Potenziale nutzt. "Wenn nicht, dann wäre das eine unglaubliche Verschwendung von Humankapital", sagt der Heidelberger Wissenschaftler.

Renate Köcher (Foto: Bild: DW/H. Kiesel)
Renate Köcher: die Potenziale von älteren Menschen nutzenBild: DW/H. Kiesel