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Als Student im Seniorenheim

Julian Bernstein15. Oktober 2013

Wohnungsnot macht kreativ: In Saarbrücken zahlen Studierende für ihr Zimmer im Seniorenheim eine günstige Miete. Dafür betreuen sie die Alten. Vor allem ausländische Studierende interessieren sich für das Modell.

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Student Oliver Siegemund (hinten rechts) beim Spiel mit einigen alten Menschen des Saarbrücker Seniorenheims "Am Steinhübel" (Foto: DW/Julian Bernstein)
Bild: DW/J. Bernstein

"Was sind Eisblumen?" - Eigentlich eine einfache Frage, aber es dauert lange, bis Oliver Siegemund die richtige Antwort bekommt. Wenn der Student mit den Senioren des Saarbrücker Altenheims "Am Steinhübel" das "Spiel des Wissens" spielt, braucht er Geduld. Doch die hat er mittlerweile. Seit vier Jahren betreut er regelmäßig die alten Menschen, spielt mit ihnen Gesellschaftsspiele, liest ihnen vor oder geht mit ihnen spazieren. Dafür wohnt er günstig auf dem Gelände des Saarbrücker Altenheims. "Für ein Zimmer mit 20 Quadratmetern und Balkon zahle ich nur 215 Euro", sagt er.

Der Lehramtsstudent gehört zu den ersten Studierenden, die sich beim Saarbrücker "Generationenprojekt" beworben haben. So nennt sich das vom Studentenwerk organisierte "Wohnen-für-Hilfe"-Programm, das Studierenden preiswerte Wohnungen vermittelt. Dafür müssen sie alte Menschen, kinderreiche Familien oder Behinderte in ihrem Alltag unterstützen. Das Projekt gibt es in vielen deutschen Studentenstädten. Dass Seniorenheime dabei selbst Zimmer vermieten, ist allerdings ungewöhnlich. In Saarbrücken leben inzwischen 19 junge Leute in Appartements auf dem Gelände des Seniorenheims. Auf den ersten Blick könnte man die Wohnanlage für ein kleines, aber gewöhnliches Studentenwohnheim halten.

Student Oliver Siegemund, der im Saarbrücker Seniorenheim "Am Steinhübel" ein günstiges Zimmer gemietet hat. Dafür hilft er bei der Betreuung der alten Menschen (Foto: DW/Julian Bernstein)
Oliver Siegemund lebt seit vier Jahren im AltenheimBild: DW/J. Bernstein

Der Anfang ist oft schwierig

Acht Stunden im Monat betreut Oliver Siegemund die Senioren des Altenheims. Eine Arbeit, die ihm inzwischen Freude macht. Vor vier Jahren aber, so gibt er offen zu, hatte er Probleme im Umgang mit den alten Menschen, die oft abwesend da saßen oder sich nicht mehr an ihn erinnern konnten. Es fiel ihm schwer, auf sie zuzugehen. "Am Anfang wusste man nicht, wie man sich integrieren soll", sagt der Student. "Es war mehr ein Zuschauen und Dasitzen, damit man die Zeit rumkriegt."

Heute ist seine Einsatzbereitschaft deutlich größer. Der Student traut sich mittlerweile auch schwierige Aufgaben zu, zum Beispiel alte Menschen zu betreuen, die bettlägerig sind. "Das ist emotional nicht ganz einfach, wenn man merkt, dass es bei den Leuten abwärts geht", gibt er zu. "Früher hatte ich davor Angst."

Warteliste für ein Zimmer

So wie Oliver Siegemund geht es den meisten Studierenden. Erst sind sie unsicher im Umgang mit den alten Menschen. Schließlich kennen viele ein Seniorenheim nur aus Erzählungen. Später aber gefällt ihnen die Arbeit. Das jedenfalls beobachtet Dieter Horn vom Studentenwerk. Er ist für die Auswahl der Teilnehmer zuständig. In den Vorgesprächen versucht er, vor allem darauf zu achten, dass die Bewerber nicht nur Geld sparen wollen, sondern auch ein wirkliches Interesse für das Projekt mitbringen. Auswahl genug hat er, denn auf einen Platz kommen rund zehn Bewerber. Es gibt eine lange Warteliste.

Das Seniorenehepaar Erdmann wohnt im Saarbrücker Altenheim "Am Steinhübel" (Foto: DW/Julian Bernstein)
Das Ehepaar Erdmann freut sich über das Engagement und die Hilfsbereitschaft der StudierendenBild: DW/J. Bernstein

Dennoch macht sich Horn keine Illusionen: Er weiß, dass sich angesichts der teuren Mieten viele Studierende aus finanzieller Not bewerben. Das zeigt auch, dass circa drei Viertel der bereits vermittelten Teilnehmer aus dem Ausland stammen. "Die haben einen besonderen Bedarf", meint er. "Sie müssen mit wenig Geld auskommen und haben wahrscheinlich noch keinen Job hier."

Senioren werden zu Freunden

Eine der ausländischen Studierenden ist die 23-jährige Ludmilla Banaru aus Moldawien. Sie vermutet, dass nicht nur die finanziellen Nöte der Grund für die vielen ausländischen Bewerber sind, sondern auch eine größere Neugier und Offenheit für ältere Menschen. Schließlich kommen viele ausländische Studierende aus Familien, in denen das Zusammenleben der verschiedenen Generationen noch selbstverständlicher ist als in Deutschland.

Für Ludmilla Banaru geht die Zeit im Generationenprojekt nun nach drei Jahren zu Ende. Die Studentin der Kulturwissenschaften zieht in eine Wohngemeinschaft mit anderen jungen Leuten. Die Zeit im Seniorenheim möchte sie aber nicht missen, denn die alten Menschen sind ihr ans Herz gewachsen. Vor allem mit einer Heimbewohnerin, zu der sie ein besonders enges Verhältnis aufgebaut hat, möchte sie auch weiterhin in Kontakt bleiben. "Zwischen uns ist schon eine Art Freundschaft entstanden", erzählt Ludmilla.

Studentin Ludmilla Banaru aus Moldawien, die im Saarbrücker Seniorenheim "Am Steinhübel" ein günstiges Zimmer gemietet hat. Dafür hilft sie bei der Betreuung der alten Menschen (Foto: DW/Julian Bernstein)
Ludmilla Banaru will auch nach ihrem Auszug aus dem Seniorenheim den Kontakt zu den Bewohnern haltenBild: DW/J. Bernstein

Die Senioren profitieren

Die meisten Senioren freuen sich über das Engagement der jungen Leute. Frau Erdmann wohnt mit ihrem Mann seit sechs Jahren im Seniorenheim "Am Steinhübel" und hat das Projekt von Anfang an mitbekommen. Sie schwärmt von der Hilfsbereitschaft der Studenten. "Sie gehen auf uns ein und erfüllen auch schon mal einen Wunsch", berichtet sie. So sei sie neulich von zwei Studentinnen zum Geldinstitut gefahren worden. Ob es auch mal Probleme gab? Da winkt sie ab. "Wir haben uns vom ersten Tag an gut verstanden."