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Alle fühlen sich bestätigt

Christoph Hasselbach19. September 2014

Nach dem knappen Nein der Schotten zur Unabhängigkeit atmen viele Regierungen in Europa auf. Doch andere Regionen wollen zumindest auch eine Volksabstimmung.

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Menschenmasse mit katalanischen und einer schottischer Fahne (Foto: Reuters/A. Gea)
Viele katalanische Separatisten berufen sich auf SchottlandBild: Reuters/A. Gea

Große Erleichterung macht sich breit bei denen, die die Nationalstaaten in der heutigen Form behalten wollen. Katalanische, flämische oder Südtiroler Separatisten dagegen hatten auf einen Sieg ihrer schottischen Gesinnungsgenossen gehofft. Doch auch sie können zufrieden sein. Erstens sind die Unabhängigkeitsbefürworter in Schottland nur relativ knapp unterlegen und haben die Londoner Zusage bekommen, in Zukunft deutlich mehr selbst bestimmen zu können. Zweitens hoffen Sezessionisten anderswo in Europa, dass auch sie eine Volksbefragung so wie in Schottland bekommen werden. Der Druck auf die Zentralstaaten Europas wächst jedenfalls, den Regionen mehr entgegenzukommen.

Europäische Union und NATO

Erleichtert ist man nicht zuletzt bei der Europäischen Kommission. Für eine Institution, die in dieser Frage eigentlich zur Neutralität verpflichtet ist, hatte sich die Kommission erstaunlich weit für den Status quo aus dem Fenster gelehnt. So jedenfalls kam es in der Öffentlichkeit an. Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte vor dem Referendum klipp und klar gesagt, ein unabhängiges Schottland müsse, wenn es der EU beitreten wolle, erst wieder den gesamten Beitrittsprozess durchlaufen und brauche dann die Zustimmung aller bestehenden EU-Mitglieder. Ebenso hatte sich NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bezüglich der NATO-Mitgliedschaft geäußert. Entsprechend haben beide jetzt das Ergebnis begrüßt. Barroso schreibt, es sei "gut für das vereinte, offene und stärkere Europa, für das die Kommission steht". Und Rasmussen sagt für die NATO: "Ich respektiere die Wahl des schottischen Volkes. Ich begrüße die Äußerung von Premierminister Cameron, dass das Vereinigte Königreich als vereintes Land vorangehen wird." Das Europaparlament dagegen war gespalten. Der SPD-Abgeordnete Jo Leinen zum Beispiel, der auch Mitglied im Verfassungsausschuss ist, hatte für den Fall einer schottischen Unabhängigkeit eine "nahtlose Übergangslösung" gefordert und alles andere als "Diskriminierung" bezeichnet. Erleichtert reagiert jetzt zum Beispiel Manfred Weber, der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion: Die Schotten hätten sich für "Stabilität" entschieden, die "für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gut" sei. Weber mahnt gleichzeitig die euroskeptische britische Regierung, zu bedenken, "dass die Mehrheit des schottischen Volkes proeuropäisch ist", London solle mit deren Identität "vernünftig umgehen". Auch Parlamentspräsident Martin Schulz gab zu, "erleichtert" zu sein.

Cameron und Barroso im Gespräch (Foto: Reuters)
In der Europapolitik oft zerstritten, in der Schottland-Frage vereint: Cameron (l.) und BarrosoBild: REUTERS

Katalonien

Auch wenn sich die Frage der Unabhängigkeit für Schottland fürs Erste erledigt hat, gilt das nicht für andere Regionen Europas. Artur Mas, der Regierungschef der spanischen Region Katalonien, will am 9. November ein Referendum abhalten. Wenn sich darin eine Mehrheit für ein eigenständiges Katalonien ausspricht, will Mas das als politisches Mandat betrachten, mit Madrid über eine Unabhängigkeit zu verhandeln. Doch die spanische Zentralregierung lehnt bereits die Abstimmung als illegal ab. Die Lage gilt als verfahren und konfrontativ. Würden die Katalanen tatsächlich gefragt, stünden die Aussichten nach jüngsten Umfragen gut, dass sich eine Mehrheit für die Loslösung der reichen Region aus Spanien aussprechen würde. Auch in diesem Fall hat allerdings die Kommission ungewöhnlich deutlich gewarnt. Die frühere Kommissionsvizechefin Viviane Reding hat gesagt: "Sekunden nach der Wahl für die Unabhängigkeit wäre Katalonien außerhalb der EU. Sie würden außerhalb des Euro-Systems sein. Sie würden die EU-Bürgerschaft nicht mehr haben."

Flandern

Rückenwind für eine Abspaltung hatte sich auch die Neue Flämische Allianz (N-VA) unter Bart De Wever erhofft. De Wever ist überzeugt, dass der belgische Gesamtstaat ohnehin "verdampfen" wird, er will ein eigenständiges Flandern auf dem Verhandlungsweg erreichen. Für das Referendum hatte die N-VA extra ihren Mann Mark Demesmaeker nach Edinburgh geschickt. Der findet es auf der Webseite der Partei "bedauerlich", dass europäische Politiker und selbst der aus Belgien stammende bisherige EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy "Weltuntergangsszenarien" für den Fall eines schottischen Ja zur Unabhängigkeit an die Wand gemalt hätten. Ein anderer Belgier und EU-Vertreter, nämlich Handelskommissar Karel De Gucht, hat die Sorge am Freitag in einem Interview mit dem belgischen Rundfunk bestätigt. Ein Unabhängigkeitsvotum, so De Gucht, "wäre einem Erdbeben von einem Ausmaß wie beim Auseinanderbrechen der Sowjetunion gleichgekommen". Europa würde "unregierbar" werden, schrieb er nicht zuletzt denjenigen seiner eigenen Landsleuten ins Stammbuch, die von einem Ende Belgiens träumen.

De Wever macht Siegeszeichen (Foto: dapd)
Der Flame De Wever will Belgien "verdampfen" lassenBild: dapd

Südtirol

Für die Partei Südtiroler Freiheit geht es weniger um das genaue Ergebnis des schottischen Referendums als um die Tatsache, dass es stattgefunden hat. "Selbststimmung ist möglich - die Lawine rollt", ist am Tag nach der Abstimmung auf der Webseite zu lesen. Das deutschsprachige Gebiet Südtirol, das bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zu Österreich-Ungarn gehörte, wurde nach dem Krieg an Italien angegliedert. Heute fordern neben der Süd-Tiroler Freiheit noch zwei andere Parteien dort eine Volksabstimmung. Die "Freiheit" hat das Ziel, Südtirol entweder an das "Vaterland Österreich" anzugliedern oder eine Unabhängigkeit, jedenfalls soll Südtirol nicht bei Italien bleiben. Wie die Chancen stünden, ist unklar. Zumindest haben die Abspaltungstendenzen im Laufe der Wirtschaftskrise, die Italien schwer getroffen hat, deutlich zugenommen.

Bayern

Bayern und Schottland haben zumindest die Farben ihrer Flaggen gemeinsam: blau und weiß. Die bayerische Unabhängigkeitsbewegung ist dagegen minimal. Die Bayernpartei, die das fordert, bekam bei der jüngsten Landtagswahl gut zwei Prozent der Stimmen. Auf ihrer Webseite hatte die Bayernpartei geschrieben: "Wir wünschen unseren schottischen Freunden von Herzen einen Sieg beim Referendum. Ein 'Yes' wäre für uns eine echte Unterstützung, und unsere Medien wären nicht mehr so leicht in der Lage, dieses Thema ins Lächerliche zu ziehen." Das könnte sich auch auf eine Aussage des Berliner Regierungssprechers Steffen Seibert bezogen haben. Der hatte kürzlich vor Journalisten eine bayerische Unabhängigkeit "einen beinahe absurden Gedanken" genannt. Die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler träumt sicher nicht von einem unabhängigen Bayern. Sie sieht im schottischen Ergebnis aber einen "Weckruf in Richtung Eigenständigkeit der Regionen in Europa", die im Zeitalter der Globalisierung vielen Menschen Halt böten.

Brezel auf bayerischer Flagge (Foto: PhotoSG/Fotolia)
Bayern bietet starken Regionalismus, doch die wenigsten wollen raus aus Deutschland.Bild: PhotoSG/Fotolia