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Aleviten machen mobil gegen Erdogan

22. Juni 2013

Zehntausende haben in Köln gegen den türkischen Regierungschef demonstriert. Für die Vertreter eines gemäßigten Islams hat der Politiker nach dem brutalen Vorgehen gegen Demonstranten jede Legitimation verloren.

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Zahlreiche Teilnehmer in Köln Übergriffe auf Demonstranten in der Türkei. Die Kundgebung wurde von der Alevitischen Gemeinde Deutschland organisiert. (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Redner forderten vor den Kundgebungsteilnehmern in Köln den Rücktritt des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und sofortige Neuwahlen. Transparente trugen Aufschriften wie "Erdogan, der Wolf im Schafspelz" oder "Europa weiß, was Sache ist - in Ankara regiert ein Faschist". Die Kundgebung stand unter dem Motto "Überall ist Taksim".

 "Erfreulich friedlicher Verlauf"

Eine Frau protestiert in Köln mit einem Plakat gegen Übergriffe auf Demonstranten in der Türkei. (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Organisiert wurde die Kölner Kundgebung von der Alevitischen Gemeinde Deutschland, einer liberalen islamischen Gemeinschaft. Sie berichtete von mehr als 100.000 Teilnehmern. Die Polizei wollte dazu keine Angaben machen, sprach aber von einem "erfreulich friedlichen Verlauf" der Kundgebung. Die Aleviten haben in den vergangenen Wochen schon mehrfach das harte Vorgehen der türkischen Polizei gegen Demonstranten angeprangert. Die Demonstranten, die aus ganz Deutschland angereist waren, hielten unter anderem eine Schweigeminute ab "für alle, die ihr Leben für Freiheit und Demokratie geopfert haben".

Auch deutsche Politiker nahmen an der Kundgebung teil: Linken-Fraktionschef Gregor Gysi, der Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck und der SPD-Außenexperte Rolf Mützenich forderten das uneingeschränkte Recht auf Demonstrationen auch in der Türkei, Unterstützung für die Protestierenden in türkischen Städten und die Freilassung von noch immer inhaftierten türkischen Demonstranten. Auch IG-Metall-Vorstand Christiane Benner bekräftigte in ihrer Rede die Forderung nach Meinungsfreiheit in der Türkei.

"Am Ende entscheidet das türkische Volk"

Die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Aydan Özoguz distanzierte sich unterdessen von Slogans, mit denen Erdogan als Diktator eingestuft wurde. Rund 50 Prozent der Türken hätten den Ministerpräsidenten und seine Partei AKP gewählt, sagte  Özoguz im Deutschlandradio Kultur: "Am Ende entscheidet natürlich das türkische Volk, ob Erdogan weiter regiert oder nicht.

Die Aleviten sind eine Glaubensgemeinschaft, der etwa 15 bis 25 Prozent der Türken angehören. Ihre Lehre entstand im Mittelalter aus einer Mischung islamischer und nicht-islamischer Einflüsse. Aleviten werfen der Erdogan-Regierung vor, sie an den sunnitischen Islam assimilieren zu wollen. In Deutschland leben etwa 500.000 Aleviten.

Wieder Wasserwerfer-Einsatz auf dem Taksim

An der geplanten Bebauung des Gezi-Parks am Taksim-Platz in Istanbul hatten sich Ende Mai die Proteste entzündet. Sie entwickelten sich dann immer mehr zu einem generellen Aufbegehren gegen den als autoritär empfundenen Regierungsstils Erdogans und seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP. Bei den landesweiten Demonstrationen waren insgesamt vier Demonstranten und ein Polizist ums Leben gekommen. Tausende Menschen wurden verletzt, zahlreiche zumeist friedliche Demonstranten festgenommen. Das brutale Vorgehen der Polizei wurde international kritisiert, Polizisten mussten sich bislang jedoch nicht für Straftaten verantworten.

Die Polizei setzte am Samstagabend das erste Mal seit Tagen wieder Wasserwerfer gegen Demonstranten auf dem Taksim-Platz ein, um diesen zu räumen. Dort hatten sich zuvor mehrere zehntausend Menschen versammelt und gegen die Regierung in Ankara sowie gegen Polizeigewalt protestiert.

Westerwelle und Davutoglu auf Entspannungskurs

Im Streit um das harte Vorgehen der türkischen Regierung gegen Demonstranten bemühen sich Deutschland und die Türkei um Entspannung. Bundesaußenminister Guido Westerwelle kam während des Treffens der Syrien-Kontaktgruppe in Doha mit seinem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu zu einem Gespräch unter vier Augen zusammen. "Es gab einen intensiven Meinungsaustausch im Geiste von Partnern und Freunden", heißt es aus der Delegation. Wegen deutschlandkritischer Äußerungen der Regierung in Ankara war am Freitag der türkische Botschafter in Berlin, Hüseyin Avni Karslioglu, ins Auswärtige Amt einbestellt worden. Kurz darauf bestellte das türkische Außenministerium den deutschen Botschafter Eberhard Pohl ein. In Brüssel war zuvor bekanntgeworden, dass die EU voraussichtlich nicht wie geplant am kommenden Mittwoch ein neues Kapitel in den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eröffnen werde.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle trifft in Doha den türkischen Aussenminister Ahmet Davutoglu (Foto: picture alliance/dpa)
Politische Wiederannäherung: Die Außenminister Davutoglu und Westerwelle in DohaBild: picture alliance/dpa

sti/haz (dpa, epd)