1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Al Kaida und der neue Maghreb

Kersten Knipp23. Januar 2013

Der Angriff auf das Gasfeld in Algerien hat gezeigt, wie gut die Terroristen im Maghreb organisiert sind. Weitere Anschläge könnten die Region radikal verändern.

https://p.dw.com/p/17Opz
Hinweisschild auf die Gasförderanlage In Amenas im Osten Algeriens (Foto: dpa)
Bild: picture alliance / dpa

Die Terroristen waren gut vorbereitet. Nicht nur schwere Waffen führten sie mit sich, sondern auch einen Plan der Gasförderanlage "In Amenas" im Osten Algeriens. Detailliert hatten sie das Werk ausspioniert, mit Hilfe von Unterstützern, die dort arbeiteten. Zunächst hatte man mit den Geiselnehmern verhandeln wollen, erklärte der algerische Premierminister Abdelmalek Sellal. Doch die Forderungen der Terroristen - allen voran die nach der Befreiung sämtlicher Gesinnungsgenossen - seien unerfüllbar gewesen. So habe man sich zum Angriff entschlossen - trotz der Größe der Anlage, die sich über vier Hektar erstreckt. Das Gasfeld selbst nehme noch einmal zehn Hektar ein.

Riskante Befreiung

Entsprechend riskant war die Befreiungsaktion, die am Ende mindestens 37 Geiseln nicht überlebten. Weitere Opfer sind zu befürchten, einige Leichname müssen noch identifiziert werden. Umgekommen sind auch 32 Terroristen. Weitere wurden verhaftet. Das veranlasste Abdelmalek Sellal, die Operation als "klares Signal" zu bezeichnen. "Algerien hat seine Fähigkeit bewiesen, im Rahmen des Kampfes gegen den Terrorismus eine solche Aktion durchzuführen. Weltweit haben alle Länder diese Fähigkeit gewürdigt und Algerien und seinen Umgang mit der Geiselnahme anerkannt."

Die algerischen Sicherheitskräfte waren vorbereitet - mit Angriffen und Anschlägen rechneten sie seit langem. Der Terrorismus, erklärt William Lawrence, Nordafrika-Experte des unabhängigen Think-Tanks "International Crisis Group" im Gespräch mit der DW, habe auch nach dem Bürgerkrieg der 90er Jahre weiter existiert. "Zwar hat Algerien im Jahr 2002 das Ende der schwarzen Dekade erklärt. Doch waren die Akteure von früher weiterhin präsent." Tatsächlich sei die von ihnen ausgehende Gefahr auch geringer geworden. "Aber sie hat niemals aufgehört zu existieren."

Mitglied eines algerischen Spezialkommandos (Foto: Reuters)
Mitglied eines algerischen Spezialkommandos beim TrainingBild: Reuters

Rückzugsgebiet Sahelzone

Eines allerdings habe sich geändert, erklärt Rachid Ouaissa, Politologe an der Universität Marburg, im Gespräch mit der DW: Der lange Krieg gegen den Terrorismus habe dazu geführt, dass der Terrorismus im Norden des Landes fast vollständig besiegt worden sei. "Stattdessen sind die Terroristen in den Süden gegangen, in eine instabilere Region der Sahelzone, wo sie weiterhin aktiv sind." Die Region sei sehr schwer zu kontrollieren. Noch unübersichtlicher sei sie nach dem Zusammenbruch des Gaddafi-Regimes im benachbarten Libyen geworden. "Hinzu kommt der Umstand, dass Mali seit zehn Jahren ein zerfallender Staat ist."

Gerade im Grenzgebiet zwischen Algerien und Mali hätten die Terroristen ein ideales Rückzugsgebiet, erklärt William Lawrence. Mit der Sahara seien sie vertraut. "Sie bewegen sich sehr schnell über Tausende von Kilometern. Grenzen spielen keine Rolle." Konsequent machten sie sich die Unübersichtlichkeit der riesigen, schwer zugänglichen und insbesondere auf malischer Seite staatlich kaum kontrollierten Region zunutze. "Die Terroristen nutzen die Schwäche des Staates, um ihren Geschäften nachzugehen: Sie schmuggeln Drogen, Waffen, Menschen. Ebenso haben sie sich auf Entführungen verlegt." Die gesellschaftlichen und politischen Probleme des Landes nutzten sie aus, um sich dort festzusetzen und weitere Anhänger zu rekrutieren.

Totes Rind liegt in Mali auf ausgetrocknetem Boden (Foto:dpa)
Lebensfeindliches Rückzugsgebiet: Die Sahel-ZoneBild: picture-alliance/dpa

Umsturzpläne für Nordafrika

Allerdings: Kriminelle Geschäfte sind nicht das einzige Anliegen der Islamisten, erklärt Rachid Ouaissa. Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 habe der Terrorismus eine neue Dimension angenommen. Er diene nun dazu, die Machtverhältnisse in den Ländern in der Umgebung Europas auf eine neue Grundlage zu stellen. "Das war zunächst jene Region, die man früher als 'Dritte Welt' bezeichnet hat." Zunächst hätten die Terroristen den Nahen Osten ins Visier genommen. "Jetzt aber reicht ihr Arm noch weiter in die Peripherie, nämlich Richtung Afrika." Vieles spreche dafür, dass die nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonialstaaten entstandene Ordnung derzeit zu Ende gehe. "Es zeichnet sich eine neue Ordnung ab, in der die Staaten der Peripherie zerfallen." Neue Akteure tauchten auf, die die politische Lage erheblich komplexer werden ließen. "Wir haben nicht mehr nur noch mit dem Diktator in Mali zu tun, sondern mit einer ganzen Reihe von Akteuren."

Neue Strategien für neue Herausforderungen

Dies werde in Staaten wie dem Tschad, Mali, Niger und wahrscheinlich auch Mauretanien zu einer sehr unruhigen Phase führen. Es sei nicht auszuschließen, dass sich diese Staaten umstrukturierten und zu einer neuen Ordnung fänden. Algerien hingegen gehe aus der Geiselnahme gestärkt hervor. "Das Land wird der zentrale Machtstaat in der Region überhaupt. Denn mit der Machtdemonstration in In Amenas hat sich Algerien als zuverlässigen Partner für den Westen empfohlen."

Nigerianische Soldaten bereiten sich auf ihren Einsatz im Norden Malis vor (Foto:DW/Katrin Gänsler)
Nigerianische Soldaten vor dem Flug nach MaliBild: DW/K. Gänsler

Gleichwohl dürfte auch Algerien stark gefordert sein. Der Angriff auf das Gasfeld habe eklatante Schwächen offenbart, schreibt die algerische Zeitung "Al Fadjr". Die Geiselnahme zeige, wie dringend es sei, über neue Strategien der Terrorismusbekämpfung zu sprechen. "Allerdings wird das Militär die Probleme nicht allein lösen können. Auch andere Einrichtungen sind gefragt: die Schulen, die Religionsgemeinschaften ebenso wie Regierung und Parlament. Man kann den Staat nicht nur mit Waffen verteidigen." Gefordert sind neben einer neuen Wirtschafts- und Sozialpolitik vor allem Argumente. Denn immer deutlicher zeigt sich, dass der Terrorismus nicht nur auf sozialen Missständen gründet, sondern auch und vielleicht vor allem der ideologischen Verhärtung jener, die in seinem Namen kämpfen.