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Bleibt teurer AKW-Rückbau am Steuerzahler hängen?

Bernd Gräßler11. April 2012

Der Rückbau von Atommeilern in Deutschland wird Riesensummen kosten. Die Umweltorganisation Greenpeace fürchtet, dass die Energiekonzerne nicht genügend Geld dafür einplanen. Der Staat soll sie dazu zwingen.

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Ein Abbruchunternehmen legt auf dem Gelände des Atomkraftwerks Lubmin bei Greifswald die Dieselmotoren der Notstromversorgung der Atomblöcke drei und vier frei (Foto vom 23.06.2004). Die Notstromversorgung wird seit der Abschaltung des Kernkraftwerkes im Jahr 1990 nicht mehr benötigt. 1050 Arbeiter sind mit der Demontage des Kernkraftwerks beschäftigt. Der Bund stellt bis 2035 rund 3,2 Milliarden Euro für die weltweit umfangreichste Demontage und Entsorgung eines Atomkraftwerks zur Verfügung. Foto: Stefan Sauer dpa
AKW Lubmin wird abgerissenBild: picture-alliance/dpa

Seit 1995 ist in Lubmin an der vorpommerschen Ostseeküste bei Greifswald der - nach Angaben des ausführenden bundeseigenen Unternehmens Energiewerke Nord (EWN) - weltgrößte Rückbau eines Kernkraftwerks im Gange. Er wird den Staat schätzungsweise vier Milliarden Euro kosten. Glücklicherweise ist Lubmin ein Sonderfall, denn das Kraftwerk sowjetischer Bauart ist besonders groß, der Rückbau gilt als Pilotprojekt und vor allem: Für Abriss und die Entsorgung des einst volkseigenen ostdeutschen Meilers muss der Staat zahlen, in dessen Eigentum die Reaktoren mit der deutschen Einheit übergingen.

Die Kosten für den Ende 2010 beschlossenen deutschen Atomausstieg dagegen sollen eigentlich den Staatssäckel verschonen. Denn anders als im Fall Lubmin sind bei den 19 westdeutschen AKWs deren Eigentümer E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall nach dem Verursacherprinzip gesetzlich verpflichtet, Stilllegung, Rückbau und Entsorgung selbst zu bezahlen. Dafür haben die vier Konzerne laut Atomgesetz finanzielle Rückstellungen von über 30 Milliarden Euro gebildet. Ein Mechanismus, den bisher alle Bundesregierungen, einschließlich der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder (1998-2005), für ausreichend erachtet haben.

Zerlegung eines Dampferzeugers im Zwischenlager Nord Lubmin bei Greifswald Quelle: Energiewerke Nord GmbH
Zerlegung eines Dampferzeugers im Zwischenlager Nord Lubmin bei GreifswaldBild: Energiewerke Nord GmbH

Greenpeace: Auch Energiekonzerne können pleite gehen

Die Umweltorganisation Greenpeace dagegen fürchtet, dass die Ausstiegskosten aus der Atomkraft letztlich doch noch am Steuerzahler hängen bleiben und fordert zusätzliche Garantien. Die Rückstellungen seien noch nicht hoch genug und vor allem nicht insolvenzsicher, heißt es in einer von Greenpeace in Auftrag gegebenen neuen Studie der Volkswirtin Bettina Meyer vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft. Sie veranschlagt die tatsächlichen Kosten für Rückbau und Entsorgung eines AKWs auf rund 1,8 Milliarden Euro und stützt sich dabei "auf die in Deutschland verfügbare Literatur und Kostenstudien im Nachbarland Schweiz". Die Erfahrung bei Großprojekten zeige außerdem, dass deren Realisierung letztlich stets teurer würden als geplant.

Insgesamt müssten die Energiekonzerne mit 44 Milliarden Euro vorsorgen, verlangt Greenpeace deshalb. Außerdem sei nicht auszuschließen, dass auch die Betreibergesellschaften der AKWs, die nach dem Atomausstieg 2022 keine Einnahmen mehr hätten, pleite gehen könnten. Die vier Mutterkonzerne sollten deshalb per Gesetz verpflichtet werden, auch später noch für ihre Tochterunternehmen - wie etwa im Falle E.ONs beispielsweise die E.ON Kernkraft GmbH – geradezustehen.

Außerdem erneuert Greenpeace seine Forderung nach Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds, in den die Energieunternehmen bis 2040 einen Teil ihrer Rückstellungen einzahlen sollten. Mit diesem Geld sollte die Behebung eventueller Havarien in Endlagern nach dem Rückbau aller Kernkraftwerke, der 2040 beendet werden könnte, finanziert werden.

Umweltminister Röttgen schließt Fonds nicht aus

Bisher wird allgemein davon ausgegangen, dass die deutschen Energiekonzerne ihre Atommeiler rasch zurückbauen. Das wird allerdings vor allem davon abhängen, ob rechtzeitig das Endlager "Schacht Konrad" für schwach- und mittelradioaktive Abfälle bei Salzgitter in Niedersachsen fertig wird. Denn pro Kraftwerks-Abriss fallen etwa eine halbe Million Tonnen Beton und Stahl an. Davon sind nur etwa 100 Tonnen hoch radioaktiv und müssen vorerst zwischengelagert und später endgültig in einem noch nicht vorhandenen Endlager untergebracht werden. Das dringendere Problem stellen die rund 5000 Tonnen schwach- und mittelstark verseuchtes Baumaterial dar, die pro AKW entsorgt werden müssen.

Bei Greenpeace will man deshalb nicht ausschließen, dass sich Energiekonzerne auch entschließen könnten, den einen oder anderen Meiler nach der Stilllegung erst einmal durch "sicheren Einschluss" zu einem Zwischenlager umzufunktionieren und mit dem Abriss erst nach Jahrzehnten zu beginnen. Das würde die Kosten noch unkalkulierbarer machen.

Das Deutsche Atomforum, der Lobby-Verband der Atomindustrie, wies die Vorwürfe zurück, man wolle sich bei der Abwicklung von Kernkraftwerken aus der Verantwortung stehlen. Das bewährte System der Rückstellungen beruhe auf der "größten Sorgfalt der Betreiber, unabhängiger Wirtschaftsprüfer und der Finanzbehörde". Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) nannte die von Greenpeace vorgeschlagene Fonds-Lösung immerhin "eine Überlegung, die man prüfen kann".