1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Aktive Sterbehilfe ist strafbar

Kathrin Erdmann19. Juli 2012

Dürfen Sterbewillige Hilfe vom Staat erhalten, um sich das Leben zu nehmen? Darüber verhandelte nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Wie ist derzeit die Rechtslage in Deutschland?

https://p.dw.com/p/15ZFi

Der Hamburger Rechtsanwalt Oliver Tolmein hat mit seiner Kanzlei "Menschen und Rechte" immer wieder mit Sterbehilfe zu tun. Aus seiner Sicht ist die Rechtslage in Deutschland klar geregelt: Von den mindestens vier Formen, die es gibt, ist nur die aktive Sterbehilfe strafbar. Die ist auch klar definiert: Der Patient bittet eine andere Person, ihm beim Sterben zu helfen, zum Beispiel durch eine Spritze.

Fragen, die noch geklärt werden müssen

Dennoch sieht der Jurist Tolmein auch Stolpersteine. Dazu gehört die sogenannte Patientenverfügung. Sie soll als Willensbekundung des Kranken dienen, wenn der sich nicht mehr selbst äußern kann: "Sie muss in einer konkreten Behandlungssituation die eigene Entscheidung, die man dann nicht mehr treffen kann, ersetzen können".

Kruzifix, Wasserglas und Tabletten (Foto: Fotolia)
Bild: Kzenon/Fotolia

Doch genau da liegt das Problem. Denn woher will der Patient vorher genau wissen, in welcher Situation er später ist? So stehe dann da oft: "Wenn ich nicht mehr zur Kommunikation fähig bin und zwei Ärzte das feststellen, möchte ich nicht mehr künstlich am Leben erhalten werden". Eine solche Patientenverfügung schaffe mehr Probleme als Klarheit, stellt der Hamburger Rechtsanwalt fest.

Er weist auch daraufhin, dass es nicht ganz klar sei, was Kommunikation heißt. "Reicht es mit den Augenwimpern zu klimpern, oder reicht das nicht? Sehr ungeschickt ist auch zu sagen, zwei Ärzte sollen das bestätigen, weil es häufig schwierig ist, zwei Ärzte zu finden, die so etwas übereinstimmend bestätigen. Und was künstlich am Leben erhalten meint, ist auch vollkommen unklar", sagt Tolmein.

Einfacher ginge es so: "Für den Fall, dass ich aufgrund eines Schlaganfalles eine schwere Hirnschädigung erleide und deswegen bettlägerig und zu einer verbalen Kommunikation nicht mehr in der Lage bin, möchte ich nicht mehr künstlich ernährt werden, wenn sich abzeichnet, dass dieser Zustand länger als sechs Monate dauert."

Mit einer Vollmacht kann der Schwerkranke seinen letzten Willen in die Hände eines Verwandten oder Freundes legen. Dabei handelt es sich um die so genannte Vorsorgevollmacht. Sie kann eine Patientenverfügung ergänzen. Sie kann aber auch allein ausreichend sein, wenn sie gut formuliert ist.

Ein Sterbender im Hospiz (Foto: dpa)
Langsames Sterben: Ein Patient im HospizBild: picture-alliance/dpa

Formen, die nicht strafbar ist

Es gibt natürlich auch Formen der Sterbehilfe, die in Deutschland erlaubt sind. Hierzu gehört die sogenannte passive Sterbehilfe. Darunter versteht man, dass alle lebensverlängernden Maßnahmen eingestellt werden, wenn das der Patient vorher schriftlich geregelt hat.

Möglich ist auch der so genannte assistierte Suizid. Das heißt konkret: Der Sterbenskranke nimmt die tödlichen Medikamente selbst ein, die ihm ein anderer zur Verfügung gestellt hat. Dennoch kann sich ein Arzt dabei strafbar machen, weil er möglicherweise gegen das Arzneimittelgesetz verstößt.

Und die dritte, hierzulande erlaubte Form, ist die sogenannte indirekte Sterbehilfe. Das heißt, der Patient bekommt vom Arzt Medikamente, um seine Schmerzen zu lindern. Der Arzt nimmt dabei in Kauf, dass die Medikamente zu einem schnelleren Tod führen könnten, weil sich durch Schmerzmittel die Atmung verlangsamt und es gegebenenfalls sogar zum Atemstillstand kommt.

Der Onkologe Klaus Becker hält die jetzige Form der zulässigen Sterbehilfe in Deutschland für ausreichend: "Es ist meine Pflicht als Arzt, einem Patienten zu helfen. Es ist nicht meine Aufgabe, aktiv das Leben eines Patienten zu beenden, selbst wenn ich weiß, dass der nur noch zehn oder 14 Tage zu leben hat".

Ein Pfleger hält die Hand einer Bewohnerin (Foto: dpa)
Sterbebegleitung: Hilfe beim letzten WegBild: picture-alliance/dpa

Dennoch hat auch Becker in seinen mehr als 20 Berufsjahren Situationen erlebt, in denen er seinen Patienten ein schnelleres Ende gewünscht hätte. "Ich kann jemandem natürlich, wenn er Schmerzen hat, entsprechende Mittel geben. Diese Schmerzmittel werden nach Effekt dosiert, und wir nehmen dabei vielleicht in Kauf, dass der Patient zwei, drei Tage früher stirbt, als es die Natur vorgesehen hat".

Auch Ärzte sollen besser vorbereitet werden

Verbessert werden könnte aus Sicht von Anwalt Tolmein das Recht vom Altersheim ins Hospiz zu wechseln. Immer wieder würden Krankenkassen dafür Kosten verweigern. Auch müssten Ärzte in der Ausbildung viel mehr darin geschult werden, unheilbar kranke Menschen zu behandeln.

Die aktive Sterbehilfe ist mit Ausnahme der Benelux-Länder in der Europäischen Union verboten. Als erstes Land der Welt haben die Niederlande schon 2002 unter bestimmten Bedingungen eine ärztliche Hilfe bei der Selbsttötung zugelassen. Eine Studie der Universitätskliniken Rotterdam und Amsterdam hat gerade ergeben, dass die Legalisierung nicht zum Anstieg der Sterbehilfefälle geführt hat.

Einen anderen Weg geht die Schweiz. Dort darf auch ein Arzt dem Patienten tödliche Medikamente besorgen.