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Agrar-Wetten auf dem Prüfstand

Hilke Fischer17. Oktober 2013

Lange schien klar, dass Spekulationen auf Nahrungsmittel die Preise für Weizen, Mais und Co. in die Höhe treiben. Eine neue Studie versucht nun, das Gegenteil zu beweisen.

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Weizen-Ernte in den USA Foto: Wikimedia Creative Commons

Verteuerungen von Grundnahrungsmitteln um bis zu 40 Prozent, Hungersnöte, soziale Unruhen: Das ist das traurige Fazit der Nahrungsmittelkrise von 2007 und 2008. Kurz zuvor hatten Spekulanten die Nahrungsmittelbörsen für sich entdeckt. Viele witterten einen Zusammenhang.

Daniel Hachfeld arbeitet für Oxfam, eine Nicht-Regierungsorganisation, die sich für die Rechte von Menschen in armen Ländern einsetzt. Gerade kommt er von einer Demonstration im Frankfurter Bankenviertel, gegen die Wetten großer Finanzinstitute auf die Preisentwicklung von Weizen, Mais, Reis. "Die Leute gehen auf die Straße, weil sie wissen, dass Nahrungsmittelspekulationen ein zusätzlicher Faktor ist, der die Preise von Nahrungsmitteln unsicherer macht, sie stärker schwanken lasst." Es gebe sogar einige Spekulationsprodukte, die im Verdacht stehen, Preise mit zu treiben. "Und das wollen die Bürger nicht."

Zahlreiche Studien belegen diese Gefahr. Doch was lange als unumstößliche Tatsache festzustehen schien, wird inzwischen von einigen Wissenschaftlern angezweifelt. Der Agrarökonom Thomas Glauben und seine Kollegen kommen in einer neuen Studie sogar zu einem gegenteiligen Ergebnis: Das Auftreten bestimmter Finanzinvestoren, habe die Preise tendenziell stabilisiert, keinesfalls aber gesteigert.

Daniel Hachfeld von Oxfam Deutschland Foto: Henning Lüders
Daniel Hachfeld von Oxfam DeutschlandBild: Henning Lüders

Ein alter Markt mit neuen Akteuren

Ein kurzer Blick in die Geschichte der Nahrungsmittelspekulation: Bereits 1848 gründeten einige Getreidehändler in Chicago eine Börse. Ihr hauptsächlicher Zweck: Händler und Bauern abzusichern, etwa gegen die Gefahr eines zu niedrigen Weizenpreises. Denn Anfang des Jahres weiß ein Bauer nie, wie seine Ernte ausfallen wird. An dem sogenannten Warenterminmarkt wird deshalb nicht mit dem eigentlichen Getreide, sondern mit Futures gehandelt: Wertpapiere, die den Preis von Getreide zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft festlegen.

Seit einigen Jahren sind nicht mehr nur Bauern, Getreidehändler und Nahrungsmittelkonzerne auf diesem Markt unterwegs: Spekulanten, die mit Landwirtschaft nichts zu tun haben, sondern allein finanzielle Interessen verfolgen und auf steigende Lebensmittelkosten wetten, haben das Geschäft mit Agrarrohstoffen für sich entdeckt. Und das scheint durchaus lukrativ: Das Einlagevermögen hat sich von 2004 bis 2011 auf 400 Milliarden US-Dollar verachtfacht.

Erntemaschinen auf einem Gerstefeld Foto: Bernd Wüstneck
Die reichen Ernten können sich viele Menschen nicht leistenBild: picture-alliance/ZB

Bessere Preise durch mehr Konkurrenz?

Thomas Glauben und seine Kollegen haben den Einfluss sogenannter Long-Only-Indexfonds auf die Preisentwicklung bei Mais, Weizen und Co untersucht. Sie argumentieren, dass durch diese Fonds die Konkurrenz an den Märkten zugenommen habe und sich Landwirte deshalb günstiger absichern könnten. "Dadurch existieren höhere Anreize, in der Landwirtschaft zu produzieren, was in der Tendenz zu einem stärkeren Angebot auf den Weltmärkten führt," so Glauben. "Das wiederum führt zu einer Preisstabilisierung, was im Interesse der Konsumenten sein dürfte."

Agrar-Ökonom Thomas Glauben Foto: Antje Elsner
Agrar-Ökonom Thomas GlaubenBild: Antje Elsner

Daniel Hachfeld von Oxfam bleibt skeptisch. Die Indexfonds würden sich nur auf Märkten breit machen, die ohnehin schon ausreichend liquide wären. Die Vorteile für die Bauern seien deshalb gar nicht so erheblich. Ihm machen vor allem die enormen Geldmengen Sorgen, die in die Indexfonds investiert werden: "Wenn da viel Kapital auf einmal reingeht, dann besteht das Risiko, dass der Markt vollgepumpt wird mit Erwartungen auf steigende Preise." Und das könnte sich negativ auf die realen Nahrungsmittelpreise auswirken.

Stimmt nicht, denn Indexfonds seinen so konzipiert, dass sie gar nicht ausufern können, argumentiert hingegen Agrarökonom Glauben.

Vorsicht ist besser als Nachsicht

Wer hat nun recht? Einen wissenschaftlichen Konsens gibt es nicht. Hinzu kommt, dass der Einfluss anderer Formen der Agrar-Spekulation, zum Beispiel von Hedgefonds, noch kaum untersucht wurde. Daniel Hachfeld fordert deshalb: Wie in der Umweltpolitik auch, sollte bei Spekulationen auf Nahrungsmittel das Vorsorgeprinzip gelten. Wenn noch nicht geklärt ist, wie schädlich ein Produkt tatsächlich ist, dann sollte man es sicherheitshalber erst einmal vom Markt nehmen: "Es gibt gewisse Finanzprodukte, die braucht kein Mensch. Aber ihr potenzieller Schaden ist so groß, dass man einfach einschreiten muss und sich nicht erlauben kann, die Hände in den Schoß zu legen und nichts zu tun."

Jeder sollte zwar weiter auf den Warenterminmärkten handeln dürfen. Diejenigen, die ein reines finanzielles Interesse verfolgen, dürften aber nicht Überhand nehmen und nur bis zu einem bestimmten, von der Politik gesetzten Limit handeln dürfen, dem sogenannten Positionslimit.

Spekulationen sind höchstens ein Teil des Problems

Ein endgültiger Beschluss der EU zu diesem Thema steht noch aus. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hat gegenüber der Nichtregierungsorganisation foodwatch jedoch bereits signalisiert, dass er sich auf EU-Ebene stärker für eine Obergrenze für die Zahl spekulativer Wertpapiere, die eine Handelspartei halten darf, aussprechen will.

Ein Autofahrer haelt an einer Tankstelle eine Zapfpistole, mit der man den Kraftstoff Super E10 tanken kann Foto: Joerg Sarbach/dapd
Mitverantwortlich für steigende Nahrungsmittelpreise: BiospritBild: dapd

Fest steht jedoch, und da sind sich Tomas Glauben und Daniel Hachfeld einig: Spekulationen auf Lebensmittel alleine können Preisanstiege wie bei der Nahrungsmittelpreiskrise nicht erklären. Die Produktion von Biogas und Biosprit in den Industriestaaten, Bevölkerungswachstum und stärkere Nachfrage in Ländern wie China und Indien, Dürren: Für den Kampf gegen den Hunger muss an vielen Stellschrauben gedreht werden.