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"Afrikas Fußballer sind Nationalhelden"

Thomas Klein13. Mai 2014

Die WM in Brasilien steht vor der Tür. Fünf Teilnehmer kommen aus Afrika, doch die Chancen auf den Titel sind gering. Im DW-Interview erklärt Antoine Hey, Trainer und Kenner des afrikanischen Fußballs, die Hintergründe.

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Antoine Hey bei der Meisterfeier 2013 in Düsseldorf (Copyright: imago/Lumma)
Bild: imago/Lumma Foto

DW: Antoine Hey, Sie sind ein ausgewiesener Kenner des afrikanischen Fußballs. Seit 2004 arbeiten Sie als Trainer auf dem afrikanischen Kontinent. Wie hat sich der Fußball dort in dieser Zeit entwickelt?

Antoine Hey: Wir haben nach der erfolgreichen Weltmeisterschaft 2010, die Südafrika ausgerichtet hat, festgestellt, dass die kleineren Nationen in Afrika aufholen. Das ist auch bedingt durch die Aufbauarbeit der FIFA und durch viele qualifizierte Trainer, die dort Aufbauarbeit leisten. Die Ergebnisse zwischen den etablierten Nationen in Afrika und den kleineren Nationen werden enger, es wird immer schwieriger, sich als etablierte Nation für eine Weltmeisterschaft oder für den Afrika Cup zu qualifizieren. Ich glaube, dass der afrikanische Fußball in der Breite stärker wird, dass er mehr aufholt, und es würde mich nicht überraschen, wenn wir über kurz oder lang vielleicht auch mal eine afrikanische Mannschaft im Halbfinale einer WM sehen.

Das Hauptproblem von afrikanischen Teams ist nicht die fehlende fußballerische Qualität. Können Sie beschreiben, was die größten Probleme sind?

Zum einen ist es die Organisation der einzelnen Nationalmannschaften, dass heißt, die An- und Abreise der Spieler, die Trainingslager, die gesamte Organisation des Fußballverbandes - das bereitet häufig Probleme. Es ist aber häufig auch ein Mentalitätsproblem innerhalb der Nationalmannschaften. Es gibt da unterschiedliche Interessenslagen, eine Gruppenbildung innerhalb der Mannschaften. Dabei spielt der Neidfaktor eine große Rolle, gerade wenn auch etablierte Spieler, die in großen Vereinen kicken, viele Qualifikationsspiele aus nicht nachvollziehbaren Gründen absagen und dann erst zum Ende einer Qualifikationsrunde oder zum Turnier wieder einsteigen. Also es ist viel Konfliktpotential innerhalb der Mannschaften und das führt häufig dazu, dass viel Energie drauf geht, um diese Probleme zu lösen.

Sie haben es selbst erlebt und als Nationaltrainer von Kenia gekündigt. Was macht das Arbeiten so schwierig, dass man auch als Trainer sagt, das funktioniert hier so nicht mit mir?

Es ist so, dass der afrikanische Fußball einen unglaublichen Stellenwert hat. Wenn wir denken, dass die deutsche Nationalmannschaft schon unglaublich wichtig ist und man seitens der Regierung schon dazu übergegangen ist, unangenehme Gesetze während eines Länderspiels des DFB zu verabschieden, dann ist es in Afrika noch viel schlimmer. Es ist gewaltig, was da an Medieninteresse, an öffentlichem Interesse im Rahmen eines Qualifikationsspiels, eines Afrika-Cup-Spiels besteht. Da ist dieser gewaltige Druck, der aufgebaut wird, auf die Spieler und auch auf den Trainer, der ist zum Teil kaum zu ertragen. Wenn dann aber unterschiedliche Interessenlagen noch eine Rolle spielen, wenn man dann gebeten wird, Spieler zu bevorzugen, die rein faktisch gar nicht in die Mannschaft gehören, wenn man als Trainer in seinen Möglichkeiten beschnitten wird, dass man gar nicht mehr die Mannschaft aufstellen kann, für die man den Kopf hinhalten würde, sondern nach anderen Kriterien aufstellen muss, dann ist irgendwo der Punkt gekommen, wo man sich als Trainer fragen muss: Möchte ich mir das noch antun oder lass ich es einfach.

Trotz aller Schwierigkeiten: Welche Kraft hat der Fußball in Afrika? Was kann der Fußball auch in Krisenzeiten bewirken?

Wir haben es auch bei der Nationalmannschaft von Libyen gesehen, die sich während des Bürgerkrieges beim Afrika Cup 2013 qualifiziert hat. Eine sensationelle Leistung in einer Phase, in der man gar nicht damit rechnen konnte, dass die Mannschaft sich qualifiziert. Unter schwierigsten Bedingungen, schwierigsten Verhältnissen, die Spieler waren mit dem Kopf ganz woanders, haben sie es trotzdem geschafft für diese zwei Wochen während des Afrika Cups das Land zu einen. Sie haben unglaublich viel dazu beigetragen, dass ein positiver Geist in Lybien entstanden ist.

„Das sind absolute Helden“

In Deutschland, England, Frankreich - überall spielen afrikanische Fußballer. Haben die in ihrem Heimatland einen besonderen Stellenwert? Vielleicht sogar einen besonderen Einfluss?

Auf jeden Fall, das sind absolute Nationalhelden. In vielen afrikanischen Ländern gibt es nichts anderes als Fußball. Die Kids spielen schon von klein auf und die haben nicht diese Ablenkung, diese Möglichkeiten, wie sie es vielleicht für Kinder gibt, die in Europa aufwachsen. Deswegen sind das absolute Helden und alles was sie sagen, alles was sie tun, welche Frisur sie tragen, welches Auto sie fahren ist dort von höchstem Interesse. Und somit haben sie in ihrem Land auch ein gewichtiges Wort mitzureden, wenn es um gesellschaftliche und allgemeine Probleme geht.

Das Ziel ist Europa. Aber wie kommen afrikanische Talente nach Europa und wie schwer ist es für sie in den Top-5-Ligen Fuß zu fassen?

Dazu gehört eine ganze Portion Glück. Viele afrikanische Spieler haben zweifelsohne das Talent und könnten in vielen Ligen in Europa spielen. Die Frage ist nur in welchem Alter sie entdeckt werden. Wer sieht sie? Sind das anständige Leute, gute Vereine, die einen seriösen Hintergrund haben oder sind das windige Geschäftemacher? Es gibt da die abstrusesten Geschichten. Häufig ist es so, dass Glück eine große Rolle spielt. Finde ich als talentierter junger Spieler gute Leute, die mich in einem guten Verein unterbringen, mit einer guten Struktur, verantwortungsvolle Leuten eben? Nur dann habe ich auch die Chance, aus meinem Talent das Maximale zu machen. Gerate ich an irgendwelche windigen Geschäftsleute, dann kann mein Talent noch so groß sein, dann werde ich nie den Weg nach ganz oben schaffen.

Fußball Elfenbeinküste Jubel AFP PHOTO / ISSOUF SANOGO
Zum dritten Mal in Folge bei der WM-Endrunde - das Team der Elfenbeinküste mit Zokora (l.) and Die Serey (r.)Bild: ISSOUF SANOGO/AFP/Getty Images

Fußballspieler als Wirtschaftsobjekt

Ist das Thema „die Ware Mensch“ in Afrika nochmal schlimmer, weil der Wunsch dort nach Wohlstand, der einen als Fußballer in Europa erwartet, noch größer ist? Stichwort Menschenhandel?

Menschenhandel ist natürlich ein Schlagwort. Ich würde sagen, die FIFA hat mit ihren Regularien dafür gesorgt, dass das unterbunden wird. Dass man keine Spieler unter 18 Jahren so einfach verpflichten kann, wenn der Transfer der Hauptgrund eines Wechsels ins europäische Ausland ist. Trotzdem umgehen Vereine wie Barcelona immer wieder diese Regel und verpflichten sehr früh junge Spieler. Von diesen Spielern kommen die wenigsten, vielleicht ein oder zwei Prozent oben an der Spitze, also im bezahlten Fußball an. Der Rest wird irgendwo in den unteren Ligen kicken und dann wieder zurück nach Afrika gehen müssen. Gerade für die jungen Spieler bedeutet das eine Chance, dem teilweise wirklich unglaublichen Elend, in dem sie leben, zu entfliehen. Und so kommt vieles zusammen: Auf der einen Seite Geschäftsleute, die das große Geld wittern, die Fußballspieler als Ware sehen mit denen man mit einem einzigen Transfer Millionen verdienen kann. Auf der anderen Seite stehen verzweifelte Menschen, die diesen als einzig wahren Weg aus ihrer sozialen Situation sehen.

In wenigen Wochen startet die Weltmeisterschaft in Brasilien. Fünf Teams aus Afrika sind dabei. Welche Mannschaft hat die besten Chancen weit zu kommen?

Von Algerien, Nigeria, Elfenbeinküste, Kamerun und Ghana, hat Elfenbeinküste die besten Chancen weit zu kommen, weil Kamerun in einer unglaublich schweren Gruppe ist. Ghana muss gegen Deutschland spielen und Algerien schätze ich als weniger stark ein. Die Elfenbeinküste hat eine machbare Gruppe und ich glaube, sie haben mittlerweile auch die Qualitäten im Kader und haben ihre Lektionen aus den letzten Jahren gelernt, dass es nur gemeinsam geht. Die Elfenbeinküste schätze ich relativ stark ein.

Antoine Hey ist ehemaliger deutscher Fußball-Profi und arbeitet seit 2004 auf dem afrikanischen Kontinent als Trainer. Unter anderem leitete er die Nationalmannschaften von Lesotho, Gambia, Lybien und zuletzt Kenia. Seine Tätigkeit in Kenia beendete er kürzlich auf eigenen Wunsch. In Zukunft will der 43-Jährige in Asien arbeiten und dort fußballerische Aufbauhilfe leisten. Das Interview am Rande einer Podiumsdiskussion des Cameroon Sports and Sociocultural Club Frankfurt führte DW-Reporter Thomas Klein.