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Afrikanist Cyffer: "Ein schreckliches Ereignis"

Philipp Sandner25. August 2014

Boko Haram hat in der nordnigerianischen Stadt Gwoza ein islamisches Kalifat ausgerufen. Die Einwohner fliehen aus Furcht in den Berge, berichtet Afrikanist und Nigeria-Kenner Norbert Cyffer im DW-Interview.

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Nigeria Boko Haram Abubakar Shekau Archiv
Boko-Haram-Anführer Abubakar Shekau: "Allah will, dass wir den Rest der Welt beherrschen, und jetzt haben wir angefangen"Bild: picture alliance/AP Photo

DW: Herr Cyffer, in einem Video hat die islamistische Boko-Haram-Miliz am Sonntag ein islamisches Kalifat in der nordostnigerianischen Stadt Gwoza ausgerufen. Was bedeutet das für die Bevölkerung?

Norbert Cyffer: Für die Einwohner ist das ein schreckliches Ereignis. Nicht alle Einwohner von Gwoza sind Muslime, es gibt auch Christen und traditionelle Religionen. Die Bevölkerung der Region ist gemischt - kulturell und ethnisch. Ich denke, dass die meisten Menschen das nicht unterstützen - sie fühlen sich eher bedroht. Nach der letzten Attacke von Boko Haram sind viele in die Berge geflüchtet.

Sie haben selbst lange im Bundesstaat Borno gelebt und stehen in Kontakt mit Menschen in der Region. Wissen Sie, ob der Ausrufung des Kalifats auch Taten gefolgt sind?

Davon weiß ich nichts. Man muss aber bedenken, dass diese terroristische Gruppe nicht homogen ist. Der ursprünglichen islamischen Gruppe haben sich immer andere angeschlossen. Ich glaube nicht, dass Boko Haram ein einheitliches Ziel hat. Die Situation ist eher diffus: Zu den Kämpfern gehören auch Arbeitslose aus dem benachbarten Niger, die sich mit ein paar Dollars haben anlocken lassen.

Norbert Cyffer
Norbert CyfferBild: Privat

Warum fliehen die Menschen aus Gwoza gerade in die Berge?

Die Stadt Gwoza liegt am Fuß des Gebirges. Die Gwoza-Berge sind sehr undurchdringlich. Es gibt keine Straßen dorthin, nur Fußwege. Die zahlreichen Felsnischen bieten sich dort als Verstecke an. Viele Bewohner der Stadt haben Beziehungen zu den Ethnien in den Bergen. Sie helfen ihnen offenbar, sich zu schützen.

Genauso gelten die schwer zugänglichen Berge aber auch als Rückzugsgebiet für Boko Haram.

Dennoch bleibt den Bewohnern nur die Flucht in die Berge. In die andere Richtung erstreckt sich bis zur rund 200 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt Maiduguri flaches Land. Das ist eine wenig bewachsene Steppe - nichts, wo man sich verstecken kann. Die Gebirgskette erstreckt sich hingegen bis weit über die kamerunische Grenze - bis in Regionen, wo der Islam nur eine geringere Rolle spielt.

Wohnhaus in den Gwoza-Bergen
Wohnhaus in den Gwoza-BergenBild: privat

Wäre es also denkbar, dass Menschen sich nicht nur in die Berge zurückziehen, sondern auch versuchen, von da aus in andere Regionen zu entkommen?

Eine Flucht nach Kamerun läge nahe. Gwoza ist etwa 20 Kilometer Luftlinie von Kamerun entfernt. Die Menschen dort sind - ethnisch und linguistisch betrachtet - mit den Bewohnern von Gwoza verwandt, es sind ihresgleichen.

Bereits im Mai hatten Boko-Haram-Rebellen den damaligen Emir von Gwoza ermordet. Als die Miliz Anfang August die Stadt eroberte, griff sie erneut den Palast des Emirs an, der aber entkommen konnte.

Er war ebenfalls in die Berge geflohen und dann mit fremder Hilfe in die nigerianische Hauptstadt Abuja entkommen. Dort wurde er von Präsident Goodluck Jonathan empfangen.

Im Nordosten demonstriert Boko Haram weiter Stärke. Heute melden Agenturen einen neuen Angriff auf eine Stadt unweit von Gwoza. Die Miliz soll auch in den Gwoza-Bergen Zulauf von jungen Konvertiten haben.

Anhänger für extremistische Strömungen gibt es immer. Besonders, wenn - wie in Nordnigeria - die Arbeitslosigkeit groß ist und man den Menschen Hoffnung macht: "Bei uns werdet ihr gut bezahlt, habt ein gutes Leben." Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das für einige ein Anreiz ist.

Norbert Cyffer ist emeritierter Professor für Afrikanistik in Wien. Er lebte zwölf Jahre in Nigeria, wo er das sprachwissenschaftliche Institut der Universität von Maiduguri mit aufbaute. Seitdem unterhält er enge Kontakte in die Region.

Das Interview führte Philipp Sandner.