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Buchtipp: NoViolet Bulawayos "Wir brauchen neue Namen"

Sabine Peschel 1. Juni 2015

NoViolet Bulawayo erzählt von einer Kindheit in Simbabwe und dem Sehnsuchtsort USA. "Wir brauchen neue Namen" hat es auf die Shortlist des Internationalen Literaturpreises geschafft. Ein Debütroman voller Sprachmagie.

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Buchcover AUSCHNITT NoViolet Bulawayo Wir brauchen neue Namen
Bild: Suhrkamp

Das Umbenennen fängt schon bei der Autorin selber an. Elizabeth Zandile Tshele hat sich für ihren Erstlingsroman nach der zweitgrößten Stadt Simbabwes, Bulawayo, benannt. Den Vornamen entlehnt sie ihrer Mutter Violet, die starb, als die Autorin noch ein Kleinkind war. Die Vorsilbe "No" bedeutet in ihrer Muttersprache Ndebele "mit". So trägt die 1981 in Simbabwe geborene Schriftstellerin, die 18-jährig in die USA auswanderte, ihre Herkunft jetzt schon im Namen.

Begriffe ohne Wirklichkeit

Namen sind wichtig, darüber sind sich Philosophen von Sokrates bis Adorno einig. Begriffe prägen unseren Blick auf die Welt. Und bringen eine eigene Welt hervor. Deshalb kann es schon mal hilfreich sein, wenn eine Slumsiedlung Paradise heißt und ein zehnjähriges Mädchen, das von seiner verbitterten Mutter kaum beachtet wird, Darling. Man könnte es positive Suggestion nennen oder Zynismus. Für die Kinder, die vor den Blechhütten des Slums herumtoben, spielt die Diskrepanz zwischen Vorstellung und Bezeichnung noch keine Rolle. Wenn sie sie überhaupt wahrnehmen, dann amüsiert sie sie höchstens oder inspiriert sie zu eigenen grotesken Neuschöpfungen.

Autorin Noviolet Bulawayo
Autorin NoViolet BulawayoBild: Getty Images/AFP/L. Neal

Heranwachsen im Ghetto

Um eine Kindheit in Simbabwe, das im Buch erst spät als ehemaliges "Scheißrhodesien" und mit der Silbe "Zim" bezeichnet wird, und eine Jugend in den USA geht es in dem zweigeteilten Roman. Die zehnjährige Darling lebt mit ihrer Mutter im Slum Paradise. Der Vater kehrt nach Jahren der Abwesenheit in Südafrika nur nach Hause zurück, um an AIDS zu sterben, und hält seine Tochter für einen Jungen. Viel wichtiger als die Familie sind die Freunde. Godnows, Stina, Sboh, Bastard und Chipo streunen mit Darling gemeinsam durch die Siedlung, wobei die elfjährige Chipo nicht mehr recht mithalten kann, weil "jemand sie schwanger gemacht" hat - der eigene Großvater, wie sich später ganz nebenbei herausstellt. Wenn sie nicht gerade von der Slum-Nachbarin Mother of Bones zu düsteren Austreibungsritualen in die Kirche geschickt werden, unterhalten sie sich mit neu erfundenen Spielen wie "Andyover" oder "Fangt bin Laden". Gegen den Hunger klauen Darling und ihre Freunde Guaven in der verbotenen Reichensiedlung Budapest. Und immer wieder leuchtet am kindlichen Horizont irreal wie eine Fata Morgana Amerika mit Tante Fostalina, die in Detroit lebt, auf.

Spielende Kinder in Simbabwes Hauptstadt Harare
Spielende Kinder am Rand von Simbabwes Hauptstadt HarareBild: Imago/Xinhua

Ausgrenzung

Plötzlich ist der Schritt in die USA und den Winter von "Destroyedmichygen" vollzogen. Darling lebt als Jugendliche bei ihrer Tante, die als Pflegerin und mit zwei Nebenjobs die Familie samt Verwandtschaft in Simbabwe versorgt. Begriffe wie "Tempolimit", "High School Musical" und die Ernährung durch Fastfood wollen verstanden sein. Wo vorher Freundschaft und fröhliche Naivität die Armut grellbunt belebt haben, kämpft das junge Mädchen jetzt in Amerika mit der Gefühlseinöde einer konsumistischen Gesellschaft und mit Vorurteilen gegenüber Einwanderern, besonders aus afrikanischen Ländern. Gemeinsames Stöhnen vor Internetpornos oder heimliche Fahrten zur Shopping Mall mit ein paar Schulfreundinnen vertreiben ihre Einsamkeit und die Sprachlosigkeit nur oberflächlich.

Heimat und Sprache

Der szenische Roman – es gibt keine durchgängig erzählte Handlung – gewinnt durch die Erzählperspektive und seinen Grundton an Brillianz. Darling in Simbabwe beschreibt lebendig, in schönster kindlicher Rollenprosa ihr Leben. Das macht die Lektüre sehr unterhaltsam. Später, in den USA, ist die Perspektive der Jugendlichen distanzierter. Fremdheit und widerstrebende Heimatsehnsucht wird zum Teil der neuen Identität.

Zwischen den beiden Romanteilen tritt eine Art Chor auf, der den Übergang von Afrika nach Nordamerika, von der Kindheit zur Jugend mit fast lyrischen Worten kommentiert. Diese Beschwörungen, die wie eine Klage ohne Wertung wirken, öffnen weit den Blick und lenken ihn auf all die zahllosen Migrantenschicksale unserer Zeit. Moralische Urteile fällt das Buch nicht, das überlässt es seinen Lesern.

NoViolet Bulawayo: "Wir brauchen neue Namen", aus dem Englischen von Miriam Mandelkow, Suhrkamp, 2014. "We Need New Names", Chatto & Windus, London 2013 / Little, Brown and Company, New York 2013

Buchcover NoViolet Bulawayo Wir brauchen neue Namen
BuchcoverBild: Suhrkamp