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Ab in den Urlaub!

Marc von Lüpke-Schwarz16. August 2013

Millionen Deutsche reisen jedes Jahr als Touristen in den Urlaub. Dabei ist der Tourismus als Massenphänomen erst wenige Jahrzehnte alt. Früher konnten sich nur Wohlhabende das Verreisen leisten.

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Zwei Gartenzwerge im Zwergenpark Trusetal in der Frühlingssonne
Gartenzwerge genießen den FrühlingBild: picture-alliance/ dpa

Kilometerlange Staus auf den Autobahnen und endlose Schlangen vor den Abflugschaltern der Flughäfen - so sehen in Deutschland die Sommerferien aus. Für rund 300 Euro lassen sich auch weit entfernte Reiseziele erreichen: Eine Woche auf der Kanareninsel Gran Canaria, inklusive Flug und Hotelübernachtung bei voller Verpflegung zum Beispiel.

Ein Urlaub ist für die meisten Deutschen aber erst seit wenigen Jahrzehnten möglich. In früheren Jahrhunderten erkundeten nur die Adeligen und Wohlhabenden die Welt als Touristen – eine Urlaubsreise war für den Großteil der Bevölkerung undenkbar.

Die Erfindung des Tourismus

"Die Mehrheit der Forscher meint, dass der Tourismus eine Erfindung des 18. Jahrhunderts ist", erklärt Hasso Spode, der das Historische Archiv zum Tourismus an der Technischen Universität Berlin leitet. Was aber unterscheidet einen Reisenden vom Touristen? "Der Tourismus ist eine Reise ohne einen eigentlichen Zweck", meint der Tourismusforscher. In früheren Jahrhunderten verfolgten Reisende stets eine Mission. "Die Pilger wollten zum Beispiel Seelenheil finden, die Eroberer erobern", so Hasso Spode. Im 18. Jahrhundert begann man dagegen, aus Spaß zu verreisen.

So ein "Urlaub" war zu dieser Zeit eine beschwerliche und vor allem teure Angelegenheit. Man reiste per Kutsche und quälte sich über schlechte Straßen. Diese waren zu allem Überfluss nach schlechtem Wetter unpassierbar. Vor allem aber musste stets für Unterkunft und frische Pferde gesorgt sein. Und da Deutschland damals aus vielen kleinen Staaten bestand, war an jeder Landesgrenze erneut Wegzoll zu zahlen. Ein erster großer Touristenmagnet entstand 1793 an der mecklenburgischen Ostseeküste. Dort eröffnete das Seebad Heiligendamm seine Pforten. In dieses exklusive Urlaubsparadies strömte alles, was Rang und Namen hatte. Vergnügungen gab es viele: Glücksspiel und Pferderennen, rauschende Feste und Prostituierte. Ins Wasser zum Baden hat es manch ein adeliger Tourist erst gar nicht geschafft. Der Schriftsteller Ludwig Börne lästerte 1825 über einen solchen Touristenort: "Wie die Schnecken belästigen einen hier die Fürsten und Fürstinnen, man kann ihnen ja nicht ausweichen."

Anton Braith: "Die Verabschiedung an der Postkutsche vor dem Wirtshaus". (Quelle: Wikimedia commons)
Per Kutsche reisten die ersten Touristen beschwerlich von Ort zu OrtBild: gemeinfrei

Thomas Cook revolutioniert den Tourismus

"Der Tourismus war erst mal auf sehr wenige Menschen beschränkt. Etwa ein Prozent der Bevölkerung konnte um 1800 reisen", erklärt Hasso Spode. Das sollte sich allerdings bald ändern. Menschen aus dem Bürgertum wollten ebenfalls auf Reisen gehen. Der findige Brite Thomas Cook revolutionierte seit 1841 eine Marktlücke: den Pauschaltourismus. Dabei kam ihm eine Erfindung zur Hilfe, die die Fortbewegung revolutionierte. Per Eisenbahn schickte Cook Touristenscharen auf Reisen. Der Reiseveranstalter hatte gleich ganze Züge und Hotels gebucht und konnte so seine Urlaubsangebote konkurrenzlos günstig anbieten.

"Cook war zwar nicht der Erfinder der Pauschalreise, aber er war der erfolgreichste Veranstalter", erklärt Hasso Spode. Aber Cook tat noch mehr: Reiseführer nahmen den Menschen alle Beschwerlichkeiten ab, die Touristen konnten sich der Erholung widmen. In Deutschland fanden sich bald Nachahmer, die Cooks Idee des Pauschaltourismus kopierten. So erkundeten auch die Deutschen ihr Land und die Welt. Die Eisenbahn brachte viele Vorteile mit sich. Die Züge dampften unbeirrt vom Wetter und Straßenverhältnissen durch die Landschaft, aus dem Wagenfenster konnten die Passagiere die Natur genießen.

Ein Plakat aus dem Jahr 1904 wirbt für den Reiseveranstalter Thomas Cook (Quelle: Mary Evans Picture Library)
Bereits 1904 lockte Thomas Cook mit Reisen in ferne LänderBild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

Das nationalsozialistische Urlaubserlebnis

An den Urlaubsorten waren Angehörige des Adels und Bürgertums aber noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein unter sich. Für die Arbeiter lag eine Urlaubsreise aus finanziellen Gründen in weiter Ferne. Die Nationalsozialisten betätigten sich nach ihrer Machtübernahme 1933 als Reiseveranstalter, um auch die Arbeiterschaft für ihre Diktatur zu begeistern. "Die Nazis haben 1933 die Freizeitorganisation 'Kraft durch Freude' (KdF) gegründet, die aus dem Stand zum größten Reiseveranstalter der Welt wurde", führt Hasso Spode aus. Die KdF lockte Reisewillige mit einem ganz besonderen Angebot: Kreuzfahrten, die ansonsten als Vergnügen der oberen Zehntausend galten.

"Sie bauten klassenlose Kreuzfahrtschiffe, womit sie etwa 700.000 Menschen über die Weltmeere geschickt haben", so Spode. Propagandabilder der KdF zeigen Deutsche, die sich entspannt auf den Liegestühlen der eleganten Kreuzfahrtschiffe dem Nichtstun hingeben. Bei Kriegsbeginn war allerdings Schluss mit dem KdF-Tourismus. Private Reiseanbieter machten aber unverdrossen weiter - sehr zum Verdruss der Nationalsozialisten, die die Touristenzüge lieber für den Krieg verwendet hätten. Hasso Spode bewertet: "Hier sieht man auch, wie tief der Wunsch nach touristischem Erleben in der Bevölkerung war. Die Nazis haben sich nicht getraut, dagegen massiv vorzugehen, weil sie sich nicht unbeliebt machen wollten." Allerdings erzwang der Kriegsverlauf spätestens 1943 einen Stopp des deutschen Tourismus.

Das KdF-Schiff "Wilhelm Gustloff" im Hafen.- Foto, um 1938. (Foto: pixel)
Das Schiff "Wilhelm Gustloff" der NS-Organisation "Kraft durch Freude" im HafenBild: picture-alliance/akg-images

"Teutonengrill" und "Putzfraueninsel"

Mit dem bundesdeutschen Wirtschaftswunder in den 1950er Jahren wuchs die Reisekasse und damit die Reiselust der Deutschen. "So langsam wagten sich die Deutschen mit dem Käfer oder auch der Vespa schon einmal über die Alpen", beschreibt Hasso Spode den Nachkriegstourismus. Per Auto konnte nun jeder ganz individuell auf Reisen gehen. Wenig später machte eine weitere technische Errungenschaft den Tourismus noch erschwinglicher: Große Passagierjets transportierten seit den 1970er Jahren immer mehr Deutsche aller Einkommensschichten in die Ferne. Das spanische Urlaubsziel Mallorca erhielt bald den spöttischen Beinamen "Putzfraueninsel". Strände rund um das Mittelmeer, an denen sich überwiegend Deutsche in der Sonne bräunten, waren bald als "Teutonengrill" bekannt. Steigende Löhne und niedrige Urlaubspreise machten es möglich - den Urlaub für jedermann.

Den gab es auch im zweiten deutschen Staat, der Deutschen Demokratischen Republik. Hasso Spode weiß: "In der DDR gab es einen subventionierten Sozialtourismus." Allerdings versuchte auch, ähnlich wie im Nationalsozialismus, der Staat den Urlaub seiner Bürger zu kontrollieren. "Der Feriendienst des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes war dort der wichtigste Anbieter", so Spode. Eine Organisation, die völlig unter der Kontrolle der Einheitspartei der DDR, der SED, stand. Zwar konnte fast jeder DDR-Bürger in den Urlaub fahren. Doch die Wahl des Urlaubslandes war keineswegs frei. Wer nicht in der DDR Urlaub machte, durfte nur in sozialistische Nachbarländer fahren - zum Beispiel nach Ungarn, in die Tschechoslowakei oder nach Polen. Erst mit dem Fall der Mauer 1989 konnten es die Ostdeutschen den Westdeutschen nachmachen und im Urlaub die Welt erkunden.

Die schönsten Wochen des Jahres

Aber nicht alle Deutschen zieht es heutzutage ins Ausland: "Deutschland ist für die Deutschen immer noch das wichtigste Urlaubsland", erklärt der Wirtschaftsgeograph und Tourismusforscher Jürgen Schmude von der Universität München. Und auch das Urlaubsverhalten der Deutschen wandelt sich mittlerweile. Zwar war das Reisebudget der Deutschen im internationalen Vergleich 2012 nicht mehr das höchste und sie mussten damit den inoffiziellen Titel der "Reiseweltmeister" an die Chinesen abtreten, dennoch sind die Aussichten für den Tourismus in Deutschland gut. "Der Trend geht hin zu mehreren Reisen pro Jahr, die sind dann kürzer aber öfter. Früher war der Urlaub klassischerweise im Sommer."

Zahllose Menschen bevölkern am 8.7.2003 den Strand von Rimini an der Adria. (Foto: pixel)
Der "Teutonengrill" von RiminiBild: picture-alliance/dpa

Und so füllen sich mittlerweile nicht nur in der Sommerzeit Autobahnen und Flughäfen mit reisefreudigen Deutschen.