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9/11: Die vergessenen Helfer

Gero Schließ11. September 2014

An die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA erinnern jedes Jahr zahlreiche Veranstaltungen. Viele Überlebende aber fühlen sich vergessen. Vor allem jene Helfer, die durch ihren Einsatz schwer erkrankt sind.

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USA Gedenkveranstaltung der First Responder in Nesconset
Bild: DW/G. Schließ

"Es haben sich wieder einige das Leben genommen", sagt John Feal zum Abschluss der kleinen Veranstaltung vor dem Mahnmal der 9/11-Ersthelfer in Nesconset, einem kleinen Nest auf Long Island, gut eine Autostunde von Manhattan entfernt. "Wenn es euch nicht gut geht, ruft an, sprecht mit mir", sagt der Gründer der "Fealgood“-Stiftung, die nach eigenen Angaben bisher mehr als zwei Millionen Dollar zur Unterstützung kranker Ersthelfer gesammelt hat. Er sagt das fast beschwörend in die Runde, in der mehr als 200 ehemalige Feuerwehrleute und Polizisten sitzen. Sie haben nach den Anschlägen von 9/11 tage-, manchmal wochenlang in den Trümmern der Twin Towers nach Überlebenden gesucht und später dann nach den Überresten der Gestorbenen.

Wenig Hilfe für die Helfer

Viele der "first responder", der Ersthelfer, die bei einer Gedenkveranstaltung anlässlich des 13. Jahrestages der Anschläge in der sengenden Sonne ausharren, sind schwer krank. Sie leiden unter den sogenannten 9/11-Krankheiten. In den Richtlinien des erst im Jahre 2011 eingerichteten "Victim Compensation Fund" werden darunter unter anderem Krebs, chronische Atemwegserkrankungen wie Asthma und schwere psychische Folgeerscheinungen aufgelistet.

John Feal bei der Veranstaltung der 9/11 First Responder in Nesconset USA
John Feal hat eine Stiftung gegründet, um kranke Ersthelfer zu unterstützenBild: DW/G. Schließ

Von ihrer Regierung fühlen sich die Ersthelfer schäbig behandelt, weil sie um das Geld für die teure medizinische Betreuung bis zum heutigen Tage kämpfen müssen. Einer von ihnen ist Michael McPhillips, der Hafen-Kapitän der größten New Yorker Fährflotte war und am Tag der Anschläge mit seinen Leuten mehr als 290.000 Menschen über den Hudson River nach New Jersey brachte. "Seit 2004 bin ich arbeitsunfähig. Ich habe eine schwere Lebererkankung im Endstadium", sagt McPhillips, ohne sein Gesicht zu verziehen. Seine Krankheit verursacht permanent Schmerzen. Wie viele der Ersthelfer atmete er bei den wochenlangen Rettungs- und Aufräumaktionen täglich bis zu 18 Stunden giftige Dämpfe ein, die aus den schwärenden Trümmern der kollabierten Twin Towers aufstiegen. "Wir wussten das, als wir da rein gingen. Fast alle wußten es, obwohl sie uns sagten, dass die Luft rein sei."

9/11 Rettungskräfte suchen nach Überlebenden, Archivbild 09.11.2001
Viele Helfer atmeten während der Rettungsarbeiten tagelang giftige Dämpfe einBild: Doug Kanter/AFP/Getty Images

Schuldgefühle und Depressionen

William Gardner hatte sich als Freiwilliger gemeldet. Auch er half, Überlebende aus den Trümmern zu retten. Meistens arbeitete er ohne Schutzmaske, manchmal mit einer Papiermaske. Er habe sich immer "schuldig" gefühlt, dass es ihm und seiner Familie besser gehe als all den Opfern. Gardner litt in der Folge unter starken Depressionen, so dass er 13 Jahre "fast wie ein Gefangener im eigenen Haus" lebte und kaum auf die Straße ging.

Carol Paukner versah an 9/11 ihren Dienst als Polizistin und war zur Evakuierung in einem der Twin Towers eingesetzt. Als der Wolkenkratzer zusammenfiel, wurde sie von herunterstürzenden Trümmerteilen getroffen und eingeschlossen. "Ich hatte drei Operationen nach 9/11, an meiner Schulter und meinen Knien. Ich habe Asthma und ständig Kopfschmerzen und jetzt wurde Krebs diagnostiziert", sagt sie.

Enttäuscht von der Regierung

Vor 9/11 sei sie eine gesunde, athletische Frau gewesen. Heute ist sie arbeitsunfähig. Wie die anderen ist auch sie wütend und enttäuscht: "Ich wünschte mir, dass die Regierung uns 9/11-Überlebenden stärker hilft. Und dass sie versteht, was wir und unsere Familien durchgemacht haben“. Man helfe sich gegenseitig, "aber wir haben nicht die Unterstützung der Regierung. Wir müssen kämpfen".

Mehr als zehn Jahre hatte es gedauert, bis die Regierung mit dem "John Zadroga 9/11 Health and Compensation Act" Geld zur medizinischen Versorgung und Unterstützung der Kranken zur Verfügung stellte. Das nach einem an Atemwegserkankungen verstorbenen New Yorker Polizisten benannte Gesetz läuft im Jahre 2016 aus. Genau zum 13. Jahrestag der Anschläge kämpfen die Betroffenen für eine Verlängerung um weitere 25 Jahre. Der New Yorker Lokalpolitiker John M. Kennedy Jr. unterstützt das Vorhaben: "Auf jeden Fall gehe ich mit nach Washington, um für die Verlängerung zu kämpfen. Die zeitliche Begrenzung ist absolut unakzeptabel angesichts der furchtbaren Leiden."

Michael Mc Phillips Ersthelfer Anschläge in New York
Ex-Kapitän Michael McPhillips wünscht sich ein Denkmal für ErsthelferBild: DW/G. Schließ

Moralische Pflicht der Volksvertreter

Die meisten wüßten nicht, dass nicht nur bei den Anschlägen Menschen umkamen, sondern auch jetzt noch viele an den Spätfolgen sterben, sagt John Feal, selber ein Ersthelfer. "Wir haben 1500 Menschen durch Krankheiten infolge von 9/11 verloren. Weitere 3000 haben Krebs. Jeder Volksvertreter hat die moralische Verpflichtung, sich um diese Leute zu kümmern", so Feal.

"Wer die staatlichen Zuwendungen bekommt, der erhält eine umfassende medizinische Versorgung", sagt Michael Crane der Deutschen Welle. Der Mediziner organisiert die Hilfe für die Patienten mit spezifischen 9/11-Erkrankungen, die in Spezialkliniken versorgt werden. Fast 68.000 Betroffene hätten bisher einen Arzt aufgesucht: "Darunter sind die Ersthelfer, die Feuerwehrleute, Menschen aus dem Viertel oder frühere Bewohner aus der Umgebung der eingestürzten Twin Towers." Und Crane erwartet noch mehr potenziell Gefährdete in den Wartezimmern: "Wenn wir von insgesamt 90.000 Menschen ausgehen, die betroffen sind, haben wir noch 22.000, die nicht gekommen sind." Crane ermutigt sie, möglichst schnell einen Arzt aufzusuchen, "dann können wir vielleicht noch eine Krebserkrankung verhindern". In den nächsten Wochen würden die 9/11-Kliniken ein neues Programm auflegen, um speziell Gefährdete früher zu erfassen, so der Arzt.

Ex-Kapitän Michael McPhillips will mehr als medizinischen Beistand. "Als Ersthelfer fühle ich mich nicht gewürdigt", sagt er vor dem Eingang des neuen 9/11-Museums in New York. "Genau hier sollte es auch ein Denkmal für die Ersthelfer geben. Denn die sterben wie die Fliegen."