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842 Millionen Menschen hungern

Nina Werkhäuser7. Juli 2014

Noch ein gutes Jahr bleibt der Staatengemeinschaft, um die UN-Millenniumsziele zu verwirklichen. Im Endspurt zeigt sich, dass der Kampf gegen Hunger und Armut noch längst nicht gewonnen ist.

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Kinder sammeln Müll in Haiti, UN Photo/Logan Abassi
Bild: UN Photo/Logan Abassi

Im Jahr 2000 hatten sich die Vereinten Nationen acht messbare Ziele im Kampf gegen Hunger, Armut und Krankheiten gesetzt. Seither sind einige, aber noch nicht alle Ziele erreicht worden. Noch immer hungern Hunderte Millionen Menschen. "Wir müssen bis 2015 noch einmal alle Kräfte mobilisieren", sagte UN-Mitarbeiter Richard Dictus bei der Vorstellung des Jahresberichts 2014 in Berlin. Der Niederländer Dictus ist der Vertreter des UNDP, des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, in Deutschland.

"Die Millenniumsziele retten Leben", betonte Dictus. So weist der Bericht erhebliche Fortschritte bei der Bekämpfung von Malaria und Tuberkulose aus. Die UN schätzen, dass in den Jahren von 2000 bis 2012 insgesamt 3,3 Millionen Todesfälle durch Malaria-Infektionen vermieden werden konnten, vor allem bei Kleinkindern. Wesentlich dazu beigetragen haben Insektennetze, die über das Bett gehängt werden können. 700 Millionen Malaria-Netze wurden zwischen 2004 und 2013 in Subsahara-Afrika verteilt.

Hunger in Afrika und Asien

Auch bei der Bekämpfung von extremer Armut haben die 193 UN-Staaten das im Jahr 2000 formulierte Ziel bereits erreicht: In Entwicklungsländern muss heute gut ein Fünftel der Menschen mit weniger als 1,25 Dollar am Tag auskommen, 1990 waren es noch fast die Hälfte. Die Vereinten Nationen sind dennoch nicht zufrieden, weil die Fortschritte ungleich verteilt sind: Die Regionen Subsahara-Afrika und Südasien hinken hinterher und werden extreme Armut und Hunger bis 2015 nicht halbiert haben - das war der vor 14 Jahren erhobene Anspruch. Noch immer leiden 842 Millionen Menschen weltweit unter chronischem Hunger.

Diese Zahl sei erschreckend hoch, kommentierte Wolfgang Jamann, Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe."Das Menschenrecht auf Nahrung muss auch in der nächsten Phase Priorität haben." Zu den Hungernden kämen weitere zwei Milliarden Menschen, die einen Mangel an Mineralien und Vitaminen hätten, sagte Jamann. Diese Art des "versteckten Hungers", der unter anderem zu Kleinwuchs bei Kindern führe, müsse ebenfalls thematisiert werden.

Kind in einem Slum in Bangladesch, UN Photo/Kibae Park
Junge in einem Slum in BangladeschBild: UN Photo/Kibae Park

Eine Milliarde Menschen ohne Toilette

Nicht zufrieden sind die Vereinten Nationen auch mit den Fortschritten bei der Sanitärversorgung: Nur 64 Prozent aller Menschen haben Zugang zu Toiletten. "Es bedarf sehr viel größerer Anstrengungen, um die Sanitärversorgung zu verbessern", heißt es in dem Bericht. Ungenügend ist nach wie vor die medizinische Versorgung von Müttern und Kindern. 2013 sind fast 300.000 Frauen während der Schwangerschaft oder der Geburt gestorben, viele hatten keinen Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen. Bei Kleinkindern sind vermeidbare Krankheiten wie Lungenentzündungen oder Durchfall die häufigsten Todesursachen. Weltweit leiden 162 Millionen Kinder an chronischer Unterernährung.

Nachhaltige Ziele?

Während die UN Jahr für Jahr pauschale Erfolgsbilanzen und Defizite verkünden, mahnen Fachleute eine differenzierte Betrachtung der Statistiken an. So sind die globalen Fortschritte bei der Bekämpfung von Armut und Hunger vor allem darauf zurückzuführen, dass das bevölkerungsreiche China sich in diesem Bereich stark verbessert hat - und zwar im Wesentlichen infolge seines eigenen, nationalen Entwicklungsprogramms. "Aber wenn wir auf Afrika schauen, dann hat die Zahl der Armen und Ärmsten nicht ab-, sondern eher zugenommen", sagt Barbara Unmüßig, Expertin für globale Umwelt- und Entwicklungsfragen bei der Heinrich-Böll-Stiftung. Und das trotz des Rohstoffbooms, den einige Länder in Subsahara-Afrika erleben. "Wenn dieser Rohstoffboom in Afrika zu einer armutsorientierten und nachhaltigen Entwicklung führen würde, hätte das viel größere Effekte als Entwicklungshilfetransfers aus dem Norden", sagte Unmüßig der Deutschen Welle.

Nach Einschätzung Unmüßigs sind die Millenniumsziele, von Kritikern auch gerne "Minimumziele" genannt, teils "vereinfachend". Natürlich seien es wichtige Vorhaben, die Zahl der Toiletten oder Moskitonetze zu vervielfachen. Gleichzeitig würden dabei aber die strukturellen Zusammenhänge vernachlässigt, etwa die Auswirkungen der Wirtschafts-, Klima- und Agrarpolitik der Industrieländer auf die Entwicklungsländer, sagte die Politikwissenschaftlerin der Deutschen Welle. Auch innerhalb der einzelnen Länder müssten die Ressourcen besser verteilt und die wachsende Spaltung in Arm und Reich überwunden werden. Sonst sei Entwicklungshilfe nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
Barbara UnmüßigBild: Heinrich-Böll-Stiftung/Foto: Bettina Keller, 2013

Neue Agenda in Arbeit

Die Ziele für die Zeit nach 2015, an denen die Vereinten Nationen gerade arbeiten, könnten dieses Defizit beheben. Für UN-Mitarbeiter Richard Dictus sind "ein neues Denken und Innovationen" nötig, um künftig acht Milliarden Menschen auf der Welt zu versorgen. An "Einfachheit und Deutlichkeit" werde es auch der Post-2015-Agenda nicht fehlen, sagte Dictus, aber die gegenseitigen Abhängigkeiten von entwickelten und Entwicklungsländern würden künftig stärker in den Blick genommen.