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Eine erste Bilanz

Ludger Schadomsky4. Januar 2013

Als Hailemariam Desalegn Mitte September 2012 äthiopischer Ministerpräsident wurde, galt der farblose Ingenieur als Kompromisslösung. Jetzt ist er 100 Tage im Amt. Was hat Hailemariam erreicht?

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Äthiopiens Ministerpräsident Hailemariam Desalegn (Foto: Jenny Vaughan/AFP)
Bild: Getty Images

Der Anfang war vielversprechend: Wenige Tage vor der Vereidigung von Hailemariam Desalegn zum neuen Ministerpräsidenten am 21. September 2012 begnadigte die äthiopische Regierung 2000 politische Gefangene. Dass die Regierung zeitgleich in Kenia mit der von ihr offiziell als "Terroristen" eingestuften "Ogaden National Liberation Front" (ONLF) verhandelte und der neue Premier später sogar Friedensverhandlungen mit dem Erzrivalen Eritrea in Aussicht stellte, schien die Hoffnung vieler Äthiopier nach einer Sonnenscheinpolitik zu erfüllen.

Galt der Ingenieur und Vater dreier Töchter doch als gemäßigt und umgänglich, wenngleich farblos im Vergleich zu seinem charismatischen Vorgänger Meles Zenawi, der das Land seit den blutigen Wahlen von 2005 zunehmend autoritär regiert hatte. Der Technokrat Hailemariam, der als Provinzgouverneur, Außenminister und stellvertretender Ministerpräsident einer der engsten Vertrauten von Meles war, gehört zu der kleinen Volksgruppe der Wolayta. Damit schien er vielen als guter Kompromisskandidat inmitten der um politischen und wirtschaftlichen Einfluss kämpfenden dominanten Volksgruppen der Amhara, Oromos und Tigreer. "Jemanden von einer kleinen Bevölkerungsgruppe wie der der Wolayta zu ernennen, die traditionell nicht Teil der Machtelite war, kann einen starken Symbolcharakter haben", sagt Jason Mosley, Äthiopien-Experte der renommierten Denkfabrik Chatham House in London. Er fügt hinzu: "Aber es muss natürlich auch in der Praxis funktionieren."

Korrekturen statt Politikwechsel

"Hailemariams Ernennung ist einmalig in der Geschichte unseres Landes, denn er war nicht Teil des bewaffneten Kampfes. Wir alle waren überrascht", sagte der Oppositionspolitiker Wondemagegn Demeke von der All Ethiopia Unity Party (AEUP) im DW-Interview. Amtsvorgänger Meles Zenawi und viele seiner politischen Mitstreiter hatten Äthiopien Anfang der 1990er Jahre von der Mengistu-Schreckensherrschaft befreit. Hailemariam Desalegn entstammt schon einer anderen Generation. Die Opposition habe Sorge gehabt, dass die in der Verfassung geregelte Nachfolge ausgehebelt würde. Dies sei zum Glück nicht geschehen. Dennoch sei man enttäuscht, so Wondemagegn, dass es bislang keinen Politikwechsel gegeben habe.

Der verstorbener äthiopische Ministerpräsident Meles Zenawi (Foto: Khaled Elfiqi/EPA)
Galt als charismatisch: Der verstorbene äthiopische Ministerpräsident Meles ZenawiBild: picture-alliance/dpa

Auch Jason Mosley von Chatham House sieht bislang keine Abweichung von der Politik der Vorgänger-Regierung, im Gegenteil: Hailemariam setze offenbar auf Kontinuität. "Die Politik gegenüber dem Nachbarn Somalia, und auch die Nil-Politik gegenüber Sudan und Ägypten haben sich nicht geändert", so der Äthiopien-Beobachter. Er spielt dabei auf den Streit zwischen den Anrainerstaaten Äthiopien, Ägypten und Sudan um die Verwendung des Nilwassers an. Innenpolitisch sei die jüngste Kabinettsumbildung mit der Ernennung von drei stellvertretenden Ministerpräsidenten in erster Linie der ethnischen Machtbalance in der Mehrparteienkoalition EPRDF geschuldet. Eine mögliche Neuausrichtung sei lediglich in der Politik gegenüber dem Nachbarn Eritrea denkbar, mit dem sich Äthiopien seit einem verlustreichen Grenzkrieg 1998 in einer Dauerfehde befindet.

Dunkle Wolken statt Sonnenschein

Entsprechend ist bei Äthiopiens Entwicklungspartnern die Aufbruchstimmung der ersten Stunde verflogen. Nach wie vor sind zahlreiche Strafverfahren gegen Journalisten anhängig. Von ursprünglich elf unter dem drakonischen Anti-Terror-Gesetz verurteilten unabhängigen Journalisten waren laut der Lobbygruppe Committee to Protect Journalists (CPJ) Ende 2012 sechs nach wie vor in Haft, darunter der preisgekrönte Blogger Eskinder Nega. Die Terrorismus-Anklagen gegen 29 muslimische Journalisten, Geistliche und Aktivisten treiben seit Wochen Äthiopiens Muslime auf die Barrikaden - längst ist das Freitagsgebet in der Anwar-Moschee von Addis Abeba zu einem Dauerprotest gegen die Regierung geworden.

Der Turm des Haupgebäudes der afrikanischen Union in Addis Abeba (Foto: Carola Frentzen/dpa)
Hauptquartier der Afrikanischen Union in Addis AbebaBild: picture-alliance/dpa

Zum Jahreswechsel appellierten 16 Europa-Abgeordnete deshalb in einem Offenen Brief an Ministerpräsident Hailemariam, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu achten. "Der neue Premierminister hat eine große Chance sein Land nach vorne zu bringen, wenn er eine Politik der Öffnung betreibt, wenn er die gesellschaftliche Öffnung, Kritik und freie Meinungsäußerung zulässt", sagt der deutsche Europa-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff, einer der Unterzeichner. "Das alles sind Signale, die für Äthiopien und für die internationale Position Äthiopiens mit Sicherheit von ganz großer Bedeutung wären".

Viele Aufgaben für den neuen Mann

Die Regierung in Addis Abeba, das wegen des Sitzes der Afrikanischen Union (AU) als "Afrikas Hauptstadt" gilt, steht vor immensen Herausforderungen: Äthiopiens Bevölkerung, schon heute Afrikas zweitgrößte, wächst ungebremst. Das Vielvölkerland tut sich schwer mit dem "nation building". Die Wirtschaft boomt zwar nominell zweistellig, vom Wachstum profitiert jedoch nur eine kleine urbane Mittelschicht. Und schließlich ist Äthiopien Frontstaat im internationalen Kampf gegen radikalislamistischen Terrorismus im Nachbarland Somalia. Dies alles sind Herausforderungen, die der neue Ministerpräsident mit seinem neuen Kabinett dringend angehen muss. Derweil beschränkt er sich aber zunächst auf Außenpolitik. So versucht er, im Dauerkonflikt zwischen dem Sudan und Südsudan zu vermitteln.

Immer wieder hat Hailemariam in den Tagen nach seinem Amtsantritt betont, er werde die Politik seines Vorgängers Meles ohne Abweichung fortsetzen. Die Flut der Verfahren gegen Journalisten und Aktivisten, und das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen demonstrierende Muslime lassen nach 100 Tagen im Amt Beobachter befürchten, dass der neue starke Mann am Horn von Afrika diese Ankündigung nur allzu wörtlich nimmt. "Der Tod von Meles Zenawi ändert nicht über Nacht die politische Landschaft Äthiopiens, sodass etwa die Medien nun vom Gängelband gelassen würden", weiß Äthiopienexperte Mosley: "Seit den blutigen Wahlen von 2005 gilt die politische Linie: Okay, wir mussten die Zügel härter anziehen, und lassen sie nur sehr langsam los, gerade soviel wie wir es für richtig erachten und wie es die Stabilität erlaubt". An dieser Botschaft, sagt Mosly, habe sich vorerst nichts geändert.